Riba verstehen
IZ-Serie 05.10.2008
- 15.11.2004: Eine Studie über die muslimischen Regeln der Ökonomie - Von
‘Umar Ibrahim Vadillo (Quelle:
http://www.Islamische-zeitung.de/iz3.cgi?id=5192)
Es wird generell angenommen, dass es um die Dinge des
materiellen Wohlstandes niemals besser stand als heute. Die Annahme besteht,
obwohl wir gerade das mörderischste Jahrhundert der menschlichen Geschichte
hinter uns gelassen haben, welches zum ersten Mal den Einsatz von
Massenvernichtungswaffen gegen eine zivile Bevölkerung sah, die unglaubliche
Auslöschung des Ökosystems und die gröss
te jemals bekannte Zahl von
Hungernden. Dieses Elend gerät in Vergessenheit angesichts der allgemeinen
Annahme, dass eine durchschnittliche Person heute einen Lebensstandard hat,
der nicht seines Gleichen kennt.
Und doch gilt dies nicht für alle Menschen auf der Welt. Während für einen
kleinen Teil der Weltbevölkerung eine materielle Verbesserung erreicht
wurde, lebt die Hälfte der Menschen unterhalb der Armutsgrenze von zwei
US-Dollar pro Tag; kein Vergleich zu den Einkommen der gröss
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Verdiener. Dieses Ungleichgewicht im Wohlstand geht Hand in Hand mit einer
damit zusammenhängenden politischen und militärischen Unausgeglichenheit.
Während der Periode der massiven Verschiebung von Reichtum in eine kleine
Ecke der Welt, haben die Muslime einen immensen Teil ihres früheren
wirtschaftlichen und politischen Ranges verloren. Ihre politische Einheit,
vertreten durch das Khalifat, welches den Muslimen eine Stimme in der Welt
garantierte, wurde verheert. Stattdessen entstand unter der Führung und im
neuen rechtlichen Rahmen der Vereinten Nationen eine Anzahl winziger neuer
Länder. Grosse Teile unserer Bevölkerungen gehören zu der unteren Hälfte der
Einkommen, und alle muslimischen Bruttosozialprodukte vereint erreichen
nicht einmal zehn Prozent des Bruttosozialprodukts der USA. Politisch
geteilt, und Verlierer der wirtschaftlichen Verteilung, sehen sich die
Muslime nur der Aussicht gegenüber, die Verlierer der heutigen
wirtschaftlichen Ordnung zu sein. Unter dem Einfluss dieser Ordnung war eine
Erosion unseres sozialen und kulturellen Lebens unausweichlich, welche
wiederum zu der gesteigerten Wut und Frustration unserer Jugend geführt hat.
Das gegenwärtige System des Ungleichgewichts arbeitet selbst erhaltend,
indem es die Aufmerksamkeit der Menschen von wirtschaftlichen Fragen ablenkt
und auf politische Angelegenheiten fokussiert. Die ökonomische Seinsweise,
die dieses Ungleichgewicht verursacht, wird wegen der Überlagerung durch
politische Debatten als gegeben erachtet. Unter diesen Umständen wird die
wirtschaftliche Ordnung nicht hinterfragt, was ihre Fortdauer garantiert. In
ihrem Kern beRuuhht die wirtschaftliche Seinsweise, die wir Kapitalismus
nennen, auf Wucher. Wucher ist in sich selbst ein Ungleichgewicht.
Mechanisierter Wucher hat durch die Transmission durch das Bankwesen seinen
kriminellen Vertrag in ein Mittel zur ökonomischen Beherrschung verwandelt.
Eine Gesellschaft, die die Dynamiken dieser Welt nicht versteht, wird es
schwierig finden, ihre Ziele zu verwirklichen. Sie wird mit der Emotion des
Augenblicks fortgefegt. Das Verständnis von Riba ist wesentlich, um den
Kapitalismus zu verstehen. Dieses Islamische Verständnis von Riba ermöglicht
es, in den muslimischen Ländern Handlungsweisen wieder zu errichten, die
helfen, die jetzige Misere überwinden zu können. In diesem Text möchten wir
einen Blick auf die Frage nach Riba werfen.
Allah
sagt im Qur’an (Al-Baqara): „Allah
hat den Handel erlaubt und den
Wucher verboten.“ Riba steht für das Gegenteil von Handel, sie ist das
Verderben des Handels. Es kann keinen Handel mit Riba, noch Riba mit Handel
geben. Und doch wurde dieses Element zum Kern des heutigen Gesichtes von
Kufr: dem Kapitalismus. Aus diesem Grund ist dies die wichtigste politische
Frage, der sich die muslimischen Nationen unserer Tage gegenüber sehen. Sie
beeinflusst jeden Aspekt unseres Lebens.
Trotz ihrer Wichtigkeit bleibt das Verständnis der meisten Muslime darüber
zumeist oberflächlich. Die meisten Leute verstehen Riba als blosse Zinsen.
Die Wirklichkeit davon aber ist eine viel komplexere Angelegenheit. Dieses
Missverständnis ist nicht nur ein Irrtum, sondern das Ergebnis einer
falschen Ausbildung und einer Indoktrination, die sich aus zwei Quellen
gespeist hatte: der Zerstörung einer existierenden politischen Ordnung und
dem Prozess der so genannten „Islamischen Reform“, der ihr folgte. Dieses
Missverständnis eröffnete die Tore für die „Islamisierung“ der wichtigsten
kapitalistischen Einrichtung: der Bank. Was der offene Marktplatz für den
Handel ist, ist die Bank für Riba.
Eine „reformierte Riba“ erlaubte den neuen Förderern der „Islamischen Bank“
ihre Handlungsweise zu rechtfertigen. Aus diesem Grund ist es notwendig, zu
einem korrekten Verständnis im Fiqh [dem Islamischen Recht] dieses
Kernbegriffes zurückzukehren, was uns wiederum die Unterscheidung zwischen
Halal und Haram erlaubt.
Diese kurze Einleitung versucht, so einfach wie möglich der Frage nach dem
Wucher im Islamischen Recht nachzugehen und die Missverständnisse die von
den „Reformern“ und modernistischen Gelehrten erzeugt worden sind, zu
beheben.
Riba bedeutet wörtlich verstanden im Arabischen „Exzess“ oder „Überschuss“.
Qadi Abu Bakr ibn Al-’Arabi definiert sie in seinem „Ahkam Al-Qur’an“ [einem
der Standardwerke über die aus Qur’an abzuleitenden Rechtsurteile] wie
folgt: „Jeder Überschuss zwischen dem Wert der gegebenen Güter und ihrem
Gegenwert (dem Wert der empfangenen Güter).“
Dieser Überschuss verweist auf zwei Punkte: 1.) ein zusätzlicher Nutzen, der
aus einem ungerechtfertigten Anstieg in Gewicht und Mass erwächst und 2.) ein
zusätzlicher Nutzen, der aus einer ungerechtfertigten Verzögerung einer
Transaktion erwächst.
Die beiden Aspekte haben unsere Gelehrten dazu geführt, zwei Arten von Riba
zu bestimmen. Ibn Ruschd sagte: „Die Juristen haben sich ebmütig über Riba
im Buju’ (Handel) geeinigt. Dieser besteht aus zwei Arten: Verzögerung (Nasi’ah)
und festgelegter Überschuss (Tafadul).“ Daraus folgt, dass es zwei Arten von
Riba gibt:
• Riba Al-Fadl (Überschuss des Mehrwertes); bezieht sich auf Mengen • Riba
An-Nasi’ah (Überschuss in der Verzögerung); bezieht sich auf zeitliche
Verzögerungen Riba Al-Fadl ist sehr einfach zu verstehen. Bei einem Kredit
ist Riba Al-Fadl der Zinssatz, der erhoben wird. Allgemein bedeutet er das
Verlangen einer Partei nach einem zusätzlichen Anwachsen des zu erhaltenen
Gegenwerts. Eine Seite gibt im Austausch für etwas, was einen Wert von 110
hat, etwas, das einen Wert von 100 besitzt. Dies ist auch der verbotene
Fall, bei dem zwei Verkäufe durch einen einzigen Vertrag verbunden werden
(bekannt als „zwei Transaktionen in einer“), bei dem eine Partei
verpflichtet wird, etwas zu einem Preis zu kaufen und es nach Ablauf einer
gewissen Zeit dem eigentlichen Verkäufer zu einem geringeren Preis
zurückzuverkaufen. Tatsächlich ist dies nur ein Mittel, um unter dem Vorwand
eines Verkaufes einen Kredit mit Zinsen zu tarnen. Niemand braucht heute
diese Maskerade mehr, denn man erhält diesen Kredit direkt bei einer Bank.
Aber die „Islamischen Banken“ haben auf diesen alten Trick zurückgegriffen,
um ihre Kunden mit dem fehlgedeuteten Namen „Murabaha“ zu täuschen.
Das Verständnis von Riba An-Nasi’ah ist komplexer. Dabei handelt es sich um
einen Überschuss an Zeit (Verzögerung), der dem Austausch hinzugefügt wird.
Dieser bezieht sich auf den Besitz (‘Ain) und den Nichtbesitz (Dain) des
Zahlungsmittels (Gold, Silber und Lebensmittel, die als Geld benutzt
wurden). ‘Ain ist eine fassbare Ware, häufig auch als Bargeld [im Sinne von
in sich werthaltigen Gütern] bezeichnet. Dain ist ein Zahlungsversprechen,
eine Schuld oder alles, dessen Lieferung oder Auszahlung verzögert wurde.
Der Austausch (Safr) von Dain für ‘Ain bei der gleichen Ware wird als Riba
An-Nasi‘ah bezeichnet. Der Austausch Dain für Dain ist ebenso verboten. In
einem Verkauf ist es nur erlaubt, ‘Ain für ‘Ain zu tauschen.
Dieses Verbot wird durch viele Überlieferungen zu dem Thema unterstützt.
Imam Malik überlieferte, dass er Al-Qasim ibn Muhammad sagen hörte: „‘Umar
ibn Al-Khattab sagte: ‘Einen Dinar für einen Dinar und einen Dirham für
einen Dirham und ein Sa’ [muslimisches Mass] für ein Sa’. ‘ Was später
eingesammelt werden soll, kann nicht für etwas Anwesendes verkauft werden.“
Der hanafitische Gelehrte Abu Bakr Al-Kasani (d.h. 587 n.H.) schrieb: „Was
Riba An-Nasa’ betrifft, so ist dies der Unterschied (Exzess) zwischen der
Beendigung der Verzögerung und der Zeit der Verzögerung und der Unterschied
(Exzess) zwischen dem Besitz (‘Ain) und Nichtbesitz in jenen Dingen, die
gemessen und gewogen werden können. Dies betrifft sowohl Dinge gleicher Art,
wie auch unterschiedlicher Art.“
Riba An-Nasi’ah bezieht sich insbesondere auf den Gebrauch von Dain in einem
Austausch (Sarf) der gleichen Art. Aber das Verbot dehnt sich auf Verkäufe
im Allgemeinen aus, wenn das Dain, welches für Geld steht, seine private
Natur verliert und das ‘Ain als allgemeines Zahlungsmittel ersetzt.
Zu den vergessen Elementen Islamischer
Rechtlichkeit gehören die qur’anischen und prophetischen
Anweisungen und Verbote bezüglich der Riba. In seinem Text, wie
schon im ersten Teil, geht der Gelehrte Umar Ibrahim Vadillo auf
das Phänomen Riba und seine Stellung im Islamischen Rechtskorpus
ein.
Riba An-Nasi’a, welches ebenfalls nicht erlaubt ist, ist die
Nutzung von Dain (Schuldversprechen) als Zahlungsmittel. Dies
illustrierte Imam Malik in seiner „Muwatta’“: Er überlieferte,
dass ihm übermittelt wurde, dass den Leuten in der Zeit [des
Gouverneurs] Marwan ibn Al-Hakam Belege (Sukukun) für die
Produkte des Marktes Al-Dschar ausgegeben wurden. Die Leute
kauften und verkauften diese Belege, oder besser Schuldscheine,
unter sich, bevor sie sich diese Waren liefern liess
en. Zaid ibn
Thabit, einer der Gefährten des Propheten, kam zu Marwan ibn
Al-Hakam und warf ihm vor: „Marwan, machst du Wucher halal?“
Dieser entgegnete: „Ich suche Zuflucht bei Allah
, was hat das zu
bedeuten?“ Der Prophetengefährte erklärte ihm:: „Diese Belege,
die die Leute kaufen und verkaufen, bevor sie sich die Waren
aushändigen lassen.“ Darauf wies Marwan seine Wachen an, ihm zu
folgen, nahm die Belege den Leuten weg und händigte sie ihren
ursprünglichen Besitzern aus. Zaid ibn Thabit benannte diese
Belege, „die die Leute kauften und verkauften, bevor sie Waren
in Händen hielten“, gezielt als Riba. Es ist erlaubt, Gold und
Silber oder Lebensmittel als Zahlungsmittel zu verwenden, aber
man kann dies nicht mit einem Zahlungsversprechen (Dain) tun.
Darin gibt es einen ungerechtfertigten Überschuss, der nicht
erlaubt ist. Wenn man in Besitz von Dain ist, muss man zuerst
das ‘Ain (fassbare Güter), welches es vertritt, in Händen halten
und kann dann einen Austausch vollziehen. Dain (hier die Belege,
gegen deren Vorlage Waren ausgehändigt werden sollten) kann
nicht als Geld verwendet werden. Die allgemeine Regel beim
Handel ist, dass man nicht etwas Anwesendes verkaufen soll für
etwas, was noch nicht da ist. Diese Handlungsweise wird Rama’
genannt und gehört zu den verbotenen Kategorien von Riba. Imam
Malik erwähnte von ‘Abdullah ibn Dinar, der von ‘Abdullah ibn
‘Umar überliefert hat, dass ‘Umar ibn Al-Khattab die Muslime
anwies: „Verkauft Gold nicht gegen Gold, es sei denn es handelt
sie um das gleiche (sprich gleiches Gewicht und gleicher
Goldanteil). Verkauft nicht Silber gegen Silber und erhöht
keinen Teil davon über einen anderen. Verkauft nichts davon, was
da ist, gegen etwas, was nicht da ist. Wenn jemand euch bittet,
auf seine Zahlung zu warten, bis er in sein Haus gegangen ist,
dann lasst ihn nicht allein. Ich fürchte vor Rama’ für euch;
Rama ist Wucher.“ Rama’ gehört auf den Märkten der Welt heute zu
einer anerkannten Praxis. Dain-Währung (Papiergeld,
Schuldscheine) hat die Verwendung von ‘Ain-Währung (Gold und
Silber) ersetzt. Diese Praxis ist es, über die ‘Umar ibn
Al-Khattab sagte: „Ich fürchte mich vor Rama’ um eures willen.“
Der verzögerte Verkauf ist nicht nur auf [Edel-]Metalle
beschränkt, er umfasst auch Lebensmittel. Malik sagte: „Der
Gesandte Allahs, möge Allah
ihn segnen und ihm Frieden gegen,
verbot den Verkauf von Lebensmitteln, bevor sie den Markt
erreichen.“ Daher ist das verbotene Element in Riba An-Nasi’a
die Hinzufügung einer künstlichen Verzögerung, die nicht zur
Natur des Austausches gehört. Was heissen in diesem Zusammenhang
„künstliche Hinzufügung“ und die „Natur des Austausches“? Ein
Darlehen bedeutet eine Verzögerung, aber keinen Überschuss der
Menge. Eine Person gibt eine Menge an Geld als Kredit und nach
einer gewissen Zeit gibt der Schuldner die Summe ohne Überschuss
zurück. Das Mehr an Zeit ist gerechtfertigt und ist halal, aber
die Hinzufügung eines Überschusses in der zurück zu zahlenden
Menge ist ungerechtfertigt und ist haram. Dies wäre Riba Al-Fadl.
Eine Transaktion involviert weder Verzögerungen noch einen
Überschuss der Menge. Eine Person gibt ein Zahlungsmittel und
ohne Verzögerung erhält sie den Gegenwert. In einem Austausch
gibt es keinerlei gerechtfertigte Verzögerung. Wer eine Zahlung
verzögern will, der muss einen Kredit aufnehmen; man kann keinen
Kredit aufnehmen, der als „verzögerte Zahlung“ getarnt wird. Ein
verzögerter Austausch ist Riba An-Nasi’a. Eine Vermietung
involviert Verzögerung und Überschuss und ist halal. Wenn man
ein Haus mietet, dann nimmt man das Haus für eine Zeit in Besitz
(Überschuss) und gibt es inklusive der Zahlung der Miete
(Überschuss) zurück. Dieses Mehr an Zeit und Menge ist
gerechtfertigt und halal. Aber man darf nur jene Dinge
vermieten, die sich dazu eignen; dazu zählen Beispielsweise
Autos oder Häuser. Aber man kann weder Geld noch Lebensmittel
(verderbliche Güter) vermieten. Der Vorwand, Geld zu vermieten,
bedeutet die Korruption einer Transaktion und wird damit zu Riba.
Daher besitzt jede Transaktion ihre Bedingung, die sich nach
ihrer Natur orientiert. Man kann nicht die Bedingungen einer
Transaktion nehmen und sie auf eine andere übertragen, ohne dass
damit die betreffende Transaktion selbst korrumpiert wird. Die
Hinzufügung von ungerechtfertigten Bedingungen oder Exzess ist
Riba. Da Dain in sich selber eine Verzögerung darstellt, ist sie
auf private Transaktionen beschränkt und als allgemeines
Zahlungsmittel (Geld) verboten. Dain ist ein privater Vertrag
zwischen zwei Individuen und muss als solcher privat bleiben.
Der Transfer des Dain von einer Person zu einer anderen kann
Islamisch akzeptabel unternommen werden, aber nur durch die
Beendigung des ersten Dain und der Schaffung eines neuen. Das
Dain kann nicht unabhängig von den Gütern zirkulieren, für die
es steht. Der Besitzer muss die Ware an sich nehmen und kann so
das Zahlungsversprechen liquidieren. Dain selber kann nicht in
einem Austausch verwendet werden, auch nicht als Mittel der
Zahlung. Insbesondere ist es verboten, die Zakat [die
verpflichtende Wohlstandsabgabe des Islam] mit Hilfe der Dain zu
bezahlen. Islamische Reformer und modernistische Gelehrte haben
den offenen Versuch unternommen, Riba mit Riba Al-Fadl
gleichzusetzen und Riba An-Nasi’a zu ignorieren. Die Aussage „Riba
heisst Zinsen“ ist Teil dieses Missverständnisses. Dieses
Missverständnis begann mit den frühen Reformern, insbesondere
mit Raschid Rida. Dieser stellte eine neue Klassifikation von
Riba vor. Rida machte einen Unterschied in der legalen
Einordnung von dem, was er „Riba des Qur’an“ und „Riba der Sunna“
nannte. Rida war der Ansicht, dass die ursprüngliche Form von
verbotener Riba jene des Qur’an war und dieses Verbot zu aller
Zeit geltend sein müsse. Auf der anderen Seite, so seine
Ansicht, verböten die Texte der Sunna eine zweitrangige oder
weniger schwerwiegende Form von Riba, die - so seiner Meinung
nach - im allgemeinen verboten sei, aber im Falle der
Notwendigkeit (Daarura) erlaubt werden könne. Er vertrat die
Ansicht, dass die im Qur’an verbotene Form von Riba jene war,
die „Riba Al-Dschahilija“ sei. Dies sei der Fall, wenn eine
Person die ihr zugehörige Schuld nicht in einer festgelegten
Zeit bezahlen konnte und dann der Gläubiger die Summe oder den
Preis erhöht. Diese setzte Rida fälschlicherweise mit Riba
An-Nasi’a gleich. Wiederum sagte er fälschlicherweise, dass Riba
An-Nasi’a - dabei vollkommen dessen Bedeutung miss-verstehend -
nur dann haram sei, wenn ein weiterer Zins beteiligt sei. Daher
wurde der einfache Zins von Rida von dem Verbot ausgeschlossen.
Aus diesem Grund war er weiterhin der Ansicht, dass der einfache
Zins, der von Banken erhoben oder bezahlt wird, weder vom Qur’an,
noch von der Sunna des Propheten verboten sei.
Die
Nachfolger von Rida übernahmen im Grunde die gleichen Klassifikationen, aber
unterschieden sich von ihm in der Frage des zusammengesetzten Zinses. Sie
waren sich darin einig, dass die einfachen Zinsen haram waren, gleichzeitig
waren sie einer Meinung, dass das Prinzip des öffentlichen Nutzens (Daarura)
in diesem Fall anwendbar sei. auss
erdem betrachteten sie Riba Al-Fadl als
zweitrangig, den sie in Zusammenhang mit dem Tauschandel sahen. Die Wahrheit
ist, dass sowohl Riba An-Nasi’a als auch Riba Al-Fadl im Qur’an verboten
sind. Eigentlich werden Riba im Qur’an wie in der Sunna [der prophetischen
Lebensweise] gleich gesehen. Die Sunna dient nur als lebendiger Kommentar
des Qur’an. Die Art des Riba, die als Riba Al-Dschahilija bekannt wurde,
beinhaltet sowohl Riba Al-Fadl wie auch Riba An-Nasi’a. In einer derartigen
Transaktion wird die Zahlung verschoben (An-Nasi’a) im Austausch für eine
Erhöhung der ausstehenden Summa (Al-Fadl). Aber Riba An-Nasi’a umfasst mehr
als nur Riba Al-Dschahilija. Indem das wirkliche Wesen von Riba An-Nasi’a
ignoriert wurde, haben die modernistischen Gelehrten verhindert, sich mit
der Frage nach dem Papiergeld auseinandersetzen zu müssen. Wenn wir uns der
Frage zuwenden, dann folgt zuerst, dass Papiergeld sowohl als ‘Ain (realer
Wertgegenstand) als auch als Dain (Schuld) betrachtet werden kann. Wenn wir
die Tatsache anerkennen, dass Papiergeld einen Schuldschein darstellt, dann
folgt daraus, dass es eine Verpflichtung gibt, eine gewissen Menge an ‘Ain
zu besitzen. Dann kann Papiergeld von einem Islamisch-rechtlichen Standpnkt
nicht in einem Austausch verwendet werden und ist in zwei Handlungen
verboten: • Dain kann nicht gegen Dain getauscht werden. Papiergeld gegen
Papiergeld ist eine Schuld gegen eine Schuld, was im Islam verboten ist.
Imam Malik sagt: „[Die abgelehnte Transaktion] Verzögerung gegen Verzögerung
ist der Verkauf der Schuld eines Mannes gegen die Schuld eines anderen
Mannes.“ • Eine Schuld, die auf Gold oder Silber beRuuhht, kann nicht gegen
Gold und Silber getauscht werden, denn dies geht gegen das grundlegende
Verbot, welches von Imam Malik überliefert worden ist: Malik übermittelte
von Nafi’ von Abu Sa’id Al-Khudri, dass der Gesandte Allahs, möge Allah
ihn
segnen und ihm Frieden geben, sagte: „Verkauft kein Gold für Gold, auss
er ein
Gleiches für ein Gleiches, und erhöht keinen Teil über dem anderen. Verkauft
kein Silber für Silber, auss
er ein Gleiches für ein Gleiches, und erhöht
keinen Teil über dem anderen. Verkauft nichts, was nicht anwesend ist, gegen
etwas, dass anwesend ist.“ • Wenn wir anerkennen, dass Papiergeld ‘Ain ist,
dann entspricht sein Wert dem Gewicht des Papiers, nicht der gedruckten
Symbole. Wenn der Wert des Papiers durch Zwang erhöht wird, dann ist dieser
Wert verdorben und eine Transaktion nach Islamischem Recht ungültig. Das
Verständnis von Riba An-Nasi’a ist grundlegend, um diese Haltung gegenüber
Papiergeld verstehen zu können. Der Grund, warum die modernistischen ‘Ulama
eine so verdrehte Position gegenüber Riba einnahmen, liegt in der
Legalisierung des Bankwesens. Die Rechtfertigung verwandelte sich später in
das so genannten „Islamische Bankwesen“. Das Prinzip von Daarura, kombiniert
mit der Eliminierung von Riba An-Nasi’a, hat ihnen erlaubt, den Gebrauch von
Papiergeld zu rechtfertigen. Dies wiederum führte zur Anerkennung des
parziellen Reservesystems, welches die Basis für das zeitgenössische
Bankwesen bildet. Ein korrektes Verständnis von Riba An-Nasi’a eröffnet den
Blick auf Papiergeld als Form von Riba, denn dessen gewünschte Anwendung
geschieht auf eine Art und Weise, die im Islamischen Recht nicht erlaubt
ist.