Das ist nicht
das Vermächtnis der Opfer des Faschismus
Felicia Langer | Ramaḍaan
1422 / Dezember 2001 | Quelle:
http://www.korso.at/korso/global/langer.htm
Dass die Anschläge des 11. September und die darauf folgende
amerikanisch-britische Militäraktion in Afghanistan die öffentliche
Aufmerksamkeit von einer der zentralen Konfliktregionen des 20. und
des beginnenden 21. Jahrhunderts abgelenkt haben, ist
widerspruchsvolle Realität: Eben dort, in Palästina, liegt ein
wichtiger Schlüssel für die Hintergründe des anti-amerikanischen
Terrors.
Mit der in Deutschland lebenden israelischen
Menschenrechtanwältin, Trägerin des Alternativen Nobelpreises und
Kreisky-Preis-Trägerin Felicia Langer sprach KORSO-Herausgeber
Christian Stenner am Rande der Präsentation ihres neuen Buches "Quo
vadis Israel? Die neue Intifada der Palästinenser" im Afro-Asiatischen Institut über die aktuelle Situation und mögliche
Perspektiven.
Sie haben in Ihrem Referat
betont, die Solidarität mit den
Palästinensern müsse ähnlich sein wie die Solidarität gegen die
Apartheid – ist Israel ein Apartheidstaat?
Der
israelische Staat ist strukturell und manifest gewalttätig gegenüber
der arabischen Bevölkerung – in den besetzten Gebieten und in den
Autonomie-Zonen, die durch israelische Siedlungen, die Oberhoheit
Israels über die Umfahrungsstrassen, die die Siedlungen verbinden und
den unterschiedlichen Rechtsstatus von Kleinstgebieten in
bantustan-ähnliche Gebilde zerstückelt sind. In meinem Buch berichte
ich über die Willkürakte, denen die PalästinenserInnen ausgesetzt
sind – von der Enteignung ihrer Grundstücke für den Strassen- und
Siedlungsbau über die Zerstörung ihrer Häuser und Olivenhaine unter
dem Vorwand israelischer Sicherheitsinteressen und die Liquidierung
der Führer des Aufstandes durch Raketenangriffe und Autobomben –
ohne jedes gerichtliche Verfahren – bis hin zur alltäglichen
Demütigung an den unzähligen Kontrollpunkten und Strassensperren, wo
immer wieder entsetzliche Vorfälle passieren: In "Quo vadis Israel"
kommt zum Beispiel eine Palästinenserin zu Wort, die ihr Kind an
einer solche Sperre zur Welt brachte, weil man sie über Stunden
nicht zum Spital durchgelassen hatte, und die dabei noch von
israelischen Soldaten verhöhnt wurde. Israel kontrolliert darüber
hinaus 83% der Wassereserven in den besetzten Gebieten. Der Ausdruck
„Apartheid“ drängt sich in diesem Zusammenhang auf – ganz abgesehen
davon, dass die Palästinensergebiete seit 1967 in klarem Widerspruch
zum Völkerrecht besetzt sind.
Manchmal fällt es schwer zu
verstehen, dass im jüdischen
Volk, das durch das unsägliche und historisch einzigartige Leid des
Holocaust gegangen ist, nicht mehr Opposition gegen Menschen
verachtende Formen der Politik auftritt – auch wenn man sich als
Österreicher nicht die Legitimation anmass
en sollte, darüber zu
urteilen. Das Problem besteht darin, dass die
israelische Gesellschaft schon seit 34 Jahren als eine Gesellschaft
der Besatzer existiert. Es erodiert die moralischen Werte, wenn man
jahrzehntelang straffrei herrschen, unterdrücken und
UNO-Resolutionen ignorieren kann. So eine Gesellschaft verliert in
ihrer Mehrheit sukzessiv ihre moralischen Vorbehalte und Werte und
wird tendenziell rassistisch – dass z.B. Araber in Israel als faul
und dreckig bezeichnet werden, gehört zum Alltäglichen. Das erinnert
leider an das, was wir über uns selbst die längste Zeit hören
mussten. Der zweite Grund liegt in der totalen politischen,
wirtschaftlichen, finanziellen und militärischen Unterstützung durch
Amerika, die natürlich auch die herrschende Politik stärkt. Und
schliess
lich wurden auch jahrzehntelang Ängste geschürt, dass wir als
Überlebende des Holocaust noch einmal der gleichen Gefahr ausgesetzt
seien. Da wird dann alles zur Verteidigung: Erobern, Unterdrücken,
Enteignen, Beschlagnahmen und Zerstören sind dann
Verteidigungsmassnahmen. Die offiziellen Medien haben jahrelang
verschwiegen, dass wir sehr viele Möglichkeiten gehabt hätten,
Frieden zu schliess
en. Leider ist es nicht so, dass Leid den
Menschen zwangsläufig bessert; nur unsere Friedensbewegung und die
Menschenrechtsorganisationen ziehen die wirkliche Lehre aus dem
Holocaust, eine Lehre, die Menschlichkeit und Antifaschismus heisst:
Wir dürfen nie unterdrücken und gleichgültig für Leid sein.
Man hat Sie des Öfteren scharf
angegriffen, weil Sie die
Meinung vertreten, dass Israel den Holocaust für seine Politik
instrumentalisiert … Vorausschicken möchte ich: Ich bin
selbst, wenn auch indirekt, Überlebende des Holocaust, meine Familie
wurde im Holocaust vernichtet und mein Mann, dessen persönliche
Geschichte Gegenstand meines vorletzten Buches ist, hat mehrere
Konzentrationslager überlebt. Wenn man diese schrecklichen
Ereignisse dafür missbraucht, Kritiker an der eigenen Politik
mundtot zu machen, dann ist das sehr, sehr schlimm – das ist nicht
das Vermächtnis der Opfer des Faschismus. Schon Erich Fried hat sich
da sehr klar dazu geäussert, für ihn war die Tatsache, dass die
Israelis Menschen verachtende Politik betreiben, sehr schwer zu
ertragen.
Wie gehen Sie als politisch links Stehende damit um, dass
relevante Teile der deutschen Linken auf eine Linie der
bedingungslosen Unterstützung der Politik des Staates Israel
eingeschwenkt sind?
Diese Haltung hängt sehr stark mit
der erwähnten Instrumentalisierung von Schuldgefühlen zusammen; da
gibt es natürlich Unterschiede in der persönlichen Haltung. Es gibt
natürlich ehrliche Positionen, die aus einem tiefen – und zu Recht
bestehenden – Schuldgefühl kommen, bloss die Schlussfolgerung – dass
man Israel nicht kritisieren dürfe – ist eben falsch. Es gibt aber
auch opportunistische Positionen, die aus Bequemlichkeit jeder
Konfrontation aus dem Weg gehen, weil diese ja nur allzuleicht darin
münden, dass jemand gedankenlos Antisemit genannt wird.
Ich
versuche jetzt in Deutschland – und ich denke, auch mit ein wenig
Erfolg – klar zu machen, dass die israelische Politik kein Tabu sein
darf, auch deswegen, weil sie sich ja in letzter Konsequenz auch
gegen die Interessen der Israelis und des Staates Israel richtet.
Sie haben, wie viele andere Analytiker der Situation im
Nahen Osten, einen Zusammenhang zwischen den Anschlägen des 11.
September und der Lage der PalästinenserInnen hergestellt …
Ja, ich habe das am 14.9. in einer deutschen Fernsehsendung
gesagt – unter Protest eines amerikanischen Journalisten, der das
nicht dulden wollte. Das Reservoir des Hasses ist kolossal, und
dieser Hass richtet sich gegen die USA: Allen Beteiligten ist klar,
dass Israel seine Besatzungs- und Siedlungspolitik nicht 34 Jahre
lang ohne Unterstützung durch die USA betreiben hätte können. Wer
eine solche schreckliche Tat plant, muss nur aus diesem Reservoir
schöpfen.
Was die Selbstmordanschläge in Israel betrifft, hat
Mahmoud Darwisch, der berühmte palästinensische Autor, auf die Frage
nach der Motivation der Selbstmordattentäter sinngemäss gesagt, dass
die Bereitschaft der Palästinenser zum Tod damit zusammenhängt, dass
wir die Pforte des Lebens für sie verschlossen halten.
Alle Friedensbemühungen scheinen jetzt
gescheitert, der
begonnene Prozess hinter seine Anfänge zurückgeworfen …
Wir haben es dennoch nicht mit einer griechischen Tragödie zu
tun, die zwangsläufig mit Tod und Vernichtung enden muss. Die jüngst
geäusserten Pläne von Powell oder Mitchell sind allerdings in der Tat
vergebliche Liebesmüh; es gibt aber klare Lösungen, die dem
Völkerrecht entsprechen, nämlich die Räumung der Gebiete, zwei
Staaten für zwei Völker, die Respektierung des
Selbstbestimmungsrechtes der Palästinenser und das Recht der
Flüchtlinge von 1948 auf Rückkehr. Der entscheidende Punkt ist, dass
Israel dazu gebracht werden muss, in diese Richtung tätig zu werden.
Dazu braucht es internationalen Druck und Solidarität mit den
Palästinensern und mit den israelischen Friedenskräften von allen in
der Welt, die sich für einen gerechten Frieden einsetzen.
|
Buchtipp:
Felicia
Langer: Quo vadis Israel? Die neue Intifada der
Palästinenser. Lamuv 2001.
Im gleichen Verlag sind auch einige weitere Publikationen
der Autorin erschienen, zB.: Lass uns wie Menschen leben.
Schein und Wirklichkeit in Palästina
(1996) |
|