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Afghanistan    

NGO    -    Eine Reise von Österreich nach Afghanistan.  Muhammad Abu Bakr Mueller  

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Im Namen Allahs, des Gnädigen, des Barmherzigen, Der Seinen Segen auf Muhammad und seine Familie und alle Sahhaba geben möge.  

 

Einige hundert Passagiere können den Raum nicht verlassen. Gespräche werden geführt. Wenn dann alle Passagiere in der Halle auseinanderströmen kennt einer den anderen kaum mehr. Flüchtige Verabschiedungen. Bei diesem Flug war es nicht anders. Vieles vergaß ich. Fragmente sind mir in Erinnerung geblieben:  

„........... Es ist ein Vorteil wenn der Bereiste sich einbildet zu wissen warum der Reisende reist. Das gibt Sicherheit und produziert ein gewisses Selbstverständnis. Touristen, Studenten, Journalisten, Politiker, usw. sind - psychologisch gesehen – Spione, die vorgeben zur Bildung durchs Land zu reisen. Unsere Reise hat das Alibi des Verdienens des Lebensunterhaltes; dafür hat sicher jeder Verständnis und keine Erklärungen werden Notwendig sein. Früher hatte ich einen gross en Stein  als Katalysator zur "Kulturforschung" von England nach Indien transportiert. Natürlich ein Kunstprojekt. Auch diese Reise ist Transport ein Kunstprojekt, doch der Katalysator ist unsichtbar. Zumindest sind dies inneren und äuss eren Umstände ganz anders. Kaum war dieses Konzept fertig, die Handelsware - (LKW's) besorgt und der Proviant verstaut, hat sich alles geändert. Das immer wieder zitierte angeblich geheime Wissen der Muslime und anderer Wahrheitssucher gibt es und gibt es auch nicht, denn Wissen ist seiner Natur nach das Gegenteil des Geheimen, doch eben nicht immer und allen zugänglich. Das „geheime Wissen“ unseres Berufsstandes der Lastwagenfahrer wäre zugänglich gewesen, doch die Verladearbeiten hatten uns zu sehr erschöpft. Wir wussten nicht welche Zeichen am hinteren Ende von Langgutfuhren in Italien verlangt werden und zahlten Strafe. Und zusätzlich Strafe für das was wir wussten, aber in der Eile nicht besorgt hatten: Tachographenscheiben. Die bunt dekorierten italienischen Gendarma, kurz vor Venedig, erschienen meinem Sohn Musa mit ihren Dekorationen derart seltsam, dass er fragte ob sie sich verkleidet hätten. Wir fuhren also des Weges, um unser Ziel - die Kundschaft in Afghanistan - mit unseren Handelswaren, nämlich zwei mal drei alte Lastwagen übereinander, zu erreichen. Genau genommen müsste man wegen der Hingabe des Menschen zu ‘Handelsskulpturen‘ sagen, doch lehnen das die einen wegen versteckter Betroffenheit ab und die anderen, weil assoziatives Auffassen nicht jedem liegt. Bemerkenswert bleibt aber, wie schnell der Mensch Hoffnungen mit Gegenständen verknüpft ohne zu wissen was dabei herauskommt. Anders als unsere Vorbilder sind wir derart mit dem Absichern unserer Existenz  beschäftigt, dass man meinen könnte, es bliebe daneben kein Raum mehr, um Allah - gepriesen sei Seine Größe und Majestät- zu vertrauen. Wir wählten letztendlich die Route mit der Fähre von Venedig nach Griechenland um die verschiedenen Gebühren der ehemaligen Ostblockländer zu vermeiden.

 

Die in Italien erzwungenermaßen nachgekauften Tachographenscheiben legten wir ab jetzt täglich in die aufklappbare Apparatur hinterm Lenkrad. Ein heidnisches Amulett? Im Notfall bei Polizeikontrollen diese Scheiben vorzeigen. Jede Geschwindigkeit wird zusammen mit der Uhrzeit genau aufgezeichnet und die Polizei kassiert dann, wenn die feine schwarze Linie über die 80 km Marke hinausgeht. Wie fein wohl die ununterbrochenen Aufzeichnungen der Engel sind?  Im wilden Kurdistan war es dann soweit und die Scheiben schützten uns nicht sondern sprachen gegen uns. Vermutlich nur deshalb weil wir schlummernde Identitätsemotionen der Polizisten nützten, konnten wir ohne Strafe zu zahlen, weiterfahren. Ein Türke hätte da keine Chance bei seinen Landsleuten; es kann nie alles in Ordnung sein. Reguläre Strafe mit Zettel oder vergünstigte Strafe ohne Zettel. Normalerweise benützten wir jetzt eine Scheibe pro Tag. Nur in Afghanistan wechselte ich die Scheibe - zwecks Ausdruckssteigerung – länger als 10 Tage nicht mehr aus. Das ergab ein ganz dichtes schwarzes Bild, auf dem nur die Höchstgeschwindigkeiten hervorstechen. Dank dieser Scheibensammlung weiss ich jetzt, wann wir aus Österreich abgefahren sind, und wann wir die letzten Papierschikanen an der türkisch/iranischen Grenze endlich hinter uns lassen konnten und endlich mit dem ersten Gang ganz langsam durch Wasserpfützen in das Islamische Emirat Afghanistan hineinrollten. Auffallend die Regenpfützen zu dieser Jahreszeit im trockenen Land; vielleicht ein Zeichen der Zeit. Und niemand auss er mir und Allah wusste, dass die ganze Unternehmung eine Kunstaktion, eine NGO ist.

 

Vor uns, hinter uns, neben uns und über uns Lastwagen mit optisch überquellenden Ladungen beladen: Gummireifen, Fernseher, Ersatzteile, Spannteppiche, Spielzeug, und alles, was von Afghanistan nach Pakistan zu schmuggeln Gewinn verspricht. Tiefer im Landesinneren, obenauf auf  der hohen Ladung, manchmal noch ein paar Ziegen für den Eigenbedarf. Für Afghanistan selbst sind nur wenige Waren bestimmt, denn wer hat dort Geld; wer hat schon Vertrauen in die „neue Stabilität“ nach zwanzig Jahren Krieg? Deutsche Lastwagenzüge und Sattelschlepper mit verdreifachten Federpaketen, damit sie an heiklen Stellen nicht durch Schaukeln umkippen. Wie hohe Monsterfahrzeuge, mit denen sonst Kinder spielen. Manchmal kippen sie aber trotzdem um wenn die Straße zu schief ist oder die Achse bricht. Niemand hat eine größere Last geladen als er zu transportieren im Stande ist und so sind die afghanischen Lastwagenfahrer oft einen Monat lang unterwegs bevor sie wieder zu Hause eintreffen, obwohl die Strecke innerhalb Afghanistans hin und zurück höchstens 3000 km sein kann und mit zumindest zwei Fahrern gefahren wird.  

 

Zwischen den Trucks moderne japanische PKWs, rechtsgesteuert, aus ehemaligen britischen Kolonien, für den späteren Schmuggel nach Pakistan bestimmt. Afghanistan ist traditionell ein Zwischenlager. Grenzübergang vor einer Woche seitens Iran noch geschlossen und der gesamte Handel musste daher einen langen Umweg über Turkmenistan nehmen um dann vom Norden her nach Afghanistan einzureisen. Geschäft bleibt Geschäft und wenn trotz aller Hürden ein Gewinn zu vermuten ist, ist dieses sinnvoll. Große Mengen von Lastwagenreifen werden von Korea in die Arabischen Emirate gebracht, in den südiranischen Hafen Bandarabas verschifft, von dort quer durch den Iran nach Turkmenistan transportiert (mit hohen iranischen Straßengebühren), dann 14 Tage quer durch Afghanistan - mit langwieriger Verzollung - um letztlich jeweils links und rechts am Esel hängend über die Stammesgebiete nach Pakistan zu gelangen. Deutsche Kartoffeln kommen aus Polen nachdem sie in Italien gewaschen wurden. Afghanische EU. Dort Handy, hier verstaubte Akten ohne Strom. Die versteckte Gier und Not und Angst ist aber potentiell bei Muslimen und bei Ungläubigen ohne Unterschied vorhanden; nur die Anleitung zum Umgang damit ist unterschiedlich. Afghanistan verlangt geringen Zoll, wissend, dass die Dinge nicht im Land bleiben. Dieses System ist stabil und viel älter als die Kriegswirren der letzten 20 Jahre.  
  

Sunnitische Afghanen und schiitische Iraner sind seit langem zutiefst verfeindet. Taliban ermorden angeblich iranische Diplomaten; iranischer Politiker spuckte angeblich auf die Gräber neben dem Grab des Propheten (der Friede und Segen Allahs sei auf ihm). Von solchen gegenseitigen Beschuldigungen habe ich erzählen gehört und im Iran wurden wir schon gewarnt vor den Taliban. Wir fahren also aus dem Zollareal der Iraner in den Zollhof ihrer Feinde und finden, Allah -gepriesen sei Seine Größe und Majestät- , gleich einen freien Platz zwischen anderem Fahrzeugen, welche - obwohl wir drei LKWs übereinander haben - höher waren als die unseren. Der Adhaan ist zu höhren;  ich meine es ist zu merken, dass da jemand Adhan machen will; ich betone, machen will. Die Atmosphäre von Madinah vor 1400 Jahren ist irgendwie kurz spürbar. Eine Erinnerung; der Kontrast macht es deutlich bis man sich gewöhnt hat und die vielen Fehler der Muslime die Sinne gefangen halten.  

 

Längst waren wir Teil dieses Herumschiebens von Material geworden. Wer konnte, der hat auf unserem Weg die Spesen unseres Transportes zu seinen Gunsten erhöht. Die Taliban haben das angeblich abgestellt. Die türkischen Beamten hatten uns - mit gewissen Anstrengungen - die Zollhinterlegung für unsere 6 Lastwagen in Mark und Dollar gänzlich zurückbezahlt. Die Iraner kassierten  genau so viel für da Durchfahren und nannten das Zollversicherung und Straßengebühr und gaben uns bei der Ausreise nichts davon zurück. Das war der Betrag gewesen, den wir für die Verzollung in Afghanistan eingerechnet hatten. Muhammad Naim wollte schon zurückfahren und warf den unschuldigen Zöllnern die halbfertigen Papiere vor die Füße. Bevor wir zur Kasse gebeten wurden notierten die Zöllner fünf Tage lang unsere sechs Fahrgestellnummern, füllten Papiere aus und kassierten mit unreellen Wechselkursen. Alles war korrekt nach höherem Befehl. Wir übten unsere Seelen zu kontrollieren und aßen Yoghurt aus Ziegenmilch von höchster Qualität. Beim Fleisch sind wir unsicher. Schiiten machen vieles anders und wir wissen nicht wie sie schlachten. Der Begriff „Sunnah“ fehlt im Iran. „Taqiah“, was ungefähr „die Wahrheit verstecken aus, bedeutet (arabisch auch die Untermütze), ist nach schiitischer Ansicht nicht nur bei Todesgefahr erlaubt und so weiss man nicht woran man ist. Freundlichkeiten, Gefühle, Psychologie und Bedürfnisse vermischen sich schnell mit Glaubensfragen. Scheich Imam Rabbani (möge Allah seine Seele erhöhen) aus Sirhind in Indien, der Erneuerer des Jahrtausends, sagte, dass es eine Pflicht sei zwischen Glauben und Unglauben zu unterscheiden. Das ist nicht immer leicht. Ein Grenzbeamter würde uns gerne in unserer Grenzgefangenschaft helfen aber er kann nicht. Wir leben mit unseren Lastwagen in einem vertrockneten Park neben einer zugesperrten Moschee mit Nirosta Kuppel. Die Iraner haben einen speziellen Geschmack entwickelt. Die Aufarbeitung der technischen Erfindungen des Westens entspricht wohl im gesamten Orient einer tieferen inneren Situation. Im ersten Jahr der Revolution war ich länger Zeit in Teheran. In einem iranisierten MacDonalds lief die Glotze und zeigte riesige amerikanische Baumaschinen, welche endlich das weite Land mit asphaltierten Straßen vernetzten. Der Shah hat das ja vermieden. Am großen Boulvard flattern die Fahnen mit den Portraits der Führer. Im österreichischen Kulturinstitut ein Schubertabend mit Gesang. Im Museum of Contemporary Art wurde ein Becken mit spiegelndem Öl gezeigt. Am Top des Hilton, wo sich damals anscheinend viele Khomeni - Gegenr trafen, erzählte mir ein süchtiger Atomphysiker, dass er ein geheimer Suufi sei. Unzählige Aluminiumgestelle mit Photos der gefallenen Krieger sind entlang der Hauptstrass en im Land verstreut. Was hat eine Erfindung mit ihren Benützern zu tun? Stimmt. Nein, stimmt nicht.  

 

Ein Lautsprecher verkündet manchmal den Gebetsruf und andere Geschichten werden von Tonband oder Radio verkündet. Jedenfalls ist niemand in der Moschee. Während des Tages rollen ununterbrochen Tanklastwagen von Turkmenistan durch den Iran in die Türkei. Am Abend wird die Grenze dicht gemacht. Wir dachten, dass Iran den Treibstoff liefere, doch war das eine Täuschung. Hunderte iranische Fahrer leben davon und darben tagelang - wie wir – auf der Grenze mit ihren Ladungen auf gut von Öl und Diesel getränktem Boden bis sie endlich durchs Nadelöhr in die Türkei hinein dürfen um nach nur kurzer Fahrt in ein Zwischenlager zu pumpen und alsbald wieder auf der türkischen Seite zu warten. Allah gibt den Lohn den Geduldigen. Einmal gab es eine Schlägerei mit dem Grenzposten; die Geduld eines Fernfahrers war am Ende. Leicht haben es die Menschen nicht im Iran; in der Zeit des Schah war es noch schwerer; damals habe ich das Auto in einer Kleinstadt eingeparkt; die Schaulustigen wurden von der Polizei weggeprügelt; offensichtlich zur Ehrung westlicher Touristen. Ganz zu schweigen vom damaligen Geheimdienst. Als Lastwagenfahrer müssen wir uns mit einer speziellen Kulisse zufrieden geben. Das Hinterland, wo die Milch und Honig fließen bleibt uns bei dieser Reise unzugänglich; unser Transit-Bild ist daher wohl sehr einseitig. Erinnerungen an frühere Reisen mit Familie durchs Land der Pistazien, Palmenhaine und Dattelernten, Ölpumpen, geschnürten Säuglinge, Zimmer ohne Möbel, Stahlkonstruktionen, Raketen von Saddam, und andere Hinterlandgeschichten werden in mir wach. Das vermischt sich jetzt alles lindernd mit den neuen Grenz - Erfahrungen. Endlich sind die Dokumente fertig und unsere 5 Tage Visa sind bereits abgelaufen - genau als wir die Grenze endlich verlassen dürfen. Quer durch den Iran, bei vielen Polizeistationen, müssen alle Lastwagenfahrer zur Überwachung ihrer Reiseroute Dokumente abstempeln lassen; wir natürlich auch. Eine Station habe ich in der Nacht übersehen und musste wegen dieses Versäumnisses bei der nächsten Station Strafe zahlen. Die Spedition, welche unsere Papiere „verfasste“ wollte uns zusätzlich eine Begleitperson bis zur Grenze nach Afghanistan mitgeben, damit wir die Papiere unterwegs nicht verlieren. Ob zur Zeit des Zoroaster bereits ähnliche Strukturen existierten um das Volk zu kontrollieren?  Es sieht jetzt nicht nach einer Änderung aus und diese Art von Druck ist nicht einfach der Druck der Mullahs, welcher gern kritisiert und bunt illustriert wird. In gewisser Hinsicht weisen Iran und Österreich Ähnlichkeiten auf: eine demokratische Mischung von Priestern (Mullahs) und Polizisten, nur dass Österreich derzeit mit der Erhaltung von Luxus beschäftigt ist und Iran mit dessen Erlangung. Eine große deutsche Spedition hat schlauerweise die gesamte bulgarische LKW-Flotte aufgekauft und lässt sich jetzt von ex-kommunistischen Chauffeuren die Transporte in den Iran zu günstigen Löhnen erledigen. Ein deutscher Brummi würde keine zwei Mal wegen komplizierter Grenzdokumente tagelang in der Hitze warten.  
  

In der östlichen Pilgerstadt Mashad, wo der verehrte Imam Reza unter einer weithin glänzenden, vergoldeten Kuppel begraben liegt, mussten wir unser Visum in einem gerichtlichen Schnellverfahren verlängern lassen. Wir fuhren dazu mit Taxis zwischen Ämtern, Banken, Gericht, Visabehörde und Geldwechslern hin und her. Ein Bankbeamter weigerte sich einen kleinen Zettel auf Persisch für mich auszufüllen. Ich musste drei Euro mit Bankbestätigung wechseln und das Wechselpapier am Gericht vorlegen. Kafka könnte unsere Amtstage in Mashhad besser erzählen. Unsere Wohnung befand sich neben dem modernen Bahnhof auf dem Gehsteig. Der Bahnhofsplatz verwandelte sich jede Nacht in ein Volksfest mit Fußball. Die Iraner hatten gerade die Amerikaner bei einem Fußballspiel besiegt und es schien als ob die halbe Stadt jetzt mit Fußballtraining beschäftigt wäre. Neben uns liegen zwei im Kartonbett. Die Polizei weckt die Burschen auf und untersucht sie nach Heroin; findet aber nichts. Der Brotpreis ist staatlich gestützt und jeder kann sich Brot leisten.  

 

Umar mit seinem Vater Muhammad Naim, mein Sohn Musa und ich bilden das Transportteam. Wir alle gehören zum steirischen Bergvolk im südlichen Österreich. Unsere Stammesgebiete waren lange von Muslimen besetzt doch ist davon nichts übrig geblieben außer einer Befreiungstheorie in den Schulbüchern, Tabak, Kaffee, Kochrezepten und eine Reihe von Worten, wie etwa „hadschen“ für mühsames Gehen. In meiner Volksschulzeit wurden wir in eine Straße geführt in der es ein Haus gibt aus dessen Dachluke ein hölzerner Türke (Muslim) schaut. Es heißt, dass er durch den Kamin flüchtete oder hinunter gestoss en wurde. Heute gehen wir mit Turban und Bart herum, sozusagen stolz auf die Ehre Muslim zu sein und die ehemaligen Eroberer aus der Türkei verteidigen ihre glatt rasierten Gesichter, ihre oft unter großen Entbehrungen errungenen Titel, die Fernseher und ihre Krawatten. Liebenswürdig? Ahnungslos?  Ja. Nein. Viele sind auf Baustellen versklavt und träumen von der Zukunft mit Geld im eigenen Haus in der Heimat. Steirische Muslime (es gibt fast keine) planen angeblich die Rückführung ihrer Stammesgebiete unter muslimische Herrschaft (gibt es zwar nirgendwo) und die Steirer befürchten außerdem, dass dies zu ihrem Nachteil wäre. Most und Schnaps, das heimatliche Rauschgift aus Äpfeln, dürften sie dann nicht mehr trinken. Auch andere Argumente haben unsere Landsleute um den Islam abzulehnen aber der Trunk genügt, um von der Gefahr des Kulturverlusts zu sprechen. Dazu kommt noch, dass die Steirer sehen, wie die Menschen aus den Islamischen Ländern ihre eigenen Empfindungen und Erfindungen, Filme, Krawatten, Bluejeans, usw. für derart  wichtig halten, dass sie ihre vom Propheten Muhammad (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm) vorgelebte Lebensweise aufgeben und diese Dinge nicht nur in der Steiermark nachahmen, sondern allesamt als Wahrzeichen einer neuen Identität in die Heimatländer transportieren. Somit wirkt die Aufforderung zum Islam einfach unecht, obwohl dies grundlegende Glaubensfragen nicht direkt betrifft. Kleider machen Leute. Was soll dabei herauskommen? Mao hat die Modefrage richtig erkannt und in seinem Sinn umgesetzt.  

 

Jeder von uns vieren hatte eine eigene Führerkabine als Schlafraum; zwei blieben frei. Für die Kinder war es ein Vergnügen manchmal im obersten Führerhaus unserer Ladung mitzufahren. Muhammad Naim ist schon vor drei Jahren mit seiner Familie nach Pakistan gezogen und hat zuerst ein Jahr in der Khanaka unseres Scheichs, nahe Peshawar, gewohnt. Dort haben seine Kinder Pashtu gelernt und nicht selten war während unserer Reise der neunjährige Umar widerwilliger Dolmetscher. Ein Jahr später übersiedelteMuhammad Naim nach Jalalabad. wo er jetzt mit seiner Frau und den fünf Kindern seit über zwei Jahren lebt. Er plant eine kleinen NGO (Non Governmental Organisation) für soziale Projekte, während ich das aktuelle  Kunstprojekt als NGO sehe. Die Lastwagenüberstellung hat Muhammad Naim als wirtschaftliche Notwendigkeit begonnen und ich bin mit meinem jüngsten Sohn kurzfristig in dieses - nicht sehr aussichtsreiche - Unternehmen eingestiegen. Wir haben schließlich das ärmste Land der Welt zum Geschäftspartner. Auf anderer Ebene ist es ein alter Trick der Suufis  gegen oder für die Nafs alles Laufende plötzlich abzubrechen. Der große Scheich Suhrawardi (möge Allah seine Seele erhöhen) schreibt, dass manche der Suufis gereist sind um ihre Entwicklung zu begünstigen. Einer, der ehrwürdige Meister Daqaq (möge Allah seine Seele erhöhen) ist der Sache genauer nachgegangen und deshalb nirgendwo länger geblieben als zwei Tage, aus Furcht, dass sein Herz an irgendeinem Ort Gefallen finden,- und sich insgeheim in der Zuneigung zur Welt verfangen und dadurch sein Gedenken Allahs verloren gehen könnte.  

 

Zurück: Vorbei an geschlossenen Zollgebäuden fuhren wir auf der glatten Autobahn zuerst einmal nach Venedig. Nur ein Strafmandat wegen fehlender Tachographenscheibe hatten wir zu bezahlen. Dann die Lastwagen auf die Fähre, durch den Canale Grande, vorbei an den versinkenden Prunkgebäuden und Gefängnissen der Dogen, hinaus ins offene Meer. Dieselgeruch von den Schiffsmotoren, weißer Schaum vom Bug, strahlendes Wetter. Eine Schiffsreise. Die Resopal-Kabine blieb für unsere Kinder wohl eines der wichtigsten Erlebnisse. So ein cooles Zimmer. Dann griechische Almen; Baden neben weißen Felsen der Steilküste in der noch immer blauen Ägäis. Ein Zeichen nach dem anderen. Eine Türkei mit vollautomatisierten Rinderzuchtbetrieben, gläsernen Bürotürmen, marmornen Wohnkolossen und immer seltener werdendem Kuhmist, der zum Trocknen auf die Hauswände geschmiert gehört. Nur noch im Osten Kuhmistbriketts. Dazwischen fahren Fabriksbesitzer, die ihre Gewinne im Ausland anlegen. 100% (ich weiß nicht genau) Inflation ist in der Türkei normal. Gipserne Figuren des Kemal Pasha im ganzen Land. Früher wurde in den türkischen Schulen unterrichtet, dass aufgestellte Figuren Götzen seien. Wer das heute sagt wird wohl eingesperrt. Ein Photo des österreichischen Bundespräsidenten  meist in der Nähe eines Kreuzes in jedem Schulzimmer. Jeder darf sagen was er will, doch das muss bleiben. Kultur; aus basta. Nationalität. Islam als nationale Kulturveranstaltung mit Freitagsansprache. Auf den Mimbars steht eine türkische Fahne. Die Mehrheit der Türken will Sitzgarnituren aus Samt, Fernseher, Fußball.  „…jeder türkische Soldat stirbt angeblich als Shahid“.  Der säkulare Staat  ist nicht so möglich wie bei den Christen in Österreich weil es unter Muslimen keine Kirche und keine Priester gibt welche man vom Staat trennen könnte. Das ist ja eine römische Erfindung. Damit aber Unmögliches möglich wird hat man eine Priesterkaste installiert. Diese erfundene Institution hat man dann vom Staat getrennt und das Ergebnis nennt man Laizismus. Jedes Volk hat die Regierung die ihm zukommt.  

 

In Erzurum besorgten wir das Iranische Visum und Proviant, denn Erzurum ist bekannt für Trockenfleisch, Trockenfrüchte, Käse und Honig von bester Qualität. Gebet in der überfüllten, großen, alten Moschee. Wahrscheinlich ein berühmtes Bauwerk im alten Zentrum. Der Imaam und wenige andere haben Bart und Turban. Ob diese in Gefahr leben? Erzurum ist angeblich ein Zentrum des islamistischen Fundamentalismus. Außerdem mitten im Kurdengebiet. Weder die kurdische noch die türkische Staatsidee kann im Qur‘aan gefunden werden. Der türkische Staatsfeind Nummer eins lebt noch in Syrien. Etwas später wird er in Afrika geschnappt und auf eine Gefängnisinsel gebracht. Einige antike Teppiche werden in Europa unter dem Fachbegriff „Emrali“ teuer gehandelt. Was wohl die Knüpfer dieser  Teppiche gemacht haben; auch Staatsfeinde? Was kann ein Land überhaupt davon haben wenn es seine ethnischen Gruppen gegen deren Willen in eine Identität zwingt. Ob die Steirer einmal einen eigenen Staat wollen? Wasserkrieg? Eine Delegation reicher arabischer Länder ist gekommen um über Wasser zu verhandeln. Ölvorkommen im Kurdengebiet? Wir werden in eine barocke Fauteuilrunde freundlich hineingezwungen;  lieber würden wir am Boden sitzen. Möbel verstellen in erster Linie den Raum: Wohnzimmer, Speisezimmer, Küche, Schlafzimmer. Wer ein Dach über dem Kopf hat und Nahrung für einen Tag kann der glücklichste Mensch sein. Im Hintergrund glänzt das Service aus den Vitrinen. Diese Liebenswürdigkeit und Vorsorge Fremden gegenüber ist in Europa unbekannt. Touristen berichten immer wieder davon. Ich bin mir sicher, es wäre möglich gewesen einen Monat dort als Gast zu bleiben. Könnte ein Türke das in Österreich? Unsere Buben wurden in den Vorraum gelockt, wo die Frauen und Töchter begeistert - mit dem Ausruf „tatle“ - ein Wangenzwicken veranstalteten bis die Kinder zu uns flohen. „Tatle“ (ein Kosewort, süß) wurde zum Synonym einer türkischen Gefahr für Buben, der es fortan zu entrinnen galt.  

 

Zakariah erbrachte den Beweis dafür welch großartige Muslime es in der Türkei gibt. Er erledigte den ganzen Tag über unsere Ausreisepapiere und half uns unsere Kaution, welche wir bei der Einreise hinterlegt hatten, wieder zu bekommen. Die Banken hatten nur das im Iran wertlose türkische Inflationsgeld. Unzufällig war ein Kontrollinspektor aus Istanbul zur Überprüfung der Grenzgeschäfte anwesend, so dass alle Beamten ohne private Bezahlung überdurchschnittlich eifrig waren. Er lud uns zum Tee unter dem amtlich vorgeschriebenen Atatürkbildnis und rezitierte Qur‘aan. Ich selbst bin in der Türkei im Haus von Scheich Ahmad Efendi in Yozgat Muslim geworden und vor ein paar Tagen erst erzählte mir ein Türke aus dieser Stadt, dass Ahmad Efendi jetzt über 100 Jahre alt sei und die Menschen eine Woche vor seinem Haus auf der Strasse stünden, um ihn treffen zu können. Möge Allah seine Seele erhöhen und erhöhen. Unsere Transportroute verlief nicht durch Yozgat.  
  

Der Unterschied zwischen Europa und dem Iran ist geringer als der zwischen dem Iran und Afghanistan. Nicht aus der Sicht der jeweils köstlicheren Speisen oder sonstiger Kulturerscheinungen, sondern aus der Wahrnehmung der Herzen, welche in vielerlei Form zum Ausdruck kommt. Glaube verwandelt/verändert eine Gesellschaft und das selbe Brot schmeckt unter Gläubigen besser. Iran ist mit seinem Priestersystem und der Leidensgeschichte von grausamen Ermordung Hussains (möge Allah mit ihm zufrieden sein) dem römisch- katholischen Glauben ähnlich. Als ich vor fast 30 Jahren aus dem Iran nach Afghanistan reiste, war Islam für mich eine auswechselbare Kultur. Ich meinte „in das Mittelalter“ gekommen zu sein als ich in Herat ankam. Nach üblicher Schulbildung war mein Denken durch solche Begriffe geprägt und es war mühsam davon loszukommen oder überhaupt zu wissen dass es etwas zum Loskommen gibt. Afghanen sind starrköpfig, kindlich, können selten schreiben und lesen und wissen daher wenig. Abgeschieden durch die Berge hat selbst die kommunistische Ära nur wenigen Frauen die Frisur auf der Straße als Fortschritt einreden können. Die nur schwer zu verdauende Sturheit vieler Afghanen hat aber vermutlich Lebensweisen erhalten und diese Lebensweisen sind oft der „Sunnah“ nahe, was wiederum die Lebensweise des geliebten Propheten Muhammed (der Friede und Segen Allahs sei mit ihm) ist. Das heißt, sie befolgen oft die Sunnah ohne es selbst zu wissen. Durch diesen gesellschaftlichen Rahmen war die Schar’iah trotz großer Anstrengungen während der kommunistischen Herrschaft nicht abzuschaffen. Wer also öffentlich von seinem Weg zu Allah und von der Sunnah abweicht und etwa das Rasieren des Bartes für sinnvoll zu erachten beginnt, der wird gesellschaftlich wieder auf den richtigen Weg verwiesen. Heute machen die Taliban tatsächlich darauf aufmerksam und wenn jemand in derart einfachen Dingen öffentlich merkbar gegen die Schar’iah revoltiert, wird er wohl so lange eingesperrt bis er zur Vernunft kommt. In Österreich ist oder war ein Afghane Präsident der Gesellschaft „Islamische Glaubensgemeinschaft“ ; gleichzeitig Inspektor des von den Nichtmuslimen finanzierten Islamischen Religionsunterrichts an öffentlichen Schulen. Ich war durch diese Gesellschaft bestellter Islamischer Religionslehrer und beschwerte mich über vom Islam abweichende Angelegenheiten, die zwecks „Integration“ und anderer Spekulationen um sich greifen. Der  Afghane erhielt in diesem Zusammenhang von mir ein Fax,  in welchem ich mitteilt, dass er in seinem Heimatland wegen einiger seiner Ansichten von der derzeitigen afghanischen Regierung (also den Taliban) eingesperrt würde. Darauf klagte er den Verfasser des Faxes beim österreichischen Gericht. Sein Ziel bleibt unklar. Wollte er die Schar’iah am Gericht der Nichtmuslime zu seinen Gunsten entkräften oder bestätigen lassen? Dieser Vorfall zeigte mir, wie sich die afghanische Unnachgiebigkeit in einem anderem Kontext entwickelt, bzw. erhält und was dabei herauskommt: in Afghanistan kämpfen die Muslime um das Recht des Glaubens; in Österreich gegenteilig. Muslime in Österreich erbeten sich die Erlaubnis von Nichtmuslimen ob sie während ihres Militärdienstes beten dürfen. Dafür stellen die amtlichen Vertreter des Islam Bescheinigungen aus, welche die Muslime als „praktizierend“ ausweisen....... Ein Terminus den es in der Schar‘iah nicht geben kann und welcher eine Schande für Muslime ist. Wie kann ein Muslim einen Nichtmuslim fragen, ob er zur vorgeschrieben Zeit beten darf, wo ihn doch niemand töten würde wenn er betet? Schlimmstenfalls wird er eingesperrt und hätte dadurch Belohnung und Ehre erlangt. Wie kann ein Muslim den „Nicht-Praktizierenden“ ihre Pflichten durch solche Bescheinigungen erschweren? Es gibt Spezialisten, teilweise mit Lehrstühlen an westlichen Universitäten, welche im Namen des Islam verschiedene Theorien unter den Titeln „Migration, Integration und Dialog“ vermarkten. Bei Diskussionen werden sie von den Nichtmuslimen regelmäßig als Fachleute herangezogen weil man genau weiss , was sie sagen werden. Wer kennt schon den Unterschied zwischen Religion und Kultur? Wen interessiert das? Wer kann dem Bedeutung beimessen? Und wozu?  

 

Muhammad Naim, in dessen Haus in Jalalabad während seiner Abwesenheit eingebrochen worden war, sagt: „es gibt viele Diebe in Afghanistan, doch seit die Taliban regieren stehlen sie fast nicht mehr.“ Beten würden viele nicht, doch werden diese - jetzt - zu ihrem eigenen Vorteil - daran erinnert. Das islamische Pflichtgebet ist nicht nur Privatangelegenheit. Ab und zu kommt jemand in die Bazare und scheucht die in ihren Geschäften untergehenden Händler auf. Die Taliban bestätigen offiziell die Richtigkeit und Wichtigkeit der Schar’iah und der Sunnah,  was derzeit in keinem einzigen anderen Land praktisch der Fall ist. Das ist aber wesentlich. Lehrmeinungen und Fatwas sind vielfach bedeutungslos wenn sie nicht exekutiert werden. Die Taliban selbst, natürlich sind sie sehr fehlerhaft. Fehler und das Leugnen des Richtigen, das sind zwei Paar Schuhe. Allah -Größe und Majestät- verzeiht alle Sünden bis auf jene der Götzendienerei. Was ist der, welcher die Wichtigkeit der Sunnah leugnet? Die Taliban profitieren angeblich stark vom Opiumanbau (10% von Landwirtschaft) und verbieten ihn gleichzeitig. Und so könnte man wohl Vieles aufzählen was nicht stimmt. Was ist giftiger: Opium oder Fernsehen?  

 

Als wir also mit unseren sechs LKWs (jeweils zwei kleinere übereinander auf einem gröss eren aufgeladen) in das Islamische Emirat einreisten, zeigte ich mein Visum der Afghanischen Botschaft in Wien. Es hatte keine Gültigkeit, denn das Islamische Emirat hat mit den afghanischen Botschaften nichts zu tun (ausgenommen jenen in Pakistan und den Arabischen Emiraten). Man kann momentan die offiziellen afghanischen Botschaften als NGO's (Non-Governmental-Organisation) betrachten. Wer finanziert eigentlich diese Ämter?  Der Botschafter in Wien, ein netter junger Afghane mit Krawatte und frischen, in New York gemachten Erfahrungen, hatte uns nahe gelegt gegen die Taliban zu sein und hat uns entsprechende Geschichten über die Taliban erzählt. Der erste afghanische Grenzbeamte in seiner voll gestopften Hütte stellte mir mit äuss erster Höflichkeit ein neues Visum aus. Der Schreibaufwand für das Visum wurde über mehrere Bücher und Zettel auf dem kleinen Tisch mühsam verteilt und ich zahlte mit mehreren Währungen. Bis zur Ausreise wollte dann nie mehr jemand meinen Reisepass kontrollieren. Unsere Handelsskulpturen standen nunmehr im afghanischen Zollhof zwischen anderen derartigen Anhäufungen von fraglichen Dingen des Lebens, welche bald wieder Schrott sein würden. Trotzdem fachkundige Blicke auf  Marken und Leistungsmerkmale der Karossen. Uniformen haben die Taliban nicht. Ein junger Mann, natürlich mit Turban und Bart, machte zwei Stichproben bei unseren Fahrgestellnummern und verfasste eine kurze Liste zu unseren Lastwagen nach unseren eigenen Angaben. Wir waren sehr angetan von dieser einfachen Art der Erledigung; wir ahnten noch nicht, dass die afghanische Bürokratie an Umständlichkeit alles übertrifft. Gebetsruf. Adhaan. Mittagsgebet in der Moschee. Selbstverständlich. Nach einem etwas komplizierten Verladevorgang in Österreich und einer 20-tägigen Reise mit Gebeten fast immer neben der Autobahn - endlich unter Muslimen. In der Türkei hat man uns noch wie Museumsstücke betrachtet wenn wir im Freien gebetet haben. Das Gebet ist zu verrichten und wenn dann noch Zeit bleibt werden Geschäfte erledigt. Dieser Umstand ist undokumentierbar; das ist nicht Kultur; es ist das analphabetische Wissen des Herzens vermittelt durch den schreibunkundigen Propheten - auf ihm sei der Friede und Segen Allahs. Sicher, in Afghanistan gibt es nicht nur Muslime; es gibt Kommunisten, Demokraten, Nationalisten, Evolutionisten und nicht zu letzt ein alles durchdringendes Stammes- und Familiendenken, das seine - für mich nicht nachvollziehbaren - Regeln hat.  

 

Anders als in der Türkei oder dem Iran, wo wir nicht wussten ob das Fleisch halaal ist, fühlen wir uns hier sicher. Wir essen im winzigen Zeltrestaurant mit eng im Kreis sitzenden Reisenden und Heeren von Fliegen. Das Essen wurde aus Töpfen, welche in Erdlöchern heiß gehalten wurden, geholt. Kein Strom an der Grenze. Keine Wasserleitung. Keine Toiletten im ganzen Land. Alles wird hinter den Häusern erledigt. Zumindest so auf dem Land. Der allgemein widerwärtige Schmutz und die Unmengen von Fliegen vermittelten, dass Tdaharah etwas anderes ist als Hygiene. Muslime, die die Sunnah befolgen können im Schmutz mit Dingen sauber umgehen. Durchfall ist unter diesen Bedingungen für Neuankömmlinge unvermeidlich. Es ist leicht so zu reden wenn man nicht immer dort ist.  

 

Die Asphaltstrasse war zu Ende. Über 1000 km mit allen Variationen einer Geländefahrt waren vor uns. Stimmt nicht ganz, denn die alte russische Betonstraße und die amerikanische Asphaltstraße waren streckenweise noch vorhanden. Das erste Stück bis Herat war frei von Asphalt oder Beton und daher nicht so schlecht zu befahren. Ich hatte zuerst meinen Spaß daran über die bis zu meterhohen, regelmäßigen Schotterwellen mit dem Lastwagen zu surfen. Aber nur anfangs, also solange ich noch nicht wusste wie sich das auf die Ladung auswirken würde. Zwei Tage für 150 km. Die Ladung war von Österreich bis Afghanistan an ihrem Platz geblieben, doch nun begann ein Schieben, Schaukeln und Scheuern ohne Ende. Der Staub verstopfte die Luftfilter.  

 

Der türkische Käse, das Trockenfleisch und der Honig aus Erzurum waren verbraucht. Dafür konnten wir uns jetzt den Besuch von Restaurants leisten. Zum Einen weil sie in Afghanistan nicht teuer sind und zum Anderen, weil jeder weiß, wie geschlachtet wird. Fett, Reis, Fleisch, Brot, eine Gemüsesorte und Weintrauben; durchs ganze Land genau dasselbe bei jeder Station. Während wir in Herat im kaum erhellten, hohen Räumen unbeschreiblich komplizierte Verzollungsmechanismen durchführen mussten wurde Sulaimaan krank und ich versuchte, fettfreien Reis für ihn zu bekommen. Er wurde in unserem besten Hotel extra gekocht und der Topf stolz gebracht. Doch: wieder Fett; Reis kann man in Afghanistan nicht ohne Fett kochen; so etwas ist falsch und nicht vorstellbar. Ein Afghane kann auss erdem nicht unrecht haben. Der Durchfall hat sich auf diese Weise gut und lange erhalten. Eine Infusion aus dem Plastikbeutel an der Wand hat Sulaimaan wieder gestärkt.  

 

Herat, also die erste Stadt in der wir Station machen, liegt im Nordwesten Afghanistans, berühmt für seine Vergangenheit, ehemals Hauptstadt von Baktrien mit feinster Teppichproduktion und ständigem -im Sommer - angenehm kühlenden Wind. Wir fahren von den Bergen langsam ins Becken von Herat hinunter und sehen von weitem die riesigen, alten verbogenen Ziegelminarette, welche durch ihre Nähe und Größe die ganze, in dünnem Staubdunst liegende Stadt überragen. Afghanistan gibt es als politische Idee erst seit ca. 250 Jahren. Zur Zeit Timur Langs und der Safawidenherrschaft, war Herat der geistige Mittelpunkt Ostpersiens. Der Schiismus wurde erst damals unter Zwang im heutigen Iran verbreitet und war auch für Herat vorgesehen, gelang aber nicht. Afghanistan besteht aus einer Vielzahl von Stämmen. Die bekanntesten und gröss ten sind pashtunisch, tadschikisch, usbekisch, turkmenisch, doh gibt es auch Tschahar Aimag, Brahui, Hazara, Kaafiren, Kirgisen, Karalpeken, Kyziayak, Kyzilbasch mit ihren jeweiligen Untzergruppen. Im Westen sind mehr persisch sprechende-, im Norden mehr turkmenisch und tadschikisch sprechende-, und sonst hauptsächlich Pashtu sprechende Menschen.  

 

Abgesehen von einigen Generatoren gibt es keinen Strom in Herat und so ist es in fast ganz Afghanistan, denn die Mujahidin hatten die kupfernen Kabel von den Masten geholt und verkauft; genauso wesentliche Kraftwerkselemente. Was technische Planung betrifft, so denken Afghanen kaum für die Zukunft. Wenn das Wasser aus der Leitung kommt so ist es gut; wenn es aufhört zu rinnen wird es aus dem Bach geholt; die Wasserleitung reparieren kann Jahre brauchen; eine auf Ursachen bezogene Lösung zu finden ist nicht üblich. Die Zollformalitäten sind noch immer sehr langwierig. Sechs Tage wandern wir zwischen Zoll- bzw. Finanzbeamten und Geldwechslern hin und her und zum Schluss ist nichts erledigt. Am Tag der Tage wird uns dieses Warten wohl kurz erscheinen. Die größten „Afghani“-Geldscheine sind Zehntausender, so dass in Bündeln von 500.000 bezahlt wird; meist ohne nachzuzählen. Ich habe erstmals über den Rücken ein Tuch, gefüllt mit gebündelten Geldscheinen getragen. Geschichten von Räumen voll mit Geld tauchen auf. Niemand fragte uns jemals nach Bestechungsgeld; wer nimmt oder gibt wird angeblich ausgepeitscht. Nach dem Mittagsgebet sind Ämter nur mehr zum Teetrinken geeignet. Alle Beamten waren sehr höflich.

 

Die Hauptmoschee, innen ganz nüchterne weiss e Gewölbe; ein gross er Hof; Wände im Hof und an der Außenseite der Moschee mit feinstbemalten blauen Fliesen übersät. Muridiin unseres Scheichs von der anderen Seite Afghanistans begrüßen uns. Wir hatten sie vorher noch nicht getroffen doch Allah -Größe und Majestät- lässt die Seelen einander erkennen. Wir werden zur Sohhbat geführt und treffen dann auch Bekannte von früher. Afghanistan scheint jetzt klein. Die Mühen der Bürokratie sind verschwunden. In der Nacht sind wir unerwartet beim Dhikr einer Qadri-Gruppe. Unser Naqshbandi-Scheich hatte uns auch mit dem Dhikr dieser Bruderschaft vertraut gemacht. Nach dem Nachtgebet bleiben an die 30 Muslims in der kleinen Moschee aus Lehm in einem Außenbezirk von Herat; vielleicht ist auch ein Zollbeamter dabei. Alle stehen im Kreis; ein Khalifah des Scheichs steht in der Mitte. Nach seinem ersten „laa ilaaha illa-l-llah“ verfallen einige ab sofort bis zum Ende der Sohbat in wadschd (physische Auswirkung von jadhb, der inneren Ekstase). Niemand kann das beschreiben, niemand kann das abbilden - wie dumm solche Ereignisse zu filmen. Das gehört zu den Geheimnissen die Allah - gepriesen sei seine Größe und Majestät-  eröffnet, dem Er sie eröffnen will. Welch ein Segen, dass das Photographieren von Menschen in Afghanistan untersagt ist. Anderswo wurde das Dhikr bereits zu touristischen Vorführungen umgestaltet und die Salafiten argumentieren damit gegen die Suufis. DieVorführung von Wadschd (Ekstase) ist Nifaaq (Heuchelei). Keine Gesichter an den Hauswänden Afghanistans, doch keine Frage, dass die Mehrheit der Menschen irgendwelche Photos von der Familie hat. Die Seele freut sich wenn sie sich selbst sieht. Ach bin ich doch soviel Ich. Was denn sonst. Wer sollte da besser sein. Die Nafs (Seele) will nicht beten. Ich kann mich erinnern wie die Meldung durch die österreichischen Medien ging, dass in Afghanistan Fernsehen untersagt wurde, von den bösen Taliban. Ein Speerwurf. Getroffen ins Unbewusstsein. Die tiefere Bedeutung von menschlichen Abbildungen ist in Europa schon lange verloren gegangen und so wird das Verbot nur als Stumpfheit oder falsche Auslegung erlebt; von den Nichtmuslimen ist das verständlich, aber auch bei westlich "gebildeten"  Muslimen gibt es die Ansicht, dass Photos grundsätzlich und auch an den Wänden erlaubt seien. Ich weiß nicht, ob die Taliban die Bedeutung kennen, aber sie beachten manchmal die Schar’iah und das genügt doch. Oder? Die Aussagen Muhammads - mögen der Friede und der Segen Allahs auf ihm Ruhen - sind unmissverständlich in dieser Angelegenheit; so könnte man denken. Obwohl doch jeder Muslim weiß, dass ein Photo oder eine Zeichnung nicht beseelt ist, sind es dennoch viele, die dieser Regung nicht widerstehen können. Gute Absichten verhindern den Schaden nicht. Von der Wirkung kann es kurzfristig günstig aussehen, doch ist das Abbilden zum einen ein Festhalten an der Vergänglichkeit der Schöpfung und zum anderen ein versteckter Ausdruck der Verehrung der Schöpfung. Also versteckter Schirk (Götzendienst). Ein Spiegel spiegelt die Seele nur so lange, wie jene vor ihm steht. Ein Schatten verschwindet, wenn das Wesen aus der Sonne geht. Zeichnung, Photo, Film macht so viel Unterschied wie, Fuss , Pferd, Auto. Das sind technische Unterschiede, welche die Absicht des Nachahmers nicht verändern. Nicht die Technik der Abbildung ist von Bedeutung, sondern das Imitieren der Schöpfung, welches mit Photos nur schneller geschieht als bei der Malerei. Technik und Absicht werden verwechselt. Beim Abbilden einer Person entfernt sich der Abbilder vom Glauben an das Jenseits wie der Tourist vom Badestrand, wenn dieser die Situation der unbewältigten oder verdrängten Gegenwart für die Zukunft retten will; die Zeit gehört Allah; Angst vor Verlust der Beziehung; Versuch des Festhaltens; ein Mitteilen Wollen; alles verständlich, doch ganz klar gegen die Warnung Muhammads (der Friede und Segen Allahs seien auf ihm), dass derjenige, der die beseelte Schöpfung nachzuahmen versucht, am Tag des Gerichts von Allah gefragt werden wird, das Bildnis zu beleben und er wird dies nicht können. Sicher, es sind Unterschiede zwischen Götzen, Abbildungen wichtiger Menschen und dem Photographieren der eignen Kinder. Dass nur solche Bilder von Lebewesen, welche angebetet werden unerlaubt seien ist eine Erfindung.

 

Was ist verborgener Schirk?  Eine unsichere Überlieferung aus den Ansichten der Schüler oder Schüler der Schüler des Imam Malik (möge Allah seine Seele erhöhen) macht eine Trennung zwischen dreidimensionalen und zweidimensionalen und lebensgroßen und kleinen Abbildungen, wobei die zweidimensionalen Abbildungen erlaubt werden. Vor dem Hintergrund einer europäischen Medienlandschaft relativieren sich Bilder - wie Glühbirnen im Tageslicht. Die Frage: wozu kann denn schon ein Bild einer bestimmten Person an der Wand dienlich sein? Ein Gemälde, das den Charakter verdeutlicht ist manchmal noch besser als ein Photo auf dem nur die Hülle der Seele als scheinbar unverfälscht vorgetäuscht wird. Eine Frage des Kontexts? Womöglich; Straßenszenen haben einen anderen Zusammenhang. Nur Allah  ist der Wissende der Dinge. Und niemand von den Menschen kennt die Zukunft besser als Muhammad (möge der Friede und der Segen Allahs auf ihm sein) und niemand hat deutlicher mitgeteilt was denjenigen bevorsteht, welche die Schöpfung imitieren. Tdaharat (spirizuelle Reinheit) wird mit Hygiene verwechselt und Technik mit Absicht. Die eigenen Absichten zu kennen gehört zu den schwersten Aufgaben, welche Suufis erleben; der große Dschihaad.  

  

In Afghanistan sind vor allem die Turuuq (Wege) der Naqshbandi, Qadri und der Chistia verbreitet. Der Amir-ul-Mu‘miniin, wie Muhammad ‘Umar genannt wird,  gilt als Anführer der Taliban und aller Muslime des Gebietes und vielleicht auch darüber hinaus; wie der Titel das ausdrückt. Angeblich folgt er der rechtschule des Imam Abu Hanifa (möge Allah mit ihm barmherzig sein). Die wahabitischen, bzw.salafitischen Irrlehren konnten trotz gross er Bemühungen während des Krieges in Afghanistan nicht voll Fuss fassen. Die Spuren sind aber nicht zu übersehen. In Peshawar (pakistan) habe ich beobachtet, wie in Camps versucht wurde, mittellosen Waisenkindern und anderen das salafitische Gedankengut einzuflößen; finaziert von Saudi &Co.  

 

Herat aber, das war einst Zentrum vieler 'Auliaa'‘ (Heiliger), großer Gelehrter und bekannter Suufis und deren Muridiin (Schüler), möge Allah mit ihnen allen barmherzig sein. Mit Muhammad Akram, einem Bruder aus unserer Tariqah, zeichne ich einen Plan mit den Namen der bekanntesten in Herat begrabenen 'Auliaa'’ und Gelehrten. Er hat früher lange in der Khanaka unseres Scheichs gedient und studiert, war dort beliebter Sänger und ist jetzt in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er führt uns zum Grab des Khwaja Maulana Ansaari (möge Allah mit ihm barmherzig sein). 20 Minuten mit einem Minibus außerhalb Herats am Fuß der Berge. Allein dieser kurze Besuch ist Wert die ganze Reise mit allen Zollschukanen gemacht zu haben. Wer den Segen durch die 'Auliaa'‘ leugnet, der ist wie einer der Datteln iss t und sagt, die schmecken nach nichts. Ein Friedhofsgelände mit vielen rundberührten Marmorkanten kleinerer Gräber, umgeben von einer hohen Mauer. Am oberen Ende das große, mit blauem Holzgitter umgebene Grabmal. Am Fuß der steil aufragenden Berge. Möge Allah die Seelen der hier begrabenen Auliaa erhöhen und möge Allah deren Fürsprache für uns gewähren. Wir rezitieren Qur‘aan. Links und rechts des Weges zahlreiche Bettler die sich vermutlich Geld von den Besuchern erwarten. In ganz Afghanistan ist Armut und es gibt wenig Möglichkeiten etwas zu verdienen. Maulana Abdullah Ar-Rahmaan Al Jaami, Khwaja al Ghaltdaani, Maulana Ali Maufaq, Khwaja Taqi (möge Allah ihre Seelen erhöhen) sind ebenfalls in Herat begraben. Ich konnte nicht alle Orte besuchen. Vielleicht bauen Afghanen die Gräber zu groß. Richtig ist es nicht immer solche Gräber zu bauen, doch besser, als die Heiligen und ihre Anwesenheit zu vergessen. Auf dem Weg vom Zollhof zur Stadt liegt das Grab des Gelehrten Al Imaam al-Fakhru-d-Din-ar-Razi (möge Allah seine Seele erhöhen), gleich neben den großen verbogenen Minaretten; Umschlagbild vieler Afghanistanbücher, doch da geht es nur um die Bauwerke; die Kultur währen das Wesentliche nicht beachtet wird. Die Minarette bestehen im unteren Teil aus vollem Mauerwerk, kleine flache Ziegel, und so war es nicht möglich hinaufzusteigen. Die Moschee als Gebäude gibt es nicht mehr, und der Raum zwischen den Minaars besteht aus Erdhügeln. Eine Moschee bleibt aber immer Moschee; sie ist zuerst das Grundstück und nicht das beeindruckende Bauwerk: das Bauwerk ist weg, aber das Land, welches einmal zur Moschee bestimmt wurde, das bleibt immer Moschee. Die Aufgänge in die Minarette waren einst wohl höher oben durch die Moschee zu erreichen. Wie ein Götzendiener bin ich mit Bewunderung für das ehemalige Bauwerk herumgegangen und habe die zwei Rakaat Gebert zur Begrüßung der Moschee vergessen.  

 

Die neueren Konstruktionen sehen anders aus: Muslime aus allen Ländern lieben es, das Bestreben nach der Wissenschaft des Glaubens mit dem Streben des Diplomingenieurs, der dafür nach China reist, gleichzusetzen. Und die kindliche Vorstellung, dass durch nachgeholte Industrie die Islamische Gesellschaft zu einem besseren Funktionieren gebracht werde ist Standard geworden. Ich besinne mich dann wieder auf meinen staubigen Weg. Die neuen Plastikschlapfen haben Blasen hervorgerufen, so dass ich in etwas seltsamer Weise gehen muss. Nur wenige Häuser sind in Herat vom Krieg zerstört. Zurück im Inneren von Herat, überlege ich mir, welches der Geschäfte wohl das von Qasim, der mit den Schaffellmänteln war. Vor 30 Jahren, in einem Herat ohne Autos, haben dort die Hippies Haschisch geraucht und gewonnene Erkenntnisse wurden sehr ernst genommen. Nicht der Rausch wurde gesucht, sondern die Ernüchterung und Erkenntnis; zumindest hab ich das damals selbst so erlebt. Wissen oder Erleuchtung zu finden; Religion war dabei untergeordenete Formalität, man schwebte über den Religionen, die aber respektiert wurden. Ich glaube, die Taliban hätten diese Hippywahrnehmung so wenig verstehen können wie die Salafiten. Im Nachhinein zeigt sich die Vorbestimmung, Muslime zu werden, wie eine Kristallkette.  

 

Vom Hotelzimmer sah ich zum Bazar in/an einer der Hauptstraßen von Herat. Im Zimmer mein kranke Sohn zwischen Toilette und Bett. Auf der Strasse viele Frauen ohne Gesichtsschleier. War in Herat nicht so üblich. Einkaufen im Bazar. Ein Mann kauft - auf dem Esel sitzend - Seife ein; er riecht an einigen Stücken, reitet zum nächsten Geschäftswagen und vergleicht. Einzelne kleine Spezialhandlungen wie ein Supermarkt. Jede Früh nehmen die meist sehr jungen Verkäufer genau die gleiche Position ein. Ein zerbeulter russischer PKW mit weißer Fahne; ein Taliban, Schüler des religiösen Wissens. Niemand scheint sich um irgendetwas außer um seine eigenen Geschäfte zu kümmern. Kein Respekt für Taliban. Die große Mehrheit der Afghanen scheint die Taliban zu befürworten und es gibt daher wenig zu kontrollieren. Das Gesetz ist vor über 1400 Jahren bekannt gegeben worden. Die Verkehrspolizisten gehen in zerschlissenen Uniformen herum; sie wirken etwas fehl am Platz. Wir essen am Podium über dem Kanal. Der ist voll mit Nylonsackerln und faulendem schwarzem Wasser. Unser Restaurant am Kreisverkehr. Das Essen wird aus den Räumen über den Gehsteig getragen. Ein Händler, der gepamschtes Schampon verkauft hat, wird auf ein Plateau auf einem Fahrzeug um den Mitte des Kreisverkehrs geführt. Mit seinen Händen muss er die Schamponflaschen hochhalten während über Batterielautsprecher der Bevölkerung seine Missetat verkündet wird. Dann wird er zum nächsten Platz geführt. Wie in den Medien in Österreich. Information ist wichtig. Eine Unterhaltung für die Kinder, welche in großer Schar dem Wagen nachlaufen. Vielleicht verliert er eine Hand. Erwachsene Afghanen sind auch dabei. Was geschieht hängt zumeist von den Geschädigten ab;  wird dem Gauner verziehen, kann der Schaden ausgeglichen werden und die Sache meist erledigt.

 

Manchmal wird - zumindest angeblich - die Tochter als Ausgleich zur Frau gegeben. Alles hängt von den Umständen ab. Diebstahl aus Hunger wird nicht mit Handabhacken bestraft. Auspeitschungen werden öffentlich durchgeführt. Der Vollstrecker muss etwas unter den Arm klemmen, damit er nicht zu fest schlagen kann. Es ist eher die öffentliche Schande denn Schmerz. Bis auf das übliche Markttreiben ist alles Ruhig in der Stadt. Die Weintrauben und das frische, knusprige Brot schmecken vorzüglich. Die Spieße und der grüne Tee ebenso. Ein alte Frau wühlt aus einem Misthaufen irgendwas Brauchbares heraus. Laufend kommen Bettler und Verkrüppelte vorbei und jedes Mal wenn ich nichts hergegeben habe erfinde ich innerlich Ausreden. Viele Menschen sind durch den Krieg verstümmelt worden. Arbeit gibt es nur für wenige und mit Arbeit kann man höchstens für einen Tag die Nahrung verdienen. Wer mehr will muss Handel treiben: legal oder illegal.  In manchen verstaubten Geschäften finde ich alte Schmuckstücke; vor allem antike, geschliffene Halbedelsteine, Amulette, Messer usf. Das soll später in die Koffers bzw. zum Marktstand kommen.

 

Eine Gruppe Taliban besucht uns im Hotel; einfach nur so, sie haben von uns gehört und laden uns ins ehemalige Parkhotel, das jetzige  Hauptquartier von Herat - vermutlich zum Essen - ein. Vorläufig servieren wor ihnen zwischen unserem Hotelbetten Tee. Das Hotelpersonal mag die Taliban gar nicht; man spürt das; wir sind auch nicht die idealen Gäste. Im Parkhotel finden wir unsere Gastgeber allerdings nicht. Niemand kontrollierte uns im Hauptquartier und überall wo wir in Afghanistan waren konnten wir uns ungehindert bewegen. Ich wunderte mich über die europäischen Zeitungsmeldungen, die ich vor der Abreise gelesen hatte. Wir erfahren, dass iranische Diplomaten, welche Gegner der Taliban militärisch unterstützten, dabei ums Leben kamen. Iran droht jetzt mit einem Angriff. Militärübungen werden angekündigt. Die Grenze über die wir gerade eingereist sind ist wieder gesperrt. Mazar-i-Sharif im Norden des Landes, ist jetzt von den Taliban eingenommen worden. In den Nächten gibt es Ausgangssperre ab 22 Uhr.  

 

Mazar-i-Sharif ist die Hauptstadt des Nordens und das ganze Gebiet herum ist der Reichtum Afghanistans. Landwirtschaft und Bodenschätze, Teppiche, Tiere. Eine dichte Gegend im Vergleich zum restlichen Afghanistan. Die früheren Mujahidiin gerieten nach Vertreibung der Sowjets in die Haare und beschossenn Kabul viel schlimmer als die Russen es je getan hatten. Von den Taliban wurden sie vom Süden her langsam verdrängt und hielten sich (in der Not vereinigt) und mit Unterstützung des Iran und Usbekistans in den nördlichen Teilen des Landes auf. Heute wird lediglich noch das Panshiirtal gehalten. Es hat nur einen gangbaren Zugang und der ist so schmal, dass er leicht verteidigt werden kann. In diesem Tal sitzt der letzte im Land verbliebene Führer der ehemaligen Mujahidiin mit einer großen Menge von Waffen, so dass er sich dort angeblich jahrelang halten kann. Ab und zu werden Raketen nach Kabul abgefeuert. Das zahlt vor allem die EU bzw. Frankreich.  

 

Eine provisorische Zollgenehmigung nach sechs Tagen. Was uns fehlte war nur der Handelsschein; dann ist alles einfach. Weiter in Richtung Herat. 20 km, oder zwei Stunden lang fahren wir durch eine Allee aus sehr alten, hohen Kiefern. Ein Mal zuvor schon bin ich auf dieser Straße gefahren, nicht lange nachdem sie die Sowjets frisch betoniert hatten. Zuerst die Sowjets und später die Mujahidiin haben die Straßen aber wieder zerstört; russische Kettenpanzer haben die Fugen zwischen den Betonplatten in breite und tiefe Rillen verwandelt und die Platten selbst wurden zu Schaukeln. Bei unserer Ladung sehr Problematisch. Zuerst schlägt man mit den vorderen Reifen in die Rillen hinein und dann mit den hinteren u d schaukelt zusätzlich. Die Ladung bewegt sich kräftig. An wenigen Stellen nur wurde die feste Betonstraße gänzlich zerstört, doch fahren wir und andere Lastwagen oft abseits der Straße in Sand und Staub, um den harten Stößen auszuweichen, immer denkend, dass der andere Weg besser sei als der gerade benutzte. Jeder Versuch schneller als10 km/h zu fahren wird mit Verrutschen unserer Ladung bestraft. 1300 km sind vor uns. Wir können also bei 14 Stunden täglicher Fahrzeit und einem Schnitt von 10 km/h in 10 Tagen die Strecke bewältigen. Unsere Rechnung war richtig. Alle besseren Spekulationen waren falsch. Die Gurten scheuerten sich immer wieder durch. Die Kanister und Fässer der 1400 Liter Dieselvorrat aus dem Iran kippen um und bekommen Löcher. Immer wieder tropft Diesel. Mit Schläuchen tanken wir von hoch oben hinunter, doch es geht nicht mehr als wir verfahren können. Ein Mund voll Diesel beim Ansaugen. Ab jetzt sind wir täglich mehrmals damit beschäftigt unsere Ladung mittels Wagenhebern, Holzbalken, riesigen Nägeln, Drähten, Gurten und allerlei Werkzeugen in der staubigen Hitze neu zu befestigen. Unsere Ladung steht mit abmontierten Reifen, aber auf ihren Federn übereinander, so dass sich das Schaukeln und Schwanken gegenseitig verstärkt. Eine hoffnungslos falsche  Befestigung – unterwegs können wir da nichts mehr ändern. Wie bei einer falschen Glaubensgrundlage (Akida) war jeder Versuch der oberflächlichen Korrektur nur kurzfristig wirksam. Ein von einem ehemaligen PKW Motor betriebener Generator wurde mit einem Schweißtrafo betrieben und die abstürzende Bordwand war wieder angeschweißt. Der Tagesablauf ist regelmäßig: Morgengebet, Frühstück, Ladung neu befestigen, fahren, Ladung neu befestigen, Wasservorrat auffüllen, fahren, fahren, fahren, Mittagsgebet, fahren, Ladung neu befestigen und sonstiges Service, fahren, Ladung befestigen, fahren, Nachmittagsgebet und oft bleiben wir dann an dem Platz bis zum nächsten Morgen. Manche Plätze sind so schön, dass ich gerne länger bleiben möchte. Im Sommer sind die Tage lang. Kandahaar erreichen wir daher bereits nach sechs Tagen. Irgendwann haben wir es aufgegeben gegen die langsame Fahrweise zu revoltieren. Eine Gruppe afghanischer LKW-Fahrer befreundet sich mit uns; die müssen wegen der enormen Lasten fast täglich ein Mal einen geplatzten Reifen irgendwo auf der Straße reparieren. Jeden Abend treffen wir einander und essen zusammen. So kommen wir zu ausgezeichneten Köchen und werden täglich zum (Fett)-Essen aus drei Schnellkochtöpfen nebeneinander eingeladen. Das gemeinsame Gebet klappte manchmal. Am Anfang waren unsere Brüder doch etwas verwundert, dass wir Europäer sie zum gemeinschaftlichen Gebet anhielten. Wer Lesen und schreiben kann ist schon ein halber Gelehrter unter Analphabeten. Jeder kletterte dann müde in seine Schlafkabine. Die Profis fahren gleich nach dem Morgengebet - noch bei Dunkelheit - weiter. Untertags überholen wir unsere Berufskollegen, denn sie haben noch viel schwerer geladen und versuchen selbst bei besseren Stücken nicht, schneller zu fahren. Unsere Ladung verrutscht  regelmäßig und sie holen uns ein. Einmal haben sie mir eine Bordwand nachgebracht die ich unbemerkt verloren hatte. So ging es durchs ganze Land. Pannen sind ständig und für alle. Hitze und Kälte lassen sich nicht beschreiben. 

 

Eine Besonderheit sind die, manchmal bis zu einen Meter hohen Bodenwellen. Nach einem Tag Bodenwellen setzen sich diese im Schlaf fort. Luftfilter putzen. Die Kinder, Sulaimaan und Umar, unsere Beifahrer, die gewisse Dienste meist widerwillig erledigen, verlieren sich in Beschäftigungen als wären sie nicht auf einer Reise. Manchmal erreichen wir eine Ortschaft zur Gebetszeit. Granathülsen aus Messing säumen den Weg zur Moschee. Regelmäßig aufgestellte Panzergetriebe entsprechen Installation der Kunst. Panzerketten sind in den Boden eingelassen. Gräber am Rand der Straße. Vermutlich von Märtyrern. Ein Grab ist mit unzähligen Glassplittern und allem was der Krieg an Kleinzeug hinterlässt dekoriert. Einige Ziegenhörner und größere Steine. Ein Schahid ist gereinigt und wird ohne Waschung begraben. Wir wissen nicht wer das ist, doch beten wir für ihn.  

 

Ein großes Grabmal mit gepflegtem Rosengarten und wucherndem Jasmin kurz vor Kandahaar. Hier liegt der Gründer Afghanistans begraben. Seinen Namen habe ich vergessen. Kandahaar selbst ist - im Vergleich zu Herat - recht schmutzig und wirkt ungepflegt. Hauptsächlich Pashtunen und Belutschen leben hier. Die Weintrauben sind noch süßer und der Bazar viel dichter als in Herat. Sulaimaan und Umar am Werkzeugmarkt eine handgemachte Fuchsschwanzsäge, Eiscreme und andere wichtige Dinge. Wir schlafen eine Nacht in einem alten, englisch wirkenden Hotel und der Rezeptionist verlangt das Geld im Vorhinein; er hat offensichtlich Angst, dass wir nicht bezahlen.  

 

Kandahaar ist die Heimatstadt des Anführers der Taliban. Eine weiße Fahne weht vom Zentrum des kleinen Hauptquartiers. Die Taliban begannen in Kandahaar mit ihrem Feldzug zur Beruuhigung des ganzen Landes. Anderswo wird über die Qandahaaris gewitzelt und erzählt, sie schössen sich – als Mutprobe - selbst in den Oberschenkel. Kandahaaris folgen einer verpönten Mode indem sie ein Ende des Turbans bis zum Knie hinunterhängen lassen. Der Zollhof von Qandahaar ist knöcheltief mit feinstem auffliegenden Lehmstaub bedeckt. Um einige Unterschriften zu bekommen stehen wir dort einen ganzen Tag herum, ohne zu wissen wozu das nötig ist. Das machen alle so. Muhammad Naim kommt bei solchen Gelegenheiten regelmäßig in Wallungen, aber die Beamten lassen sich nicht aus der Ruhe bringen.  

 

Vom kalten Norden im Winter, ziehen die Gutschaan (Nomaden) mit hunderten Kamelen und tausenden von Schafen in einzelnen Gruppen langsam in den Süden. Die Frauen sind derart farbenprächtig angezogen, dass sie wie Perlen in der braungrauen Bergsteppe aussehen. Die Zelte aus schwarzen Ziegenhaaren. Ab und zu klare Quellen oder ein Fluss. Wir halten dann für längere Zeit an. Im geringsten fliess enden Wasser sehen wir Fische. Auch wenn das Wasser an der Oberfläche gleich wieder zwischen den Steinen fliess end verschwindet sind dort Fische und manchmal Krebse. Manchmal so viele Fische, dass wir uns nicht vorstellen konnten, wie sie ihre Nahrung finden. In einem Ort führen Erdstufen etwa 10 m tief hinunter in den Brunnen, doch unten ein starkes fliess endes klares Wasser mit Fischen. Das ist ein altes System. In langen unterirdisch angelegten Stollen sammelt sich Kondenswasser an den Wänden und wird zu klaren Bächen. das hat es viel im Iran gegeben, doch der Shah hat unte dem Befehl Amerikas die Stollen zerstören lassen und alle mussten dann Pumpen kaufen.

 

Richtung Kabul, der Hauptstadt Afghanistans, steigt die Landschaft ständig leicht an, denn Kabul liegt sehr hoch. Die meist fehlende oder von Geschossen zerlöcherte amerikanische Asphaltstraße ist nach der russischen Betonstrasse eine neue Version der löchrigen Geländefahrt. Manche Flächen sind mit rot bemalten und andere mit weiß bemalten Steinen gekennzeichnet. Manchmal sind ganze Hügel  voll von solchen Markierungen. Das sind Spuren der Entminungsdienste. Brücken haben große Löchern als Folge von Sprengungen oder sie sind gänzlich zusammengebrochen, so dass ein riskanter Umweg durch das Flussbett notwendig wird.  

 

Ein Autostopper brachte unerfreuliche Nachrichten. Die Amerikaner hätten gerade Raketen auf Jalalabad und Ghost geschossen. Der Zusammenhang blieb uns vorläufig rätselhaft. Es konnte aber nur gegen den Islam gerichtet sein; die Frage ist nur nach dem Vorwand? Auf Muhammad Naim wartet seine Familie in Jalalabad. Sofort sieht alles anders aus wenn möglicherweise die eigene Familie betroffen ist. In Kabul kam dann die Bestätigung; die Amerikaner hatten viele Raketen geschossen. Ein Terrorist hatte die Aktion notwendig gemacht.  

 

Islam ist keine Organisation und keine Politik wie das die Professoren der Universitäten darstellen. Islam gründet nicht auf Rationalität, wenn auch nichtsgrundsätzlich dagegen spricht. Muslime sind diejenigen, die an das Unsichtbare glauben...“  Islam beruht auf Glaube an Allah und der Liebe zu Muhammad, der Friede und Segen Allahs seien mit ihm. Glaube an Allah und an das Unsichtbare und die Lebendigkeit der Sunnah. Rationalität hat erst außerhalb des Paradieses zu wuchern begonnen. Vorher war Rationalität auf ein einziges Verbot beschränkt. Imam Ghazali sagt in der Einleitung zu seinen Erklärungen über die Sifaat Allahs: „der Mensch ist ein rationales Tier“;  Islam ist essentiell keine Organisation, sondern Unterwerfung der Nafs in die Organisation Allahs. Imaan (Glaube) ist ein Zustand des Herzens. Die von Ungläubigen gefürchtete Schar’iah ist ein Schutz gegen die dass niedrige Selbst auf dem Weg zu Allah. Alles sehr rational für den Gläubigen. Für den Ungläubigen oder Verwirrten, dessen Glaube nur auf dem Sichtbaren beruht, erscheint die Schar’iah bestenfalls als Sozialsystem, welches entsprechend den jeweiligen Zeiterfordernissen anzupassen sei. Schon die Engländer stellten bei ihrem Indiengeschäfen fest, dass ein angepasster Muslim eigentlich kein Muslim mehr ist und handelten, wie die Geschichte gezeigt hat, entsprechend diesem Ziel der Anpassung.

 

Spät in der Nacht bleiben wir müde stehen. Wo weiß ich nicht, wie üblich. Jedenfalls diesmal in einer Reihe mit vielen anderen Lastwagen. In der Nacht fährt kaum jemand und je näher es auf Kabul zu geht desto mehr gibt es Furcht vor Überfällen. Ein Erbe aus der Zeit bevor die Taliban regierten. Etwas abseits, weiter unten, ein Licht. Es ist ein Teehaus. Dort beten wir, während die anderen Besucher im Radio die neuesten Meldungen hören. Jetzt sind die amerikanischen Raketenangriffe wohl das Wichtigste.  

 

Im Jahresbericht 1998 von Amnesty International wird Afghanistan an erster Stelle der Menschenrechtsverletzter geführt. Insbesondere wegen des Fernsehverbotes und dem Verschleiern der Frauen. Wenn ich mir eine europäische Frau im Berufsleben vorstelle, wie sie sich den gefilmten Illusionen ergibt, dann denke ich, besser ohne diesen Fortschritt; doch ist das nicht zielführend. Auffallend, dass die große Mehrheit der Muslime glaubt, dass es ein (gutes) „islamisches“ Fernsehprogramm geben könnte. Sind denn nicht alle Fernsehkanäle die Garanten dafür, dass Islam als Kultur verstanden wird? Dazu gehören auch die aufgezeichneten (im Gegensatz zu „live“) Sendungen wie etwa  „Stimme des Islam“ in Österreich. Dekorativ aufgeschlagenes Buch, Plastikpalme, unechter Turban, der auf der Straße sofort abgesetzt wird, vermischt mit Rezitation. Eine ethnologische Selbstdarstellung. Kultur wie sie erwartet wird. Sendungen, in denen der Qur’aan unterrichtet wird dienen vorwiegend der Rechtfertigung für die Glotze. Wenn auch vereinzelt davon gelernt wird, so wirken derartige Sendungen doch behindernd bei den Bemühungen um einen Liveunterricht. Wegzudenken ist Fernsehen nicht mehr solange die Muslime nicht selbst merken wie schädlich das ist.  
 

Großteile der Außenbezirke von Kabul sind durch den Krieg vollkommen zerstört worden. Nicht einfach zerbombt, sondern gänzlich zerlöchert. Es bleibt unerklärbar wozu ein kaputter Telegraphenmast weiterhin beschossen wird. Keine Fabrik und keine größere Produktionsstätte scheint noch in Betrieb zu sein. Alles verlassen. Nur kleine Fortschritte sind bei Aufräumungsarbeiten festzustellen. Alteisen wird nach Pakistan verkauft. Man sagt, nicht die Russen hätten so viel zerstört, sondern die so genannten Mujahidiin in ihrem jahrelangen Kampf gegeneinander. Erst die Taliban stoppten diese Kämpfe und die Feinde wurden Verbündete. Unsere Reise durch Afghanistan wäre vor der Zeit der Taliban unvorstellbar gewesen. Ein Transport kam bestenfalls mit halber Ladung an. Jede Mujahidiin Gruppe kassierte mit Gewalt an beliebigen Mautstellen. Private Plünderer machten den Rest.  

 

Die Innenstadt von Kabul ist einigermaßen erhalten. Die weiße Fahne mit der Aufschrift „laa ilaaha illa-l-llah muhammedu-r-rasulu-l-llah“ flattert besonders groß vom Regierungsgebäude und vermittelt Ordnung. Alles ist Ruhig mit Ausnahme des üblichen Markttreibens. Die Hippies, sowohl als auch die Wodkasoldaten, welche hintereinander die Szene der Stadt prägten, fehlen; das Haschischverbot drängt die Konsumenten in den Hinterhof. Wenn ich mir einen Betrunkenen und einen Berauchten nebeneinander vorstelle, so wirkt der Berauchte dagegen nüchtern. In Österreich wird Alkohol noch immer nicht als das Rauschgift - an dem eindeutig die meisten Menschen sterben - erkannt. Keine Europäer in der Stadt außer uns? Botschaften sind geschlossen; symbolisch gesehen deshalb, weil Alkohol verboten ist. Die Talibaan sind im Alltagsleben kaum merkbar. Keine Sperren oder Bewacher wie dies von vielen Journalisten immer wieder berichtet wird. Viele Afghanen sind vor langem ins Ausland geflüchtet. Die Stadt hat an Bevölkerungsdichte stark abgenommen. Investitionen macht hier niemand. Wir besuchen das Grab eines Sahaabi (Prophetengefährte), möge Allah mit ihm zufrieden sein, und verlassen Kabul noch am selben Tag in Richtung Jalalabad.

 

Zurück in Österreich. Meine Kinder haben den Taschenfernseher der Nachbarn ins Haus geschmuggelt. Im Nachtprogramm: „Nacht über Kabul“. Eine makabre Selbstdarstellung einer österreichischen Jounalistin die sich ihren Show-Schleier ständig auf und ab zieht. Im Hintergrund Afghanistan. Im Vordergrund geht es um sie selbst und ihre Kühnheit beim Filmen. Das Vernünftigste in diesem Film sagte eine Angestellte eines Spitals, welche sich nicht filmen ließ: „...alle schimpfen immer über die Taliban anstelle zu helfen...“ Vielleicht ist diese Aussage aus Ermangelung von Filmmaterial oder irrtümlich nicht weg geschnitten worden. Die Journalistin unterstellte den Frauen, dass sich diese aus Angst nicht filmen ließen. Die Frauen leiden, wenn sie nicht gefilmt werden. In ihrer Arroganz hat sie dann noch ein paar Taliban mit Sofortbildkameras verführt um zu zeigen wie wenig die Taliban sich selbst an den Islam halten. Der Film hätte lauten müssen: „Meine eigene Geisteskrankheit zur Show in Kabul“.  

 

Eine deutsche Straße führt über Serpentinen entlang steiler Felswände tief hinunter in die Schlucht, welche kurz nach Kabul plötzlich beginnt. Die Hochebene und ihr angenehmes, trockenes Klima sind damit beendet. Von 2000 Höhenmetern auf einige 100 Meter Seehöhe. Ein Eintauchen wie in ein Dampfbad. Im Dunkel der Nacht erleben wir die Dimensionen dieser Schlucht vor allem durch Geräusche und vereinzelte Lichter der Lastwagen, welche fast senkrecht hunderte Meter tief unter uns herumleuchten. Starke Unwetter hatten die Straße beschädigt und mit Muren überzogen. Auch hier zeigt sich das Wetter abweichend, denn im Sommer regnet es nicht in Afghanistan fast nie.  

 

Abgesehen von Wasserlacken, Erdhaufen, Mittelmeerschwimmen, Kalaschnikovs, Eiscreme, einem Panzer, der auf einem Seil über die Felswand hinunter hing und Lastwagentypen, und Trockenfleisch hatten unsere Kinder währen der Fahrt wenig Interesse an den Eigenarten der Schöpfung. Auch nicht für diese tiefe Schlucht, in deren Mitte drei Taliban in einem Blechcontainer installiert sind. Alles rauscht und rinnt. Muslime mit Turban von denen wir uns nur durch das Nichttragen von Kalaschnikows unterscheiden. Steirer die der Sunnah folgen sehen Afghanen recht ähnlich und wir werden häufig verwechselt. Wir parken in der verbreiterten Kurve der Schlucht. Die einsamen Wächter freuen sich über unseren nächtlichen Besuch und wollen sofort zu kochen beginnen. Im Hintergrund tobt der Wildbach, manchmal gemischt mit vorbeifahrenden Motorengeräuschen. Wir packen unsere  Melone aus und essen. Ohne Melone hätten unsere Gastgeber vielleicht mittels Sprengladung einige Fische aus dem nahen großen Wildbach geholt und gebraten. Es war zu dunkel um den Wildbach gut zu sehen. Es ist dies die einzige Straße im Osten mit Wache in der Schlucht. Umar darf einen Schuss mit der Kalaschnikow abgeben; ein wichtiges Erlebnis. Originale sind das beliebteste Spielzeug - auch und erwachsenen Afghanen; sie sind oft wie Kinder. Sie sind stolz auf ihre Gewehre. In Afghanistan dürfe man alles tun sagen unsere jungen Beifahrer. Sie hatten schon vor langem beschlossen in Jalalabad ein Luftdruckgewehr zu kaufen und dann Vögel zu schießen. Die Polizei sagt nichts; Kinder dürfen Autofahren. Ein halbes Jahr später, in Österreich, wenn etwas nicht passt, sagen unsere jungen Beifahrer wenn sie etwas nicht dürfen: „Fahren wir doch nach Afghanistan! Diese blöde Schule; dort muss man nicht in die Schule gehen usf.“ Laut verhallt der Schuss. Was sich wohl jetzt gerade für Erlebnisse in den Seelen der Wächter abspielen bleibt, wie vieles andere, auf der Geheimnisliste. Mein Sohn Sulaimaan hat seinen Durchfall auch noch nicht überwunden; erst langsam, nachdem in Österreich

 

Die Raketen trafen in Jalalabad einen menschenleeren Hügel in der Gegend des Wohnhauses in welchem der angebliche Terrorist - vermutlich war Bin Laden gemeint - wohnte. In der Stadt Ghost aber, da wurden 20 Muslime getötet; nach amerikanischer Darstellung handelte es sich um eine Ausbildungsstätte für Terroristen. Von Aufregung war in Jalalabad nichts zu merken; außer, dass die Einrichtung eines UNO Büros zertrümmert worden war. Die österreichischen Geschenke werden jetzt aus den verstaubten LKWs geräumt; die Kinder der ganzen Strasse versammeln sich; eines schmutziger als das andere. Die letzte Arbeit vor dem Bad. Ein Haushalt nach einer solchen  Reise ohne  Komfort ist willkommen. Auch die Hunde der Straße versammeln sich vor der Tür und finden vor den Steinwürfen der Kinder unter unseren Lastwagen einen Zufluchtsort. Müsli, Haltbarmilch, Schokolade, usw.. Muhammad Naims Kinder sprechen längst Pashtu und die Eltern verstehen dann wenig. Unterricht in der Moschee; ein anderer Lehrer kommt ins Haus. Wenige Kinder nur wissen was eine Schule ist. Es stimmt, es gibt keine Mädchenschulen. Allerdings auch keine Bubenschulen. Es gibt schon lange gar keine Schulen. Kein Geld für Lehrer. Besucher wollen über unsere Reise hören. Internet funktioniert in Afghanistan noch nicht. Wo soll ein Muslim heute leben? Wo seine Kinder erziehen?  

 

Jalalabad bezieht viele Waren aus Pakistan; Mangos und Bananen sind hier zu sehen. Im Vergleich zu Kabul wirkt Jalalabad wohlhabend. Unsere Wege erledigen wir mit dem Fahrrad. Die Märkte sind zum Bersten voll; fast jeder verkauft dieselbe Ware, doch viele sind arm. Die Spuren des Krieges zeigen sich auch in dieser Stadt: nicht viele Zerstörungen durch Bomben, aber die gesamte Infrastruktur ist kaputt. Der Inhalt des Kanalsystems tritt von den Hauswänden auf die Straße; die Gruben sind kaputt und stinken. Umar ist jetzt wieder mit seinen Brüdern und Schwestern; er ist hier zu Hause und geht mit Sulaiman im Fluss baden. Einkaufen ist aber die Lieblingsbeschäftigungen.  

 

Im Polizeihauptquartier frage ich mich um einem Langzeit Visum für eine eventuelle Wiederkehr. Dabei gerate ich in eine Polizistenrunde im Zimmer neben dem Büro. Alle sitzen im Kreis auf dem Boden, trinken Tee und unterhalten sich mit viel Lachen. Hätte ich nicht schon gewusst welcher der Männer der Chef ist, ich hätte es nicht erraten können. Der Adab (Benehmen), welches viele Menschen hier noch haben ist bemerkenswert. Es gibt mehr Respekt vor Bildung als es Bildung gibt. Landwirtschaftssteuer gibt es auf Mohnanbau. Alkohol und Heroin sind verboten. Doch wie könnte das exekutiert werden wenn es keine Einkünfte gibt? Viele der guten Vorhaben wurden nicht verwirklicht, von manchen ist man weit entfernt und das wird sich kaum ändern. Verbote werden sehr individuell erlebt und gelebt. Männer unterdrücken Frauen und Frauen unterdrücken Männer - wie in Europa; das Interface (kulturelle Oberfläche) ist aber extrem unterschiedlich. Weintrauben - Angur - Èinab. Die Feinde der Taliban halten sich jetzt versteckt und schweigen. Die EU druckt Plakate auf denen unter farbenprächtigen Schleiern Frauen unsichtbar unterdrückt sind. Dazwischen ein unverschleiertes, strahlendes Kind, das „noch“ gesehen werden darf bevor es vom gleichen Schicksal ereilt wird. Amerika schickt Raketen. Die meisten Angelegenheiten werden von den Taliban auf bessere Zeiten verschoben.  

 

Beschwerdestellen gibt es nicht. Beamten der NGOs leben in den nobelen Hotels und verbrauchen ein Vielfaches von dem was sie für die Afghanen ausgeben. Am Anfang der Kriegswirren lebte ich mit meiner Familie in Peshawar, in Pakistan. Es gab um die siebzig „Non Governmental Organisations“ sprich NGOs und man sah ihre Chefs mit immer teureren Geländewagen herumfahren. Es gab viel Geld von überall - gegen die Sowjets; die bösen Schorawii. Die NGOs jedenfalls machten in dieser Zeit gross e Geschäfte.

 

Muhammad Naim und Umar blieben bei ihrer Familie in Jalalabad; Sulaiman trennte sich von den 5 Kindern und wir setzten unsere Reise im Taxi fort. Die mitgegebenen Briefe vergesse ich im Auto. Angenehm war das - ohne eigenes Fahrzeug. Exakt ab pakistanischer Grenze grelle Tonbandmusik, Portraits an vielen Wänden, flatternde Frauenhaare auf den Strassen, Bestechung überall, viele Verpackungen, Video bis in die Autobusse hinein und wesentlich öfter hat irgend jemand Eile. Im Zickzack fuhren wir weich gepolstert über den Khaiber Pass der mit seinen Waffenschmieden und Drogenküchen in vielen illustrierten Zeitungen Europas vermarktet wird. Die Rauschgiftkocher erinnern an die Schnapsbrenner in Österreich; zumindest in technischer Hinsicht. Die Ebene gegen das ehemalige Indien zu öffnet sich mehr und mehr. Seit einem halben Jahrhundert gibt es Pakistan. Der Khaiber Pass ist eine "staatsfreie" Zone, das Stammesgebiet, welches sich entlang der afghanischen Grenze bis in das südliche Belutschistan erstreckt. Dieses Areal wird von der Regierung immer weiter eingeengt doch ist es bis jetzt polizeifrei geblieben. Gerichtsverhandlungen finden in Pakistan manchmal hintereinander nach dem englischem Gesetz, der Shar’iah und zuletzt nach den Stammesgesetzen statt. Eines der Gesetze wird schon passen. Am Khaiber Pass gibt es aber nur Stammesregeln und ein pakistanischer Soldat begleitet uns im Taxi, damit wir nicht zum Zwecke späterer Erpressung entführt werden. Die Schmuggler mit den Eselkarawanen gehören zum Strass enbild. Ein Turkmene in Peshawar sagte mir einmal: in Pakistan sei die wirkliche Demokratie, jeder darf alles und es gibt alles: Heroin und  Heroinverbot, Polizeistrafen und Bestechung, Islam und Kufr, Naan und englisches Brot, usw.  

 

Kurz vor Peshawar liegt die Khanaka (Tekke) meines Scheichs Akhund Zada Saifu-r- Rahmaan aus Afghanistan. Sulaimaan, der sich auf seine erste Flugreise freute, kommentierte unseren Besuch: „so gut wie dort habe ich noch nie geschlafen“. Ein Vergleich zu Österreich ist ausgeschlossen. Die Schar’iah und die Hingabe des Herzens sollten identisch sein. Was für den einen Weiterkommen ist, ist für den anderen Untergang. Islam, Schar’iah, Sunnah, Tariqah sind verschiedene Oberflächen ein und der selben Realität. In Europa und auf den so genannten Islamischen Universitäten hat man die Oberflächen zu unabhängigen Einheiten erklärt. Wer darauf hereinfällt weil er sich mit den persönlichen Fehlern anderer zu stark beschäftigt, findet kaum mehr zurück. Islam (die Hingabe) oder Religio (die Rückführung) sind dann zu Worten oder politischen Ideen geworden.

  

Zurück in Österreich erhalte ich einen Brief: „...Ich habe gleich mal begonnen die ersten beiden LKWs abzuladen und für den Verkauf zu richten. Das war bei der Hitze anstrengend, aber nichts im Vergleich dazu, was mir hier in Kabul - von den Zollbehörden - abverlangt wird....“. Ich schrieb zurück: „...gut, dass ich nicht dabei sein musste...“. Die EU steht jenem allerdings kaum nach, denn die griechische Grenzstelle konnte erst durch Interventionen des österreichischen Handelsdelegierten und anderer Organe überzeugt werden, dass unsere Exportpapiere Gültigkeit haben. Die Finanzbehörde schrieb: „.....werden direkte Interventionen auf Grund von Einzelfällen bei Zollbehörden der Mitgliedstaaten nicht durchgeführt. Sie werden ersucht, sich wegen der anscheinend beim Grenzzollamt Kiron, Verwaltungsbezirk Kavala, unterbliebenen Austrittsbestätigungen an die griechischen Zollbehörden zu wenden.“  Es hat Monate gebraucht um die Mehrwertsteuer, welche für die exportierten Lastwagen bezahlt wurde, zurückzubekommen und möglich war es nur mit diplomatischer Hilfe. Dort hunderte Unterschriften und Stempel, hier DVR Nummern. Der eine glaubt an die Nummern; der andere eben nicht.  

 

Afghanistan hat Islam nicht realisiert sonder die Menschen versuchen nach Islam zu leben und es ist leicht, mehr Falsches denn Gutes zu finden. Afghanistan ist aber die einzige Gegend in der jetzt versucht wird entsprechend der Sunnah zu leben. Es ist unmöglich die Situation von Afghanistan irgendwohin zu übertragen. Alle Vergleiche die ich angestellt habe sind nur für denjenigen brauchbar, der verstehen will. Was verstehen will? Die Bestrebungen Afghanistans ein Islamisches Gebiet, ein Emirat zu sein, werden vielleicht mit seiner Anerkennung als Staat untergraben werden. Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte es. Zu viele Kompromisse werden nötig sein. Talibaan sind keine Politiker. Ich bin mir nicht sicher ob die Taliban dieses Spiel rechtzeitig durchschauen und auch wenn sie dies tun schauen viele mit. In Österreich glauben viele Menschen, dass Islam eine anerkannte Religion bzw. Kultur sei ohne zu wissen, dass Religion und Kultur zwei unterschiedliche Strukturen darstellen; zumindest nach dem üblichen Sprachgebrauch. Das arabische Wort „Diin“ bezeichnet Religion und Kultur noch in einem Wort weil zur Zeit der Offenbarung die Ethnologie, oder die Betrachtung von Leben als säkulare Wissenschaft noch nicht etabliert war. Glaube ist Kern der Religion; Religion ist Kern der Kultur; diese Offensichtlichkeit ist heute zum geheimen Wissen geworden. Die Einordnung in das Multikulturkonzept (durch professionelle Friedensstifter) ist ein politisches Ausländerproblem, bei dem verschiedene Arten von Teeküchen toleriert werden sollen. So gesehen nett und lobenswert. Nur die Anerkennung des Islam im Sinne des Glaubens erfolgt einzig durch seine Annahme im Herzen. Jalaludin Rumi, der „Afghane“, möge Allah mit ihm gnädig sein, sagt öfters in seinem Mathnawi ..“ und diese Geschichte hat kein Ende“. ...........“  

 

Auch Flugreisen sind anstrengend. Das Essen ist seltsam. Nie esse ich Fruchtsalat zum Frühstück außer im Flugzeug. Niemand kann allen alles recht machen, doch genau dies wird von den Flugzeugköchen erwartet. Die Gelehrten sind nicht einig ob nur Fische oder alle Seetiere für Muslime zu essen erlaubt seien. Das entscheidende arabische Wort ....   

 

Muhammad AbuBakr Mueller  

1419 / 1998  

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