Manche Japaner sprachen von der "christlichen
Bombe"
Peter Bürger 06.08.2005 Zum 60. Jahrestag der
Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki
Nur vage eingeweihte
Beteiligte an Transport und Einsatz der Atombombe im US-Militär sprachen
einfach von dem "Ding". Bis zum August 1945 gab es auch in der
japanischen Sprache kein gebräuchliches Wort. "Manche Japaner", so
schrieb Konrad Lübbert vor zwanzig Jahren, "nennen noch heute die
Atombombe die 'christliche' Bombe, weil sie von Christen entwickelt, von
Christen gutgeheissen und von Christen eingesetzt wurde." Tatsächlich
gibt es schon rein äusserlich einige Berechtigung für einen solchen
Sprachgebrauch.
Die weltweit erste Atombombenexplosion ist mit dem Gottesnamen des
christlichen Bekenntnisses verbunden worden: Bis heute wird die am 16.
Juli 1945 in New Mexico gezündete Atombombe gemäss ihrem Codenamen als
Dreifaltigkeitsbombe (Trinity) in den Geschichtsbüchern vermerkt. Eine
Gedenkplakette in White Sands (New Mexico) erinnert stolz an das Projekt
"Trinity". Damit ist die Sakralisierung der "Bombe" schon im Ursprung
ein Werk ihrer Macher und nicht eine späte Erfindung der Kritiker des "atomaren
Götzendienstes". Nach 1945 hat man es in den USA auch nicht als
Gotteslästerung empfunden, beispielsweise ein Atom-U-Boot "Corpus
Christ" (Leib Christi) zu taufen.
Vor dem ersten Atombombenflug am 5. August 1945 beteten die Christen des
US-Militärs auf Tinian, dass nicht etwa ein Fehlstart die ganze Insel in
die Luft sprengt. Die Bomberbesatzung für Hiroshima wurde von einem
Seelsorger mit folgenden Worten auf den Weg geschickt:
--Allmächtiger Vater, der Du die Gebete jener erhörst, die Dich lieben,
wir bitten Dich, denen beizustehen, die sich in die Höhen Deines Himmels
wagen und den Kampf bis zu unseren Feinden vortragen [...] Wir werden im
Vertrauen auf Dich weiter unseren Weg gehen; denn wir wissen, dass wir
jetzt und für alle Ewigkeit unter Deinem Schutz stehen. Amen.--
Später wird Helmut Gollwitzer zu diesem Gebet sagen, es verdiene, "als
Dokument christlicher Gotteslästerung, vor der die Lästerungen des
professionellen Atheismus im Osten zur Harmlosigkeit verblassen, in die
Kirchengeschichte einzugehen."
Die Japaner als Verächter des Glaubens?
Noch bis in die Gegenwart hinein stellt man in Hollywoodfilmen "die"
Japaner als Verächter des Glaubens dar, die - ganz wörtlich zu nehmen -
im Zweiten Weltkrieg Christen kreuzigen. Neuere Beispiele dieser Art
sind z.B. enthalten in Pearl Harbor (2001) und To End All Wars (2002).
Sollen solche Opfer-Ikonen womöglich den Skandal verschleiern, dass
Christen sich im Namen des Allmächtigen befugt sehen konnten, die Bomben
über Hiroshima und Nagasaki abzuwerfen?
Nagasaki allerdings war eine Stadt mit "christlicher Tradition" im 16.
Jahrhundert und später wieder ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Im 16. Jahrhundert zeigte sich im Zuge dieser Berührung mit dem
Christentum aus japanischer Sicht erstmals der Rassismus des Westens. Im
19. Jahrhundert führte die Begegnung mit dem Westen Japan auf die
internationale Bühne, wo es "den imperialistischen Staaten nacheifernd
schnell zu einer Macht wurde, die ihren Forderungen mit militärischen
Mitteln Geltung verschaffen konnte" (Florian Coulmas); bis dahin hatte
das Inselreich "fernab vom Weltgeschehen in selbstgewählter
Abgeschiedenheit seit zweieinhalb Jahrhunderten mit seinen Nachbarn in
Frieden" gelebt.
Die Atombombe traf nun 1945 einen Stadtteil Nagasakis, in dem
hauptsächlich arme Arbeiter, besonders Christen, lebten. Zerstört wurde
in Urakami die gröss
te christliche Kathedrale des Landes. Der katholische
Arzt und Radiologe Takashi Nagai (1908-1951), zunächst überlebender
Strahlenkranker, hat nach Verlust seiner Familie den - später verfilmten
- Roman "Die Glocken von Nagasaki" (Nagasaki no kane) geschrieben. Da er
die Atombomben-Anwender nicht anklagte, erteilte die US-Besatzungsmacht
1949 unter der Auflage eines Anhangs über japanische Kriegsverbrechen
die Druckerlaubnis.
Der christliche Autor spricht von einer Schuld der Menschen Nagasakis
(Torpedo- und Schiffbau) und von einem möglichen Sühneopfer seines
Stadtbezirks: "Ist nicht Urakami, der einzige heilige katholische
Distrikt Japans, erwählt worden, um durch Brand und Vernichtung als
Opfer auf dem Altar dargebracht zu werden und als Sühne für die im
Weltkrieg von der Menschheit begangenen Verbrechen?" Nach 1945 fand das
Christentum noch deutlichen Zulauf, und heute ist Nagasaki die
japanische Grossstadt mit dem höchsten christlichen Bevölkerungsanteil.
Die Sicht eines US-amerikanischen Militärgeistlichen
Pater George Zabelka war im Zweiten Weltkrieg kath. Militärseelsorger
für jene US-Flugzeugbesatzungen, die Massenbombardements über Japan und
auch die beiden Atombombenabwürfe ausführen mussten. Ein junger Mensch
erzählte ihm vom Gesicht eines kleinen Jungen, den er beim Tiefflug
Sekunden später mit Napalm auslöschen würde. Zabelka begegnete US-Soldaten,
die ihren Verstand ob der ausgeführten Befehle verloren. Doch er hielt
nicht eine einzige Predigt gegen das gross
flächige Töten von Zivilisten
und kann sich auch an keine diesbezügliche Bischofsstimme seines Landes
erinnern:
--Ich war fest überzeugt, dass diese Art von Massenvernichtung richtig
war; so fest, dass sich mir die Frage gar nicht stellte, ob das
überhaupt moralisch vertretbar war. Das machte die 'Gehirnwäsche', der
ich unterzogen wurde, ohne Zwang und Foltermethoden, einfach nur durch
das Schweigen meiner Kirche und ihre vorbehaltlose Zusammenarbeit mit
der Kriegsmaschinerie des Landes in tausend kleinen Dingen.--
In seinem Schuldbekenntnis erinnert Pater Zabelka an Nagasaki, die "gröss
te
und erste katholische Stadt Japans": "Man hätte ja erwarten können, dass
ich mich als katholischer Priester wenigstens gegen die atomare
Vernichtung von katholischen Ordensschwestern aufgelehnt hätte (drei
katholische Schwesternschaften sind an diesem Tag in Nagasaki ums Leben
gekommen). ... Ich habe es nicht getan. Ich war ... Erbe einer
Christenheit, die 1700 Jahre hindurch sich in Rache, Mord, Folter,
Machtpolitik und vorbeugender Gewalt geübt hatte, und das alles im Namen
unseres Herrn Jesus." (In den ersten drei Jahrhunderten vor Ausbildung
des Staatskirchentums war allen Getauften der aktive Kriegsdienst strikt
verboten.)
Seelsorge als GewissenbeRuuhhigung
Florian Coulmas erinnert in seinem Hiroshima-Buch an Charles W. Sweeney,
der als einziger US-Offizier bei beiden Atombombenabwürfen direkt
beteiligt war. Sweeny suchte bei einem Priester Rat zu moralischen
Aspekten seiner öffentlich gelobten Heldentaten. Er liess sich von dem
Geistlichen bestätigen, "dass 100.000 Menschen umzubringen nicht
schlimmer wäre als einen. Wichtig wäre allein, dass das in einem 'gerechten
Krieg' geschähe, einem solchen nämlich, der von einem legitimen Souverän
erklärt und zur Verteidigung des Gemeinwohls geführt würde."
Mit einer solch hehren Gewissheit über die gute Sache konnte US-Präsident
Truman, der verantwortliche Befehlsgeber der Atombombeneinsätze, das
Ende des Zweiten Weltkrieges schliess
lich zu einer Sternstunde des
christlichen Erbarmens erklären:
--Noch nie hat sich eine Nation mit den Machtmitteln der Vereinigten
Staaten von Nordamerika gegen ihre Freunde so hilfreich und gegen ihre
Feinde so gross
mütig gezeigt. Vielleicht war die Zeit angebrochen, die
Lehren der Bergpredigt zu verwirklichen.--
Christen für die Atombombe
Angebrochen war also ein Zeitalter, das Bergpredigt und
Massenvernichtung zusammenreimen konnte. Die breite Weltökumene der
Kirchen hat seit den 50er Jahren einen unmissverständlichen
Atompazifismus entwickelt, wenn auch ohne die entsprechende kirchliche
Verweigerungspraxis. Der Einsatz von Massenvernichtungswaffen gilt als "Verbrechen
an der Menschheit und vor Gott". Bis heute kommen die deutlichsten Voten
dieser Art gerade aus dem Mund von US-Bischöfen.
Doch immer wieder gab es auch anderslautende Stimmen von Christen.
Dreizehn Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde der deutsche
evangelische Professor Walter Künneth mit der Aussage zitiert: "Selbst
Atombomben können in den Dienst der Nächstenliebe treten."
Solche Blasen aus dem Kochkübel der Theologie zeugen von einer
Christenheit, die sich durch die Atombombe nicht erschüttern liess. Der
Jesuit Gustav Gundlach vermochte es 1958 im Rahmen der bundesdeutschen
Atomwaffendebatte, eine von Menschen produzierte totale Atomapokalypse
oder eine Art Sühnetod der ganzen Menschheit für verletzte Gottesrechte
als gottgewollt zu rechtfertigen. Sein Kampf für höchste ideelle "Werte"
kannte keine Grenze:
--Ja, wenn die Welt untergehen sollte dabei, dann wäre das auch kein
Argument gegen unsere Argumentation.--
Zwanzig Jahre später begründeten Starprediger der Fundamentalisten in
den USA die Pflicht zu einem wachsenden Nuklearwaffenpotential mit der
Bibel. Die Atombombe wurde nicht zuletzt deshalb begrüsst, weil sie
erstmals in der Geschichte das von apokalyptischen Evangelikalen so heiss
ersehnte Ende der Welt möglich machte.
In Heidelberg verhinderten noch Mitte der 80er Jahre christliche Bürger
- flankiert von einer konservativen Kampagne - den Einbau der
Kirchenfenster von Professor Johannes Schreiter in die Heiliggeistkirche.
Schreiter wollte mit seinem erbetenen Kunstwerk zwei Jahrtausende der
Menschheit seit Christus mit zentralen "Notationen" ins Bild bringen.
Besonders erregt hatte die Bilderstürmer für den rechten Glauben auch
das Physik-Fenster, in dem ein Atompilz an "Hiroshima" erinnerte. Woran
liegt es, dass viele Christen des 20. Jahrhunderts unfähig blieben,
einen zumindest mitmenschlichen Standpunkt gegenüber den neuen Methoden
der Massenvernichtung einzunehmen? Noch grundsätzlicher hat Rudolf Bahro
1983 in der Zeitschrift Publik-Forum zu Urheberschaft, Einsatz und
Eskalation der Atomrüstung gefragt:
--Ist eigentlich die atomare Abschreckung, technisch und als Prinzip,
die Konsequenz irgendeiner anderen Zivilisation als der westlichen, die
auch die christlich-abendländische genannt wird? --
Gewiss müsste der unvoreingenommene Historiker von einem fremden Stern
beim Studium der Zivilisation ab dem 4. Jahrhundert nach Christus zu der
Überzeugung kommen, das Christentum habe auf dem Planeten Erde - wenn
auch im Kontrast zu seiner Erlösergestalt - das Kriegshandwerk zur
höchsten Perfektion gesteigert.
Der Autor Peter Bürger ist kath. Theologe und Publizist. Anfang August
2005 erscheint sein Buch Hiroshima, der Krieg und die Christen (1). 203
Seiten; 15 Euro
LINKS
(1) http://www.friedensbilder.de/christenkrieg
Telepolis Artikel-URL: http://www.telepolis.de/r4/artikel/20/20564/1.html
Copyright © Heise Zeitschriften Verlag
|