Eigentum und
Beteiligung in der Islamischen Welt -
Das Interesse
des Islam für den Korporativismus
Von Claudio
Mutti
In den
siebziger Jahren ging das Gerücht um, dass die Botschaft der Volksrepublik China
in Rom auf der Suche nach Dokumenten und Studien über den Korporativismus war.
Seit ungefähr zehn Jahren ist es die muslimische Welt aus der entsprechende
Nachrichten über ein diffuses Interesse für die korporative Ordnung ausgehen. Im
September 1993, zum Beispiel, bildete sich eine auss
erkonstitutionelle
Versammlung von Muslimen, die Vertreter der spirituellen, kulturellen,
politischen, militärischen und sozialen Wirklichkeit Bosniens in Sarajevo
vereinte, der die Aufgabe zugeteilt wurde, die verschiedenen Gebiete des
nationalen Lebens zu koordinieren, die vielfachen sozialen Kräfte in Hinblick
auf das Gemeinwohl zu disziplinieren und zu harmonisieren. In diesem
Zusammenhang ergab sich die Erfordernis, die Produktionskräfte in Körperschaften
zu integrieren, die in der genannten Versammlung repräsentiert werden würden.
Der bosnische
Plan stellte den Versuch dar, ein Element, gerade das korporative, wieder zu
entdecken, das in der Vergangenheit die Gesellschaft des ottomanischen Islam
charakterisiert hatte. Um davon eine Vorstellung zu haben, und in der Erwartung
dessen, das jemand sich dazu entschliesst, die immer noch unveröffentlichte
Studie von Ernst Kantorowicz (des Mediävisten aus dem Stefan George-Kreis) über
die Korporationen im Islam zu publizieren, kann man inzwischen auf die Arbeit
von Robert Mantran verweisen, die bei Rizzoli veröffentlicht wurde. Dieser Autor
entwirft ein allgemeines Bild von der korporativen Struktur, in der die aktive
Bevölkerung des Ottomanischen Reiches organisiert war und streift im Überblick
die Gebiete des Handels, des Handwerks, der Industrie, der gross
en und kleinen
städtischen Berufe. Nachdem er die inneren organisatorischen Gegebenheiten der
Korporationen beschrieben hat, mit den betreffenden Beiträgen, Hierarchien,
Normen und Traditionen, beschäftigt sich Mantran mit den gesetzlichen
Mechanismen, die die Verbindung der Standesvertretungen mit der politischen
Sphäre sicherstellten, Verbindungen, die die Regulierung der ökonomischen
Aktivitäten und eine Verteidigung der Interessen der Mitglieder der
Korporationen beinhalteten. Man kann auf den Einfluss betonen, der auf die
Korporationen von verschiedenen initiatischen Organisationen ausgeübt wurde und
auf die direkten Kontakte, die zwischen dem Gebiet der Islamischen Esoterik und
jenem der Korporationen eng waren, bis zu dem Punkt das noch in jüngster Zeit
die Leitung einer jeden Korporation durch einen Sheikh dargestellt wurde, das
ist ein spiritueller Meister. Übrigens, hat nicht auch der Prophet gesagt, dass
"auch die Arbeit Gebet ist"?
Neben dem
skizzierten Korporationsprojekt in der verwirrten bosnischen Situation von vor
einigen Jahren, kann eine Wiederbelebung des korporativen Erbes in den letzten
Jahren in verschiedenen Kreisen der Islamischen Welt festzustellen ist.
In einer
Rede, die er 1992 in Rapallo hielt, sagte der Sheikh Abdalqadir al-Murabit unter
anderem: "Als es keine Banken gab, gab es die Korporationen. Die Korporationen
sind gegliederte Strukturen, die die Finanzierung jener erleichtern, die im
gleichen Beruf arbeiten. Als der Wucher vorherrschte, war das erste was er
zerstörte, die Korporationen. Das Gesetz der Bankiers hat die Korporationen
zerstört; die Wiedergeburt der Korporationen würde die Zerstörung der Bank
bedeuten."
Man halte
dies nicht für den frommen Wunsch eines gross
mütigen Utopisten. Es zeigt sich die
Tatsache, dass das Korporationsexperiment in einem Land im Gange ist, das nur ein
"Schurkenstaat" sein kann: dem Sudan.
Der Betreiber
einer Freundschaftsgesellschaft Italien-Sudan, Ali Schutz, hat nach der Rückkehr
von einem Besuch in dem afrikanischen Land von einer tiefgehenden
konstitutionellen Transformation berichtet. Die Notwendigkeit, sich gegen die
von den Vereinigten Staaten und Saudi-Arabien unterstützte sezessionistische
Guerilla zu verteidigen, hat das sudanesische Volk nicht davon abgehalten eine
politische Form auszuarbeiten, die im Einklang mit seiner Tradition und den
Prinzipien des Islam steht. "Man strebt danach", sagte Schutz zu uns, "das
demokratisch-parlamentarische Systems westlichen Zuschnitts (von den britischen
Kolonialisten als das einzig mögliche
vorgeschlagen) zu ersetzen durch eine organische Ordnung, die so gegliedert ist,
dass sie die natürlichen und traditionellen Realitäten in den Vertretungen
ausdrückt. Eine Ordnung, und zwar so, dass die die Parteiorganisationen durch die
Standesvertretungen, bestehend aus den religiösen (muslimischen, christlichen
und anderer) Gruppen und den Berufs- und Handelskorporationen ersetzt werden."
Die
Wiederentdeckung des korporativen Erbes wird in der Welt des Islam von einer
Aufwertung der sozialen und ökonomischen Lehren begleitet, die vom Koran und den
Anweisungen des Propheten inspiriert sind, die das Ziel hat, den Zugang zum
Eigentum und der Unternehmensführung zu erleichtern, sowohl in der Industrie als
auch in der Landwirtschaft und dem Handel. Der gröss
ere Teil der gesetzlichen
Formen, die dies zu erreichen beabsichtigen, kehren zurück zu dem Typus des
sogenannten Shirkat, das ist eine "Gesellschaft", an der Kapitalbesitzer,
Angestellte, Techniker und Arbeiter beteiligt sind. Eine besondere Form ist die,
die in der arabischen Terminologie der Islamischen Rechtssprechung al-mudabarah
oder al-muqaradah genannt wird: dabei handelt es sich um eine Gemeinschaft
zwischen Kapital und Arbeit, bei der der Prozentsatz des Gewinns im
gegenseitigen Einverständnis festgelegt wird, während die möglichen Verluste
nur von der Seite der Kapitaleigentümer getragen wird.
Aber auch das
Konzept des Kapitals erhält im Islam eine ganz besondere Bedeutung. Vom
Islamischen Standpunkt kann nur Gott die absolute Eigentümerschaft der
materiellen Güter zugeschrieben werden; dem Menschen, Statthalter und Vikar
Gottes auf Erden, wird für eine bestimmte Periode die Erlaubnis des Gebrauchs
zugeteilt, so dass Gott der tatsächliche und absolute Herr ist.
Und nur in
einem relativen Sinn kann es gesagt werden, dass der Mensch Eigentümer ist; in
Wirklichkeit ist er der Verwahrer eines Besitzes, der ihm vom Herrn der Welten
anvertraut wurde. Auf der Grundlage dieses fundamentalen Prinzips, festgelegt
vom Koran und in verschiedenen mündlichen Überlieferungen (aHadiith) des
Propheten Muhammad erläutert, hat die Islamische Rechtssprechung eine Reihe von
Normen formuliert. An erster Stelle, das Eigentumsrecht wird betrachtet als das
Recht vom Reichtum Gebrauch zu machen; der Folgesatz hierzu ist, dass der
Eigentümer das Recht auf das Eigentum solange besitzt, so lange er von ihm
Gebrauch macht, daraus kann geschlossen werden, dass er es verliert, wenn er zur
Gänze oder teilweise aufhört es zu verwenden. Einem hadiith folgend, hat der
Prophet
gesagt: "Wer
ein Land hat, muss es kultivieren. Wenn er nicht in der Lage ist, dies zu tun, so
muss er es einem muslimischen Bruder übergeben." Das persönliche Eigentum kann
daher übertragen werden; aber die notwendige Voraussetzung hierfür ist es dass
der Empfänger in der Lage ist, von ihm Gebrauch zu machen. Es erscheint daher
als offensichtlich dass der Islam dem persönlichen Eigentum eine soziale Funktion
zuschreibt. Das wird deutlich bestätigt in den Zeugnissen der ökonomischen
Lehre, wie sie von den Doktoren der Sharia (dem heiligen Gesetz) abgefasst
wurden, wie beispielsweise in der Abhandlung von Abdul Hamid Ahmad Abu Sulayman,
veröffentlicht 1960 in Kairo. "Die koranischen Verse und die überlieferten
Aussprüche des Propheten". so schreibt der Autor, "erklären, dass der Mensch auf
die Welt mit leeren Händen kommt und dass er wächst und sich bildet dank der
Hilfe Gottes und der Gemeinschaft... Daher liegt auf jedem persönlichen Eigentum
ein öffentliches Recht. Kein Eigentum darf einem einzelnen überlassen werden,
falls sich dieser als nicht verständig und nicht fähig davon Gebrauch zu machen
erweisen würde... Niemand sollte behaupten, dass der persönliche Besitz in der
Produktion nicht ein Thema von erstrangiger Wichtigkeit wäre. Das Recht des
Menschen von seinem Besitz Gebrauch zu machen hängt vom Recht und den Interessen
der anderen Angehörigen der Gemeinschaft ab." Tatsächlich besteht keine
Divergenz der Meinungen unter den Islamischen Rechtsgelehrten über die
rechtlichen Ansprüche des Einzelnen, dahingehend dass die persönliche Freiheit in
den Fällen, in der sie die Interessen von anderen schädigt, ihre Einschränkungen
erleidet.
Neben dem
persönlichen Eigentum sieht der Islam auch die Existenz des öffentlichen
Eigentums vor. Nach einem hadiith hat der Prophet ausdrücklich drei Dinge
erwähnt, das sind "das Wasser, die Weide, das Feuer", um all jene natürlichen
Resourcen von allgemeiner Nützlichkeit durch Beispiele zu erläutern, die, wenn
sie persönlichen Besitz bilden würden, Vorurteile in das gemeinschaftliche
Zusammenleben bringen könnten. Der Prophet selbst hat, nachdem er erfahren
hatte, dass ein Grundstück, das er einigen Personen zugesprochen hatte, reich an
Lagerstätten sei, die bereits getroffene Entscheidung zurückgenommen und es zu
öffentlichem Eigentum erklärt. Nach diesem Beispiel werden die Bodenschätze als
öffentliches Eigentum betrachtet; was die Möglichkeit betrifft, die Minen an
Private zu vergeben, so sprechen sich viele Rechtsgelehrte, insbesondere die der
malikitischen Rechtsschule, dagegen aus. Mehr noch, sie streben danach, Wälder,
Seen, Strassen, Kanäle, Parks, Moscheen usw. in öffentlichen Besitz zurückkehren
zu lassen.
Aber das
Islamische Denken betrachtet auch Zakah, Kharaj und Jizyah als "öffentliches
Eigentum". Was den Zakah (wörtlich: "Reinigung") betrifft, so bildet er einen
der fünf "Pfeiler" des Islam. Wenn man von seiner spirituellen Bedeutung und
seinem ethischen Wert absieht, dann kann gesagt werden, dass der Zakah eine
prozentuellen Steuer darstellt, die jährlich auf Kapital erhoben wird und für
acht Kategorien von sozialen Ausgaben bestimmt ist, die in Vers 60 der neunten
Sura des Korans verzeichnet sind. Im Fall des Kharaj (Bodensteuer) und des
Jizyah (auferlegte Pflicht der religiösen Minderheiten für die Garantien und
Privilegien, aufgrund der Vereinbarung mit der Islamischen Autorität) neigen
muslimische Rechtsgelehrte und Ökonomen dazu, von "staatlichem Eigentum" zu
sprechen; tatsächlich sind einigen zufolge, "Kharaj und Jizyah die beiden
wichtigsten Kategorien des Staatseigentums, in dem Sinne das der Staat die
uneingeschränkte Autorität ihrer Einhebung und Zuteilung besitzt." (S.M.Yusuf)
Von solchen
Konzepten ist das Werk eines Dichters und Philosophen des muslimischen Indiens
inspiriert, Muhammad Iqbal (1877-1938), der sicherlich in manchen Versen wie ein
Bruder im Geiste von Ezra Pound erscheint: nicht nur wegen der Sympathie mit der
er Italien, den Faschismus und Mussolini betrachtete, sondern auch wegen der
Art und Weise, in der er ökonomische Themen und vor allem die Polemik gegen den
Wucher in höchste Dichtung zu verwandeln verstand. In dem Javed-nama, dem
poetischen Bericht über einen himmlischen Aufstieg, den der Autor unter der
Führung des gross
en spirituellen Meisters Gelaleddin Rumi vollbringt, finden wir
Ausdrücke, die den exakten Sinn der Islamischen Auffassung des Eigentums
übermitteln können: "Um
das tägliche Brot von der Erde zu gewinnen", so sagt der Dichter, "ist dies eine
erlaubte Sache: Nutzniessung des Menschen, Eigentum Gottes. Der Gläubige ist der
Treuhänder, Gott der Eigentümer; jedes andere Dasein, das nicht Gott ist, ist
bestimmt zu verschwinden."
(Rinascita,
7. Juni 2002 n. Chr. / 27. Rabi´u-l-Awwal 1423 n. H.) dt. Übersetzung:
Abd´al-Nur i-Siyah
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