Die Saud-Connection
17.11.2001
(c) DIE ZEIT 47/2001
http://www.zeit.de/2001/47/Politik/200147_saudi-arabien.html
Von Christian Schmidt-Häuer
© Wagner / Bilderberg
Die Ölprinzen gelten als Freunde des Westens. Doch die Spuren des Terrorismus
dieser Tage führen nach Riad. Seit Jahrzehnten versuchen die Herrscher den
Spagat zwischen Glaube und Profit. Als Preis zahlen sie Milliarden an den
militanten Islam.
Am Tag, der die Welt erschütterte, verlor der Polizeikommandant der
saudi-arabischen Küstenstadt Jizan zwei seiner Brüder. Nawaf und Salim
al-Hamzi hatten auf dem American-Airlines-Flug Nummer 77 die Sitze 5F und 5E
gebucht.
Der Saudi Hani Handschur, als Pilot einer kommerziellen Fluglinie
ausgebildet, half ihnen, die Boeing in das Pentagon zu steuern. Er stammte
aus dem Hause eines reichen Geschäftsmannes bei Mekka.
Madschid Moqid, ein weiteres Mitglied der Todescrew, hatte die
rechtswissenschaftliche Fakultät der König-Saud-Universität in Riad besucht.
Er war der Sohn eines beduinischen Stammesfürsten aus der Umgebung von
Medina.
15 der 19 Selbstmordattentäter von New York und Washington kamen aus
Saudi-Arabien. Die meisten aus den besten Familien. Einige, so behaupten die
Behörden in Riad, besassen falsche Pässe und andere Staatsbürgerschaften.
Woher sie auch stammten: Nirgendwo sonst auf der Welt konnten die 15 ihre
Visa so leicht erhalten wie von der amerikanischen Botschaft in Saudi-Arabien.
"Immer wieder forderten mich hochrangige amerikanische Diplomaten auf,
unüberprüften Antragstellern Einreisegenehmigungen in die USA zu erteilen",
hat Michael Springman ausgesagt. Er leitete Ende der achtziger Jahre das
US-Konsularbüro in der saudischen Hafenstadt dschidda. Springman gab BBC
Newsnight jetzt zu Protokoll: "Meine Aufgabe war, Visa an Terroristen
auszugeben. Die CIA und Osama bin Laden hatten sie rekrutiert. Sie sollten
in den USA für den Einsatz in Afghanistan gegen die damaligen Sowjettruppen
ausgebildet werden."
Das Vertrauen war zu gross
, die Kontrolle zu lasch. Die Dynastie der Saudis
musste mit Samthandschuhen behandelt werden. Seit Franklin Roosevelts Tagen
garantierte das konservative Königshaus die Ölversorgung der Amerikaner und
das weiss
e Haus die militärische Sicherheit der Saudis vor Neid,
Nationalismus oder Sozialismus der Nachbarn. Die Prinzen und die
Präsidentenentourage in Washington investierten in gemeinsame Geschäfte.
Erst als das World Trade Center im Inferno versank, begriff die
US-Administration, was sie anfangs selbst mit gefördert und später mit
angesehen hatte: Aus dem Wüstenstaat quoll schon seit Jahren ein zweiter
schwarzer Stoff - die Droge des dschihad.
Treibstoff für den Heiligen Krieg
Nicht in den Höhlen des zerbombten Afghanistan hat der fundamentalistische
Terror seinen spirituellen Ursprung gehabt. Weder in den älteren noch in den
jüngeren "Schurkenstaaten", in Libyen oder im Iran, im Irak oder im
Sudan
sind die bizarren theologischen Denkgewölbe angelegt worden, aus denen heute
die weltumspannende Vernichtungsstrategie gegen die Ungläubigen
hervorschiesst. Der Treibstoff für den Heiligen Krieg einer neuen Generation
stammt von der gröss
ten Tankstelle des Westens, die zugleich die heiligste
Stätte aller Islamischen Pilger ist: aus dem Königreich zwischen Rotem Meer
und Golf.
Die Mischung ist alt. Sie setzt sich zusammen aus einer aggressiv
puristischen Version des Islam, dem Wahhabismus, und dem weltlichen
Herrschaftsanspruch der Dynastie. Mit dieser Staatsreligion haben die
Herrscher - Könige und Imame in Personalunion - die ganze arabische
Halbinsel erobert. Mit ihr stiegen sie in nur einem Jahrhundert aus den
Beduinenzelten und Lehmburgen in die Glaspaläste und Wolkenkratzer von Riad
auf. Aber je weniger sich die fast 5000 Prinzen noch an die rigorose Lehre
hielten, desto eifriger stifteten sie der Welt Moscheen, Religionsschulen,
Glaubenskrieger. So versuchten sie, sich von den Milliardendeals mit den
"Ungläubigen", vom Frevel ihrer vorsichtigen Modernisierungsversuche
reinzuwaschen.
Kein anderes Land hat zusammen so viele Milliarden Dollar und auch militante
Manpower nach Afghanistan, Pakistan, Palästina, Tschetschenien und Bosnien
geschickt wie dieser Staat mit seinen 22 Millionen Einwohnern. Anstelle der
exportierten Krieger - und weil sie selbst nicht gern körperliche Arbeit
verrichten - haben die Saudis Millionen Hilfskräfte aus den Anrainerstaaten
kommen lassen. Dem Westen sichert das Land als Kartellführer der Opec den
Ölpreis, den Amerikanern ein Fünftel all ihrer Rohöleinfuhren. Zugleich hat
das Wüstenreich in den vergangenen Jahren 100 Millionen Dollar in die
amerikanischen Muslimgemeinden investiert, um sie zur spartanischen
Islamversion der Wahhabiten zu bekehren.
Das sind freilich Peanuts, verglichen mit den Milliarden, welche die Prinzen
in Amerika und Europa für Rüstungsgüter inklusive hoher Provisionen
hinblättern. In München läuft gerade der Prozess gegen den Waffenhändler
Karl-Heinz Schreiber und zwei ehemalige Thyssen-Manager wegen der
Panzergeschäfte mit dem Königreich.
Die amerikanische und die britische Führung sind mit den Saudis
unvergleichlich enger verbandelt als deutsche Unterhändler und Politiker.
Zwischen der Familie Bush und der Familie Osama bin Ladens bestehen alte
Geschäftsbeziehungen. Beide Häuser trafen sich beim kometenhaft
aufgestiegenen Rüstungslieferanten Carlyle Corporation. Vater Bush und der
heutige Präsident erhielten von der Gesellschaft Bezüge als Berater
beziehungsweise Filialdirektor. Die Saudi Binladen Group war zuletzt mit
zwei Millionen Dollar an der Firma beteiligt.
Das riesige Konstruktionsunternehmen und Handelshaus der bin Ladens war vom
Vater des amerikanischen Staatsfeindes Nummer 1 gegründet worden. Der hatte
sich mit Talent, Sparsamkeit und Einfallsreichtum vom jemenitischen
Einwanderer zum ersten Baulöwen des Königshauses hochgearbeitet. Als der
gläubige, aber nicht fanatische Firmenpatriarch 1968 mit einem
Privatflugzeug abstürzte, übernahmen einige seiner 50 Söhne die
Konzernleitung. In den neunziger Jahren besuchten Expräsident Bush und
Exaussenminister Baker die bin Ladens während einer Saudi-Arabien-Visite. Da
hatte Osama das Geschäft, auf das er sich weniger verstand, schon verlassen
und trug seinen Millionenanteil in den Glaubenskrieg. Als das saudische
Königshaus seinen früheren dschihad-Missionar 1994 ausbürgerte, enterbte ihn
auch die Familie offiziell.
Unmittelbar nach dem 11. September zog sich die Saudi Binladen Group aus der
Carlyle Corporation zurück, um die Peinlichkeit nicht auf die Spitze zu
treiben. Vorstand der Carlyle Corporation ist der frühere
US-Verteidigungsminister Frank Carlucci. Ihn verbindet eine enge
Freundschaft mit dem heutigen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aus den
gemeinsamen Tagen in einer Ringermannschaft der Princeton-Unversität.
Auch andere angesehene Mitglieder früherer US-Regierungen waren oder sind
direkte oder indirekte Partner der Saudi Binladen Group. Ex-Aussenminister
James Baker gehörte zu den Beratern der Carlyle Corporation. Einer seiner
Vorgänger, George P. Shultz, sitzt im Vorstand der Investmentgesellschaft
Fremont Group, an der die Saudi Binladen Group ebenfalls einen Anteil hat.
Viele der privaten Bankgeschäfte der Laden-Familie liefen über die
Citigroup, an deren Spitze der angesehene frühere Finanzminister Robert
Rubin steht. Die Geschäftsverbindungen sind nie ein Staatsgeheimnis gewesen.
Doch nach dem 11. September sieht das Familienpuzzle, das die Journalistin
Jane Mayer für den New Yorker akribisch zusammengesetzt hat, nicht gut aus
für George W. Bush. Schwer wiegen die Vorwürfe, die jetzt aus verschiedenen
Geheimdienstquellen durchsickern. Der Präsident soll vor dem 11. September
die Überwachung saudischer Staatsbürger gebremst oder behindert und
Warnungen vor der zunehmenden Instabilität des Königreiches in den Wind
geschlagen haben. Mag sein, dass die Dienste damit auch von ihrem eigenen
Versagen ablenken wollen, das die Terroranschläge erleichterte. Doch
aufhorchen lässt die Aussage eines Sohnes von Osama bin Laden. Der
Harvard-Absolvent AbdAllah
bin Laden, der auch nach den Attentaten in den
USA blieb, hat verschiedenen Gesprächspartnern versichert: Er sei zur
Aussage bereit gewesen, doch niemand habe ihn vorgeladen.
Noch belastender nimmt sich die Anklage eines Toten aus. John P. O'Neill war
nur wenige Wochen vor dem 11. September Sicherheitschef für die
Zwillingstürme geworden. Er wurde von ihren Trümmern begraben. Bevor er den
Posten antrat, der ihm zum Schicksal wurde, hatte er das New Yorker FBI-Büro
für Terrorbekämpfung geleitet. In dieser Funktion hatte er sich im
vergangenen Juli in einem Gespräch unter vier Augen mit dem französischen
Sicherheitsexperten Jean-Charles Brisard bitter über die Behinderung des FBI
durch das amerikanische Aussenministerium beklagt. Brisard, der selber
jahrelang Recherchen über bin Ladens Finanzimperium angestellt hat, zitiert
O'Neill in dem Buch Ben Laden: La Vérité Interdite, das er und sein Coautor
Guillaume Dasquié in dieser Woche in Frankreich vorstellen.
"Alle Antworten, alles, was wir brauchen, um bin Ladens Organisation zu
enttarnen, ist in Saudi-Arabien zu finden", vertraute O'Neill dem Franzosen
an. Doch das FBI habe keine freie Hand, um seine Nachforschungen über den
Terror anzustellen. Das State Department mische sich ständig ein. Die USA,
so O'Neills resignative Bilanz, sei nicht bereit, Saudi-Arabien wegen Osama
bin Laden zur Rede zu stellen. Die Öldiplomatie beherrsche Amerikas
Aussenpolitik.
Diese Diplomatie hat bin Laden mit seinen Terroranschlägen empfindlich
getroffen. Die Beziehungen zwischen dem weiss
en Haus und dem Königshaus haben
sich in wenigen Wochen so abgekühlt wie nie zuvor seit dem ersten und
einzigen Treffen zwischen Präsident Franklin Roosevelt und Ibn Saud auf
einem US-Kriegsschiff in den vierziger Jahren, auf das der saudische König
unbedingt 100 Schafe zur Beköstigung mitnehmen wollte.
Die amerikanischen Geheimdienste sind jetzt doppelt verstimmt. Aus ihrer
Sicht hat Präsident Bush nicht nur die aktuelle Bedrohung der amerikanischen
Sicherheitspolitik im Nahen Osten, zu der die Kontrolle der arabischen
Ölschätze gehört, zu lange ignoriert. Sie werfen zugleich den Saudis vor,
ihre Karten im Great Game gegen den Terrorismus nicht offen auf den Tisch zu
legen. Die National Security Agency (NSA) nahm den Ärger zum Anlass, um dem
Journalisten Seymour Hersh allerlei despektierliche, wenn auch nicht
überraschende Einzelheiten aus seit 1994 abgehörten Telefonaten des
Königshauses zukommen zu lassen. Die Saudis protestierten gegen ihre
Gewohnheit offiziell und empört.
"Die Mitschnitte zeigen", berichtete Hersh im New Yorker, "ein
zunehmend
korruptes Regime, das sich den religiösen Kräften des Landes entfremdet hat
und so geschwächt und verängstigt ist, dass es seine Zukunft verpfändete,
indem es Hunderte von Millionen Dollar Schutzgeld an fundamentalistische
Gruppen zahlt, die es stürzen wollen." Pensionierte und aktive Agenten
werden mit dramatisch klingenden Prognosen zitiert: "Das Saudi-Regime wird
in absehbarer Zeit in die Luft fliegen ... Wenn die Terroristen in
Saudi-Arabien etwas Ähnliches unternehmen wie am 11. September, schnellt der
Ölpreis auf 100 Dollar pro Barrel hoch." Untermauert werden solche Zitate
mit der Erkenntnis einer 15 Jahre alten CIA-Studie, wonach Terroristen nur
wenig Sprengstoff brauchten, um die Ölfelder für zwei Jahre stillzulegen.
Luxuslimousinen als Geschenk.
Neu ist das meiste nicht. Um die Korruption, Geldgier und Moral der Prinzen
ranken sich seit Jahrzehnten Endzeitgeschichten. Am Ende der Ära Ibn Saud
schickte einer der höchsten Prinzen, der seine Apanage verjubelt hatte,
einen Diener ins Finanzministerium. Der verlangte mit gezückter Pistole
weiteres Geld für seinen Herrn. Ibn Sauds erster Nachfolger, König Saud,
machte bei seinem Antrittsbesuch in Qatar dem Emir 40 amerikanische
Luxuslimousinen zum Geschenk.
Auf der anderen Seite hat das Haus Saud auch immer wieder sparsame,
unbestechliche und professionelle Prinzen hervorgebracht wie König Feisal
oder den jetzigen, integren Kronprinzen AbdAllah
. Der auch schon 77-Jährige,
12. Sohn Ibn Sauds, führt seit längerem die Amtsgeschäfte für seinen
Halbbruder König Fahd. Er ist fromm, aber nicht fanatisch und hat sich
keineswegs "von den religiösen Kräften entfremdet". Er stemmt sich
gegen die
Korruption und will zugleich die westliche Kultur nicht als allein selig
machendes Wertesystem hinnehmen.
Zwei Wochen vor dem 11. September schrieb der Kronprinz einen prophetischen
Brief an George W. Bush, von dem die Öffentlichkeit zunächst nichts erfuhr.
Darin beklagte er sich über die amerikanische Nahostpolitik. Wenn Washington
seine Position gegenüber den Palästinensern nicht differenziere, würde es
für Saudi-Arabien schwer, an dem bisherigen Kurs zum Wohle beider Länder
festzuhalten. "Es ist Zeit", so mahnte AbdAllah
, "dass die USA
und
Saudi-Arabien auch auf ihre unterschiedlichen Interessen achten.
Regierungen, die nicht den Puls des Volkes fühlen und auf ihn reagieren,
kann das Schicksal des iranischen Schahs drohen."
Inzwischen ziehen viele amerikanische Kommentatoren Parallelen zwischen dem
Iran und Saudi-Arabien. Aber die Vergleiche hinken. Schah Reza Pahlevi hatte
den Pfauenthron nicht in jahrzehntelangen Kämpfen aus eigener Kraft erobert,
sondern war 1953 mithilfe der CIA an die Macht gekommen. Er versuchte, den
schiitischen Iran in die moderne, säkulare Welt zu katapultieren, ohne die
lange, rebellische Tradition seines Volkes zu beachten. Das Haus Saud
dagegen eroberte die Macht nicht nur in den klassischen Beduinenschlachten,
die T. E. Lawrence in den zwanziger Jahren in seinem Buch Seven Pillars of
Wisdom besang. Es "dezentralisierte" seine Herrschaft auch durch eine
geschickte Heiratspolitik über die vielen Stämme. Vor allem hat die Familie
Saud, seit sie vor 100 Jahren die Macht in Riad zurückeroberte, politisch zu
überleben verstanden.
Diebe verlieren die Hand
Der Einsturz des Welthandelszentrums hat jedoch gezeigt, dass die saudischen
Prinzen und deren geistliche Berater die Kontrolle über ihren Islamexport
verloren haben. Sie können zwischen unaufhaltsamer Modernisierung und den
unbeirrbaren Predigern von fast 1400 Jahre alten Glaubens- und Lebensregeln
nicht mehr vermitteln. Ihre Doppelrolle als geopolitische Statthalter des
Westens und religiöse Würdenträger der Wahhabiten hat sie überfordert.
Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts hatten sich die Sauds wenig von den
anderen arabischen Stammesfürsten ihrer Heimatprovinz Nedschd unterschieden.
Eines Tages aber nahm Mohammed Ibn Saud , der Herrscher des Stadtstaates
Darija bei Riad, einen Wanderprediger mit Namen Scheich Mohammed Ibn Abdul
Wahhab in seinem Hause auf. David Holden, der 1977 in Kairo ermordete,
brillante Nahostreporter britischer Zeitungen, hat diese Begegnung
prophetisch "eine der schicksalshaftesten für Arabien seit den Tagen
Mohammeds" genannt.
Der Religionsgelehrte fand zu "seiner ewigen Freude" in der Familie
Saud das
Schwert, um den Islam zu reinigen und den militant-religiösen Staat des
Propheten wiederzuerrichten. Er selbst konnte darüber nur predigen. Mohammed
Ibn Saud hatte seine Vision am Wüstenhorizont: Das Wort, die Botschaft des
Predigers würde ihn über seine ständig die Schwerter kreuzenden
Wüstenrivalen erheben. Er besiegelte die Allianz, indem er seinen Sohn Abd
al-Aziz mit der Tochter des Religionsgelehrten verheiratete.
Das war 1744 - und seitdem haben Abdul Wahhab und seine Nachfahren für die
saudischen Prinzen und später an den Kabinettstischen den Koran
interpretiert. Streng wachen sie über die Scharia, den "Pfad", den
das
Heilige Buch vorschreibt. Als Gottesstaat ist Saudi-Arabien bis heute nicht
von diesem Pfad abgewichen. Es gibt keine politischen Parteien, keine
Wahlen, keine unabhängige Presse und Justiz. Ehebrecherinnen können noch
immer gesteinigt werden, Drogenhändler und Schwerverbrecher verlieren den
Kopf unterm Krummschwert, Diebe die Hand.
Doch ohne die radikale Lehre Abdul Wahhabs wären die Saudis wohl nur eine
gross
e, traditionsreiche Familie geblieben wie andere auch. Die militante
Glaubenslehre motivierte ihre Krieger, die Todeskommandos nicht mehr
scheuten und ihr Leben ohne Bedenken für das Haus und die heilige Botschaft
einsetzten. So dehnte sich der kleine Stadtstaat - was zuvor nur der Prophet
Mohammed selbst vollbracht hatte - bald über ganz Zentralarabien aus. Und
blieb zugleich in der engen geistlichen Rüstung einer jahrhundertealten
Wüstenmoral stecken (Siehe Kampf gegen das Fremde, Seite 18).
Zwischen 1804 und 1806 eroberten die zuvor zerstrittenen, nun zu
wahhabitischen Bruderschaften zusammengeströmten Beduinenclans die Städte
des Propheten, Medina und Mekka. Ihr Siegeszug von Küste zu Küste bedrohte
die damalige osmanische Herrschaft über Arabien. Deshalb trieb der türkische
Statthalter in Ägypten, Mohammed Ali, die Kamelkolonnen der Wüstenkrieger in
mehreren Schlachten zurück. Ende des 19. Jahrhunderts mussten die Sauds
sogar vor ihrem ärgsten arabischen Rivalen, der Familie al-Raschid, aus Riad
nach Kuwait flüchten. Doch sie kehrten bald zurück.
Waren es wirklich 19 Männer? Und 15 echte Saudis? Oder waren es doch
weniger? Das wird niemand mehr klären können. Die Legenden haben die
Geschichte schnell überwuchert. Auf jeden Fall pirschte sich der schwer
bewaffnete Trupp im Schutze des Palmenhains, der die Oasenstadt Riad damals
noch umgab, an die Stadtmauer heran. Die Nacht vom 15. auf den 16. Januar
1902 blieb dunkel, denn der Fastenmonat Ramaḍaan war gerade vorüber und der
Neumond noch sehr schwach.
Die Männer kletterten über die bröckelnde Mauer, sprangen in die Stadt
hinunter und schlichen zur Festung Masmak. Von ihr aus hatte die Familie
Saud bis 1883 geherrscht. Jetzt schlief Ibn Adschlan, der Gouverneur der
al-Raschids, zur Sicherheit hinter den Burgmauern. Gleich gegenüber lag das
Haus seiner Familie, und daran schloss sich ein weiterer Bau an. Darin
lebten noch alte Diener der Sauds. Das war das Netzwerk, das die Männer aus
der Dunkelheit ansteuerten.
Die Diener zeigten ihnen den Weg über das Dach in das Haus des Gouverneurs.
Aus den vergitterten Fenstern beobachteten die Eindringlinge das Tor der
Festung, während sie Koranverse beteten. Eine halbe Stunde nach
Sonnenaufgang trat der Gouverneur mit seinen bewaffneten Männern aus der
niedrigen Pforte, um bei seinen Frauen Kaffee zu trinken. Doch aus seinem
Haus stürmten ihm die Männer mit kurzen Speeren, Pistolen und Krummdolchen
entgegen. Ibn Adschlan fiel im Gemetzel.
Bald nach Sonnenaufgang erschien der Anführer des Trupps mit dem Ruf "Al
Saud!" auf den Zinnen der Lehmburg. Er warf den abgeschlagenen Kopf des
Gouverneurs in die aufgeschreckte Menge. Die aber schlug sich schnell auf
seine Seite. Der Mann in Siegerpose, über 1,90 Meter gross
, war Abd al-Aziz
Ibn Abdal Rahman Ibn Saud - der Sohn des vertriebenen Herrschers von Riad.
Nur 21 Jahre alt, hatte der Feuerkopf mit anderen Familienmitgliedern und
ein paar Sklaven die Residenz zurückerobert. Als König Ibn Saud brachte er
später Saudi-Arabien auf die Weltbühne.
Heute, genau ein Jahrhundert später, liegt die Lehmfestung Masmak als fast
unauffindbares Museum in der Altstadt von Riad. Ihre Türme, die einst den
Karawanen schon von ferne am Horizont erschienen, wirken geduckt zwischen
Highways und Riesen aus Stahlbeton und Glas. Damals aber sah der junge Abd
al-Aziz, den die westliche Welt später zur Vereinfachung Ibn Saud nannte,
von den Zinnen auf eine Stadt hinunter, die im ganzen 19. Jahrhundert nur
drei Europäer - Engländer, wer sonst - erreicht hatten. Die Kolonialmächte
expandierten in fruchtbarere Regionen. Als Ibn Saud, der in drei Jahrzehnten
rastloser Gefechte die arabische Halbinsel wiedergewann, 1913 den Türken die
Provinz al-Haza entriss, konnte er noch nicht ahnen, dass er unvorstellbaren
Reichtum unter seinen Füssen hatte. Und dass diese Springquellen, die im März
1938 emporschossen, sein Land auch zur Pilgerstätte der Ungläubigen machen
würden.
Mit dem Haus Saud kehrte damals die Lehre des Abdul Wahhab zurück. Ibn Saud
war der neue Imam, dem sich die Glaubenskämpfer anfangs in fanatischer Treue
verschrieben. 500 Kilometer nördlich von Riad bildete sich 1912 eine
Bewegung, die mit der Zeit ähnlichen Schrecken und Terror verbreitete wie
mehr als ein Menschenalter später die Taliban. Ein kleines Dorf namens
Artawija zog immer mehr Männer an, die ihr wenig frommes Nomadendasein gegen
ein Leben in militantem Islamismus tauschten, die ihre Kamele und Schafe für
den Koran, den Pflug und das Schwert weggaben. Die Bekehrungsbewegung nannte
sich Ikhwan, Brüder.
Ibn Saud stellte sich bald selbst an die Spitze der Erweckungsgemeinden, um
die Glaubenswächter lieber einzuspannen als auszugrenzen. Er tat, was die
heutigen saudischen Prinzen auch versucht haben - nur war er von anderer
Statur. Harold Dickson, der damalige britische Gesandte in Bahrain, schrieb
in seinen Erinnerungen, dass er Ibn Saud seine Besorgnisse über den Ikhwan
vorgetragen habe. "Ach Dickson", antwortete der, "keine Angst!
Ich bin der
Ikhwan, sonst niemand."
In ihren Feldzügen waren die Soldaten des Ikhwan ähnlich erfolgreich wie die
Taliban im afghanischen Bürgerkrieg. "Ich sah", beschrieb Hafis Wahba
in
seinem Buch Arabian Days, "wie sie sich ohne die geringste Todesangst auf
ihre Feinde stürzten, gleichgültig, wie viele von ihnen fallen würden ...
Normalerweise kennen sie keine Gnade und verschonen weder Junge noch Alte -
wahre Todesboten, deren Hand niemand entkommt."
Versöhnung durch Vermählung
Doch sie bedrohten nicht nur den Feind. Sie töteten nicht nur Christen. Sie
richteten auch Muslime hin, die den Koran nicht korrekt zitiert hatten. Wer
den Gebetsruf versäumte, den traktierten sie mit Peitschen. Als die
Ikhwan-Truppen 1924 Mekka für das Haus Saud zurückeroberten, zerschlugen sie
Porträts und Musikinstrumente und zerstörten Gräber von Heiligen als
Götzendienst - die Taliban taten es ihnen jüngst nach, als sie die
Buddhastatuen in Zentralafghanistan sprengten.
Der Ikhwan führte zur inneren und äusseren Bedrohung des neuen Staates.
Während Ibn Saud alle militärischen Zusammenstösse mit den Briten zu
vermeiden trachtete, dehnten die Glaubenskrieger ihre blutigen Streifzüge in
das transjordanische und irakische Mandatsgebiet der Engländer aus und
fielen in Kuwait ein. Ihre Bewegung konnte ohne neue dschihads nicht
weiterexistieren - auch darin sind die heutigen Gotteskrieger Wiedergänger
des Ikhwan. Ibn Saud handelte. Mit einer neuen Armee aus Städtern und einem
loyalen Beduinenstamm überrannte er die Wüstenzelte der überraschten
Fundamentalistenheere. Der Ikhwan verschwand für 50 Jahre von der
politischen Landkarte. Aber er sollte sich zurückmelden. Wieder aus
Saudiarabien.
Ibn Saud folgte dem Propheten - in Krieg und Frieden. Mohammed hatte einst
viele Ehen geschlossen, um die zersplitterte arabische Welt zu einen. Der
neue Herrscher der al Saud tat es ihm nach. Ibn Saud sicherte seine
Eroberungen durch ein Netz von Heiraten. Die Mutter des heutigen Kronprinzen
AbdAllah
war die Witwe eines seiner Todfeinde. "Er war der erste Führer in
den Wüsten der arabischen Halbinsel", resümierten David Holden und
Richard
Johns in The House of Saud, "dessen Staatskunst gezielt auf Versöhnung und
Vergebung gründete."
Als der Stammvater des neuen Königreiches 1953 starb, hinterliess er 44
offizielle Söhne - und damit eines der gröss
ten Probleme für den heutigen
Staat. Denn um Machtkämpfe unter seinen Sprösslingen zu vermeiden, verfügte
Ibn Saud, dass jeweils der nächstälteste Bruder oder Halbbruder den Thron
besteigen sollte. Alle Könige, die dem Reichsgründer folgten, waren
beziehungsweise sind seine Söhne: die Brüder Saud, Feisal, Khalid, Fahd und
auch deren Halbbruder, Kronprinz AbdAllah
. Noch leben mehr als 20 Söhne Ibn
Sauds. König Fahd, den Schlaganfälle seit Jahren amtsunfähig gemacht haben,
ist mit 78 Jahren der Älteste - und Prinz Mugrin der Jüngste mit 57. Die
Erbfolge blockiert den Generationswechsel und erhöht die nach aussen
verborgenen Spannungen in dem auf fast 30 000 Mitglieder angewachsenen
Königshaus. Die traditionsgebundene Gerontokratie erinnert an das Ende der
Breschnew-Ära in der Sowjetunion.
Doch damit enden bereits die Parallelen zwischen dem Aufstieg der beiden
Mächte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu Stalin
konsolidierten Ibn Saud und sein zweiter Nachfolger König Feisal das neue
Reich - trotz Scharia - ohne Massenterror. Der während seiner Amtszeit
spartanische Feisal setzte vorsichtige Wirtschaftsreformen gegen die
Stammeshäuptlinge durch. Weil der streng konservative Herrscher gebildet wie
ein Religionsgelehrter war, konnte er manches durchsetzen, was den
Islamischen Wächtern als Blendwerk des Satans erschien. 1936 meldete sich
die erste Frauenstimme über Radio Mekka. Religiöse Führer stürzten zu
Feisal. Der erinnerte die Geistlichen an den Propheten: Mohammed selbst habe
nicht verheimlicht, dass er von der Stimme der Dichterin Al Chamsa bezaubert
gewesen sei.
Saudi-Arabiens Aussenpolitik gewann Profil, als Ägyptens Präsident Nasser -
der gross
e arabisch-nationale und säkulare Gegenspieler des Königreichs -
1967 von den Israelis im Nahostkrieg verheerend geschlagen wurde. König
Feisal konterte den arabischen Nationalismus mit der Islamischen Mission.
Dabei tat er - um die Fundamentalisten zu besänftigen - des Guten zu viel.
Die saudischen Universitäten wurden zum Ort der Islamistischen Opposition
gegen das weltliche Nasser-Regime. Der Ölpreisboom der siebziger Jahre tat
ein Übriges. Er brachte vieles ins Land, das den Purismus Islamischer
Studenten noch förderte: Drogen aus dem Osten, Spirituosen aus dem Westen
und Prostituierte aus dem Süden. Nicht wenige Prinzen waren die besten Kunden.
Alles, was sich aufgestaut hatte, brach im Jahr 1979 über das Königreich
herein. Zuerst stürzte die Islamische Volksrevolution den Schah. Die USA
verloren ihre engen Vertrauten und umarmten Saudi-Arabien nun als
wichtigsten Verbündeten der Region. Das sunnitische Königshaus musste die
schiitischen Propagandisten Khomeinis fürchten. Sie waren aus wahhabitischer
Sicht nur irregeleitete Haufen. Doch einer dieser Haufen, der gröss
te
iranische Pilgerzug aller Zeiten, bewegte sich im November auf Mekka zu.
Massive Sicherheitsvorkehrungen wurden getroffen - aber sie konzentrierten
sich auf die Falschen.
Es geschah am 20. November 1979, dem muslimischen Neujahrstag. Zehntausende
Mekkapilger drängten sich im Hof der Grossen Moschee um den schwarzen
Meteoriten. Der Imam hatte gerade die Zeremonie des Frühmorgengebets
beendet, als er zur Seite gestossen wurde. Männer mit Maschinenpistolen und
roten Armbinden kaperten den heiligsten Ort aller Muslime. Sie erschossen
Altardiener und Pilger; Wallfahrer wurden in der Panik zu Tode getrampelt.
Es waren rund 200 fanatische Gotteskrieger, die überwiegende Mehrheit
Saudi-Araber. Zwei Wochen lang schossen sie aus der Moschee auf alles, was
sich bewegte. schliess
lich gelang es den Sicherheitskräften - mithilfe einer
Spezialeinheit französischer Gendarmen und deren Nervengas -, die Attentäter
zu überwältigen. Die getöteten Pilger hatten während der ganzen Zeit
unbestattet im Hof gelegen.
Jener 20. November brachte die Wiederkehr des Ikhwan. Die Fanatiker hatten
ihre wirre Kraft neuerlich aus der aggressiven Frömmigkeit der Wahhabiten
bezogen. Wie der Ikhwan, auf den sich die Terroristen beriefen, lehnten sie
alle Erfindungen der Technik als Satanswerk ab - vom Telefon bis zum
Fernsehen. Wie später Osama bin Laden warfen sie dem Königshaus vor, die
Ungläubigen ins Land geholt und den Islam verraten zu haben.
Für die meisten Muslime war der Frevel auf dem Höhepunkt der Pilgerzeit so
schrecklich und unfasslich wie heute der 11. September für die westliche
Welt. Am schlimmsten hatte es das Haus Saud getroffen. Seine Legitimität
beRuuhhte auf der selbst gewählten Rolle als Hüter der Heiligen Stätten. Das
Vertrauen in die Dynastie war tief erschüttert.
Am Ende des saudischen Schreckensjahres 1979 marschierten die Sowjets in
Afghanistan ein. Die schwer belasteten Prinzen sahen die Chance, ihren
Einsatz für den rechten Glauben wieder zu beweisen. Mehr als zehntausend
Saudi-Arabier aus fast allen Schichten folgten dem Aufruf der Moscheen zum
Einsatz am Hindukusch. Milliarden flossen aus den königlichen Schatullen,
aus Geldsammlungen und Stiftungen. Osama bin Laden führte und finanzierte zu
jener Zeit die arabischen Kämpfer und deren erste Ausbildungslager.
Bin Laden wird ausgebürgert
Nach Abzug der Sowjettruppen aus Afghanistan 1989 kehrten tausende
Glaubenskrieger in das Königreich zurück. Bin Laden gründete Stiftungen zu
ihrer Betreuung. Nach Saddam Husseins Überfall auf Kuwait schlug er den
Prinzen vor, seine Kriegsveteranen für eine Abwehrfront gegen den Irak zu
mobilisieren. König Khalid aber holte die amerikanischen Truppen ins Land.
Der allmähliche Aufmarsch von einer halben Million US-Soldaten im Lande der
Wahhabiten löste nicht nur unter der Strenggläubigen Schockwellen aus. Welch
eine Verderbnis der Sitten musste die traditionsgebundene Bevölkerung
mitansehen: Frauen ohne Schleier, mit Kampfstiefeln und MP; Farbige, vor
denen hellhäutige Soldaten strammstanden, wo doch Saudi-Arabien erst 1962
die Sklaverei abgeschafft hatte; Juden, die sonst höchstens im Interesse der
Prinzen einreisen durften und dann in den Visa als "Protestanten"
firmierten; Geistliche anderer Religionen, die in Saudi-Arabien verboten
sind; schliess
lich Journalisten, die sonst nur in Ausnahmefällen einreisen
dürfen.
Aber schlimmer noch war der verletzte Stolz. Über Jahre hatte die Führung
dem Westen für Superwaffen vom Feinsten und Teuersten seine Ölmilliarden
hingeblättert. Nun, bei der ersten Bedrohung, mussten die Söhne der
heldenhaften Wüstenkrieger die Yankees ins Land holen. So jedenfalls sahen
es die Wahhabiten, so predigte Osama bin Laden. Das Königshaus bürgerte den
so lange willkommenen Sohn seines einstigen Baumeisters aus. Auch die alte
Allianz zwischen der Dynastie und der Geistlichkeit bekam Risse. Extremisten
schlugen zu. 1995 kamen bei einem Sprengstoffanschlag in Riad fünf
Amerikaner und zwei Inder ums Leben. In der ostsaudischen Stadt al-Khobar
zerstörten 2500 Kilo Plastiksprengstoff 1996 einen Wohnturm für
US-Luftwaffensoldaten. 19 Amerikaner starben, 372 wurden verletzt.
Besteht die Gefahr, dass Saudi-Arabien zur Revolution gebombt wird, dass die
Massen nach bin Laden rufen? Wie sieht es im Lande aus? Der Ölpreisboom der
siebziger Jahre ist längst Legende, das Pro-Kopf-Einkommen nur noch halb so
hoch wie 1981, die Preise selbst für Benzin steigen, der Wohlstand der
Mittelschicht schrumpft. Viele junge Saudis finden keinen Job, weil ihre
Qualifikation und Einsatzbereitschaft geringer sind als die der
jemenitischen Bauarbeiter, der indischen Taxifahrer und der philippinischen
Kellner. Zu viele Studenten promovieren über den Islam und sind für
Bankwesen, Management oder technische Berufe untauglich.
Die Zeit drängt - aber sie bleibt auch wieder mit jedem Gebetsruf stehen.
Basare und Büros schliess
en dann, Kinos und Discos gibt es ohnehin nicht. Das
Handy ist allen erlaubt. Als es ein saudischer Offizier zu Beginn des Jahres
auf einem Inlandflug benutzte, wurde er bestraft - mit 70 Stockhieben. Im
Krankenhaus von Medina wurde dem Ägypter Mohammed Abdelmooti mit modernster
medizinischer Versorgung das linke Auge herausoperiert. Die Ärzte
vollstreckten damit ein Urteil, das ein Gericht frei nach dem Alten
Testament gefällt hatte, auf das sich ein Koranvers direkt bezieht: "Leben
um Leben, Auge um Auge ...". Der Ägypter hatte einem Landsmann Salzsäure
ins
Gesicht gespritzt, der daraufhin auf dem linken Auge erblindet war.
Die Widersprüche zwischen westlichem Technikimport und Wüstenmoral werden
immer krasser. Frauen dürfen noch immer nicht Auto fahren, müssen in
separate Bankfilialen gehen, sind in der Öffentlichkeit kaum und nur
verschleiert sichtbar. Doch Tausende ausländischer Chauffeure fahren sie
herum, alle Mädchen besuchen die Schule, die Mehrzahl der 170 000 Studenten
sind junge Frauen. Einige wenige, immerhin, stossen in die Wirtschaft und
Finanzwelt vor. Unter einer Taliban-Herrschaft wäre das undenkbar.
Die Männer in den Cafés oder in den abends geöffneten, clubartigen
Restaurants nippen an Cappuccinos oder trinken Saudi-Champagner, eine mit
Minze versetzte Apfelschorle. Sie sehen dabei gerne auf die vielen TV-Geräte
ringsum - das Fernsehen hatte König Feisal 1965 gegen den erbitterten
Widerstand der militanten Islamisten durchgesetzt. Vor dem 11. September
liefen vorzugsweise die etwas offenherzigeren libanesischen Programme. Jetzt
interessieren die Männer nur noch die aktuellen Informationen. Nicht dass
sie alle bin Laden ihr Land anvertrauen würden. Doch als Staatsfeind der
Amerikaner gehört ihm die uneingeschränkte Sympathie.
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