Grossbritannien
schützt die gröss
te Heroin-Ernte aller Zeiten
Im
Beitrag über das
Theater der deutschen Sicherheitsbehörden
und einer angeblichen Terrorzelle der International Jihad Union (IJU)
in Deutschland waren die Recherchen des ehemaligen britischen
Botschafters Craig Murray in Usbekistan zur Sprache gekommen, der
Ende Juli 2007 einen Artikel in der Londoner Daily Mail
über das militärische Engagement Grossbritanniens und
die politische Situation in Afghanistan veröffentlicht hatte. Seine
umwerfende Erkenntnisse über die wahren Zusammenhänge im
Afghanistan-Poker hätten zu einer sofortigen Beendigung des
britischen oder auch deutschen Engagements dort führen müssen.
By CRAIG
MURRAY -
More by this author » Last updated
at 20:45pm on 21st July 2007
Übersetzung: Hergen Matussik
Diese Woche wurde der 64. gefallene britische Soldat in Afghanistan,
Corporal Mike Gilyeat beerdigt. Es wurden all die rechten Dinge über
diesen tapferen Soldaten gesagt, genau wie sie auch über einen oder
mehrere seiner Kollegen gesagt werden, die ihmnächste Woche
nachfolgen werden, dem gegenwärtigen Trend nach zu urteilen.
Der alarmierende Anstieg der Verlustquote unter den britischen
Soldaten in Afghanistan – um zehn Prozent – führte in dieser Woche
zu Diskussionen, ob die Zahlen mit den Verlustquoten im Zweiten
Weltkrieg vergleichbar seien.
Afghanische Farmer bei der Opiumernte
|
Aber die eigentliche Frage ist diese: Wofür sterben unsere Soldaten?
Es gibt Antworten auf diese Frage, die wenig überzeugen: Demokratie
und Entwicklung nach Afghanistan bringen, die Regierung von
Präsident Hamid Karzai in ihren Versuch unterstützen, die Ordnung im
Land herzustellen, die Taliban bekämpfen und die Ausbreitung
Islamischen Fundamentalismus nach Pakistan verhindern.
Aber halten diese Fragen einer gründlicheren Analyse stand?
Es gab eine allzu leichtfertige Akzeptanz der bequemen Feststellung,
dass der Krieg in Afghanistan der „gute“ Krieg ist, während der Krieg
im Irak der „schlechte“ Krieg, die Panne ist. Der Ursprung dieser
Ansicht ist nicht irrational. Es gab eine gewisse Logik, Afghanistan
nach dem 11. September anzugreifen.
In der Tat war Afghanistan die Kommandozentrale von Osama Bin Laden
und seiner Organisation, die von der CIA
aufgebaut und finanziert worden war, um die Sowjets von 1979 bis
1989 zu bekämpfen. Im Vergleich hierzu war der Angriff auf den Irak
– ein Feind von Al Quaida und für uns keine Bedrohung – komplett
irrational, wenn man die offizielle Begründung zugrundelegt.
Aus diesem Grund wurde der Angriff auf Afghanistan in der
Öffentlichkeit eher für legitim gehalten. Aber die Operation, Bin
Laden auszuschalten, war eine Sache. Sechs Jahre Besatzung sind
eindeutig eine andere Angelegenheit.
Wenige scheinen sich an der offiziell zum Ausdruck gebrachten
Ansicht zu stören, dass unsere Besatzung Afghanistans Jahrzehnte
dauern könnte.
Der Führer der freien Demokraten (Lib Dems = Liberal Democrats)
Menzies Campbell hat unsinnigerweise erklärt, der Krieg in
Afghanistan sei „zu gewinnen“.
Afghanistan war für das britische Empire auf der Höhe seiner
Vorherrschaft militärisch nicht zu besiegen. Es konnte nicht von
Darius oder Alexander, nicht von Schah, Zaren oder Grossmogulen
besiegt werden. Es konnte nicht von 240.000 sowjetischen Soldaten
unter Kontrolle gebracht werden. Was genau versuchen wir also zu
gewinnen?
Innerhalb von sechs Jahren hat die Besatzung einen enormen Wandel in
Afghanistan bewirkt, eine so gewaltige Entwicklung, die das
afghanische Bruttoinlandsprodukt um 65 Prozent gesteigert hat und
jetzt 40 Prozent des gesamten Wirtschaftsvolumens ausmacht. Das ist
nach allen Massstäben eine beeindruckende Errungenschaft. Aber wir
verkünden sie nicht voller Stolz. Warum nicht?
Die Antwort ist die folgende:
Die Errungenschaft besteht in der gröss
ten Opiumernte, die die Welt
je gesehen hat.
Die Taliban hatten den Anbau von Opium auf genau Null reduziert. Ich
würde ihre Methoden nicht befürworten, zu denen es auch gehörte,
Stücke von Menschen – oft lebenswichtige Stücke – abzuhacken. Die
Taliban waren ein Haufen verrückter und zutiefst unangenehmer
religiöser Fanatiker. Aber eines der Dinge, gegen die sie vehement
etwas hatten, war Opium.
Dies ist eine unangenehme Wahrheit, die von unseren frisierten
Nachrichten erfolgreich verschleiert wurde. Niemand hat die
Aufrichtigkeit des verrückten religiösen Eifers der Taliban
geleugnet, und es war ebenso wahrscheinlich, von ihnen Heroin
verkauft zu bekommen wie eine Flasche Johnny Walker.
Sie löschten den Opiumhandel aus, ruinierten und vertrieben die mit
Drogen handelnden Warlords, deren Kriege und Habgierigkeit das
ruiniert hatten, was von dem Land nach dem Krieg mit den Sowjets
noch übrig war.
Das ist so ziemlich das einzig Positive, das man über die Taliban
sagen kann, und es gibt eine Menge sehr schlimmer Dinge, die man
sagen kann. Aber dass sie den Opiumhandel und die Drogenbarone
unterdrückt haben, ist eine unleugbare Tatsache.
Jetzt, wo wir das Land besetzt halten, hat sich das geändert. Nach
Angaben der Vereinten Nationen gab es im Jahr 2006 die gröss
te
Opiumernte in der Geschichte. Das Ergebnis übertraf den bisherigen
Rekord um 60 Prozent. Dieses Jahr wird die Ernte noch gröss
er
ausfallen.
Unsere ökonomische Errungenschaft in Afghanistan geht aber noch weit
über die schlichte Produktion von Rohopium hinaus. Tatsächlich
exportiert Afghanistan so gut wie gar kein Rohopium mehr. Es hat
erreicht, wozu alle Länder im Rahmen unserer internationalen
Hilfsleistungen gedrängt werden. Afghanistan hat die Verarbeitung
der Rohstoffe übernommen und unternimmt die „wertsteigernden
Massnahmen“ selbst.
Jetzt wird kein Opium mehr exportiert, sondern Heroin. Opium wird in
industriellem Ausmass zu Heroin verarbeitet. Nicht in Küchen, sondern
in Fabriken. Millionen von Litern der für diesen Prozess benötigten
Chemikalien werden mit Tanklastwagen nach Afghanistan geschafft. Die
Tanklastwagen und die Transporter mit Rohopium teilen sich auf dem
Weg zu den Fabriken die mit amerikanischer Hilfe verbesserten
Strassen mit den NATO-Truppen.
Wie konnte das geschehen, dazu in diesem Ausmass? Die Antwort ist
einfach: Die vier gröss
ten Akteure im Heroingeschäft sind alle
hochrangige Mitglieder der afghanischen Regierung – der Regierung,
die zu schützen unsere Soldaten kämpfen und sterben.
Als wir Afghanistan angriffen, bombardierte Amerika von der Luft
aus, während die CIA die entmutigten
Warlords bezahlte, bewaffnete und ausrüstete – vor allem jene, die
sich in der nördlichen Allianz zusammengetan hatten – damit diese
die Besatzung am Boden organisieren konnten. Wir bombardierten die
Taliban in die Unterwerfung, und die Warlords kamen um die
Kriegsbeute zu beanspruchen. Da machten wir sie zu Ministern.
Präsident Karzai ist ein guter Mann. Er liess nie einen Widersacher
umbringen, was vielleicht nach nicht viel klingt, aber in dieser
Gegend äusserst ungewöhnlich und für einen afghanischen Führer
vielleicht einzigartig ist. Aber niemand glaubt wirklich, dass er das
Land regiert. Er forderte Amerika auf, die jüngste Bombenkampagne im
Süden einzustellen, weil sie die Unterstützung für die Taliban
verstärkte. Die Vereinigten Staaten ignorierten ihn schlicht. Vor
allem aber hat Karzai keine Kontrolle über die Warlords unter seinen
Ministern und Gouverneuren, von denen jeder sein eigenes kleines
Königreich regiert, und deren Hauptanliegen darin besteht, sich
durch Heroin zu bereichern.
Alexander Litvinenko – früherer Agent des
KGB
|
Meine Kenntnis von diesen Dingen stammt aus meiner Zeit als
britischer Botschafter im benachbarten Usbekistan von 2002 bis 2004.
Ich stand an der Freundschaftsbrücke in Termez im Jahr 2003 und sah
die Jeeps mit den dunkel getönten Fenstern, wie sie das Heroin aus
Afghanistan brachten, auf dem Weg nach Europa.
Ich sah, wie die Tanklastwagen mit den Chemikalien nach Afghanistan
donnerten.
Dennoch konnte ich mein Land nicht davon überzeugen, diesbezüglich
irgendetwas zu unternehmen. Alexander Litvinenko – früherer Agent
des KGB, jetzt des FSB,
der im vergangenen November in London starb, nachdem er mit Polonium
210 vergiftet worden war, hatte die gleiche Frustration in der
gleichen Angelegenheit erlebt.
Es gibt eine Reihe von Theorien, warum Litvinenko aus Russland
fliehen musste. Die populärste nennt als Grund, dass er die Ansicht
unterstützte, Agenten des FSB hätten
Bomben in russischen Apartment-Blocks angebracht, um
antitschetschenische Ressentiments zu schüren.
Aber die Wahrheit ist, dass es seine Enthüllungen über den
Heroinhandel waren, die sein Leben in Gefahr brachten. Litvinenko
arbeitete in den Jahren 2001 und 2002 für den KGB
in St. Petersburg. Er bagann, sich Sorgen um die riesgen Mengen
Heroin zu machen, die aus Afghanistan kamen, insbesondere aus dem
Herrschaftsgebiet des (jetzigen) Chefs der Afghanischen
Streitkräfte, General Abdul Rashid Dostum in Nord- und
Ost-Afghanistan.
Dostum ist Usbeke, und das Heroin passiert die Freundschaftsbrücke
von Afghanistan nach Usbekistan, wo es von den Leuten von Präsident
Karimov übernommen wird. Von dort wird es auf der Schiene nach Riga
und St. Petersburg transportiert, versteckt in Baumwollballen.
Chef der afghanischen Streitkräfte: General Abdul Rashid Dostrum
|
Die Jeeps mit dem Heroin fahren von General Dostum zu Präsident
Karimov. Grossbritannien, die Vereinigten Staaten und Deutschland
haben alle gross
e Summen investiert und dem Usbekischen Zollzentrum
in Termez die modernsten Kontroll- und Überwachungsausrüstungen
gestiftet, um das Heroin aufzuhalten.
Aber die Konvois mit den Jeeps werden einfach an der Seite der
Einrichtung vorbei geleitet.
Litvinenko deckte die Kontakte in St. Petersburg auf und war
entsetzt über die Verwicklung von städtischen Behörden, der
örtlichen Polizei und Angehöriger der Sicherheitsdienste auf
höchstem Niveau. Er erstattete Präsident Vladimir Putin
detaillierten Bericht. Putin kommt natürlich aus St. Petersburg, und
die Leute, die Litvinenko nannte, gehörten zu Putins engsten
politischen Verbündeten. Aus diesem Grund musste Litvinenko, der sich
übel verschätzt hatte, aus Russland fliehen.
Ich hatte so wenig Glück wie Litvinenko bei dem Versuch, offizielle
Massnahmen gegen den Heroinhandel zu bewirken. Er fand heraus, dass
die in St.Petersburg in den Handel verwickelten Personen von
höchster Stelle beschützt wurden. In Afghanistan wiederum ist
General Dostum von vitaler Bedeutung für Karzais Koalition und für
den Anschein einer stabilen demokratischen Regierung, wie sie der
Westen vorspiegeln möchte.
Opium wird in ganz Afghanistan angebaut, insbesondere aber im Norden
und Nordosten – Dostums Gebiete. Wiederum haben die
Medien-Spezialisten unserer Regierung haben keine Mühen gescheut,
diese Tatsache zu verschleiern und vorzutäuschen, dass der Hauptteil
des Heroins in den kleinen Gebieten im Süden produziert wird, die
von den Taliban kontrolliert werden. Aber diese sind öde,
unfruchtbare und felsige Gegenden. Es ist physisch nicht möglich,
den Hauptteil der riesigen Opiumernte dort zu produzieren.
Die Tatsache, dass General Dostum Chef der afghanischen Streitkräfte
ist, ist an sich schon Symbol für den Bankrott unserer Politik.
Dostum ist bekannt dafür, dass er Gegner mitunter an die Ketten von
Panzern fesseln lässt, um sie dann überrollen zu lassen. Er pferchte
Gefangene in sengender Sonne in metallene Behälter, so dass sie in
Scharen an Hitze und Durst starben. Nachdem wir „Demokratie“ nach
Afghanistan gebracht hatten, befahl Dostum, einen Abgeordneten des
Parlaments, über den er sich ärgerte, festzubinden, während er ihn
angriff. Es ist traurig, dass Dostum wahrscheinlich noch nicht einmal
der Schlimmste der Leute ist, aus denen sich Karzais Regierung
zusammensetzt, oder auch nur der gröss
te Drogenschmuggler unter
ihnen.
Unsere Afghanistan-Politik ist immer noch Opfer von Tony Blairs
einfältiger Weltsicht und seiner kindischen Einteilung aller
Konflikte in „die Guten“ und „die Bösen“. In Wahrheit gibt es selten
irgendwelche Guten unter jenen, die in einem Land wie Afghanistan um
die Macht wetteifern. Die Karzai-Regierung als „die Guten“ zu
bezeichnen, ist schlicht Unsinn.
Aber warum schicken wir unsere Soldaten weiterhin nach Afghanistan?
Unsere Präsenz in Afghanistan und Irak liefert Islamistischen
Militanten die beste Motivation, sich rekrutieren zu lassen. Wie der
gross
e Diplomat, Soldat und Abenteurer Oberstleutnant Sir Alexander
Burnes vor seinem Tod im ersten afghanischen Krieg bemerkte, macht
ein Feldzug in Afghanistan keinen Sinn, weil man jedesmal, wenn man
sie schlägt, nur erreicht, dass sich die Zahl der Gegner erhöht.
Unser einziger wirklicher Erfolg sind bislang die fallenden Preise
für Heroin im Strassenverkauf in London.
Erinnern sie sich an diesen Artikel, wenn sie das nächste Mal einen
Politiker hören, wie er mehr Soldaten für Afghanistan verlangt. Und
wenn Sie hören, dass ein weiteres tapferes britisches Leben
verschwendet wurde, erinnern Sie sich daran, dass Sie zu den
Verlustzahlen all die jungen Leben hinzuzählen können, die in
England durch Heroin ruiniert und elend gemacht oder beendet wurden.
Diese zählen ebenfalls zu den Verlusten unserer Politik in
Afghanistan.
Autor
Craig Murray
Übersetzt von Hergen Matussik
Über den Autor:
Craig Murray war von 2002 bis 2004 britischer Botschafter in
Usbekistan. Während seiner Dienstzeit sprach er Menschenrechtsfragen
deutlich und öffentlich an und kritisierte auch den britischen
Geheimdienst, die amerikanische CIA und
den deutschen BND, weil sie vom
usbekischen Geheimdienst durch Folter gewonnene Informationen
verwendeten. Damit machte er sich bei seinen vorgesetzten
Dienststellen unbeliebt und wurde 2004 von seinem Posten entfernt.
Auf seiner
Website veröffentlichte er Dokumente über seine Erkenntnisse
über Menschenrechtsverletzungen in Usbekistan und die Reaktionen auf
sein Vorgehen innerhalb des britischen Foreign and Commonwealth
Office (FCO). Sie sind auf Betreiben des FCO
dort zum Teil nicht mehr einsehbar, werden aber unter anderem bei
Dahr
Jamail gespiegelt.
Hergen Matussik ist ein Mitglied von Tlaxcala, dem
Übersetzernetzwerk für sprachliche Vielfalt. Diese Übersetzung kann
frei verwendet werden unter der Bedingung, dass der Text nicht
verändert wird und dass sowohl der Autor, der Übersetzer, der Prüfer
als auch die Quelle genannt werden.
© frei – free
|