Die USA - der gröss
te Räuber des Globus
Peter Weibel hinterfragt im STANDARD-Interview die "Schurkenwirtschaft" - Am Sonntag diskutiert er im Volkstheater über "Globalisierung und Gewalt" 09. Mai 2003
Standard: "Ökonomie und Verbrechen" - Sie werden am Sonntag im Volkstheater wohl weniger über "Schurkenstaaten" sprechen als über . . .
Peter Weibel: . . . den Begriff Schurkenwirtschaft, den US-Ökonomen selbst ins Spiel gebracht haben, 2001, angesichts des betrügerischen Bankrotts des Energiekonzerns Enron und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen, die in die Bilanzfälschungen verstrickt war. Dabei wurden bekanntlich 100 Milliarden Dollar Umsatz vernichtet, das ist ungefähr ein Prozent des US-Bruttoinlandprodukts.
Davor war der Long Term Capital Management Fonds kollabiert, danach folgte WorldCom. Vor kurzem haben mehrere Banken einen Kompromiss mit der US-Justiz geschlossen und freiwillig ein Bussgeld in der Höhe von mehr als zehn Milliarden Dollar bezahlt, um einem Prozessurteil zu entgehen. Angesichts solcher zahlreicher Fälschungen, absichtlicher Fehlbuchungen, Manipulationen und Verstrickungen zwischen Kontrollorganen und Privatunternehmen haben sich die Ökonomen die Frage gestellt, ob die US-Wirtschaft strukturell eine Schurkenwirtschaft ist.
Standard:Wer wäre denn im Rahmen dieser "Schurkenwirtschaft" tatsächlich haftbar zu machen, wenn etwa "korrupte" Manager doch oft nur Spielregeln eines Systems auf die Spitze treiben, das jenseits von Gut und Böse vor allem zwischen roten und schwarzen Zahlen unterscheidet?
Weibel: Schurkenwirtschaft hat nur marginal mit korrupten Managern im klassischen Sinne zu tun. Individuelle Korruption, illegale Abfindungen und Abmachungen, Bestechungen im gross
en Stil wird es immer geben. Was Sie korrekt sehen: Die Spielregeln sind korrupt - gelegentlich auch noch die handelnden Personen dazu -, aber es sind die korrupten Strukturen und Regeln, weswegen man von einer strukturellen Schurkenwirtschaft spricht.
Beispielhaft dafür ist die grundlegende Methode zur Ermittlung von Unternehmenswerten, die in den USA bei Firmenübernahmen, Fusionen und Börsengängen üblich war: Die Discounted-Cash-Flow-Methode (CDF) stellt im Prinzip eine Bepreisung von zukünftigen Zahlungsströmen dar, eine Einschätzung von Unternehmen aufgrund von Erwartungswerten. Es wird nicht bewertet, was sie haben, sondern welche Gewinne zu erwarten sind. Diese Erwartungen konnten leicht manipuliert und erhöht werden.
Daraus entstand die berühmte "Blase" bzw. der irrationale Überschwang, den Robert J. Shiller 2001 (im Jahr der Twin Towers) in seinem Buch Irrational Exuberance beschrieb: der Zusammenbruch der New Economy, auf den B. Mark Smith 2002 mit Toward Rational Exuberance: The Evolution of the Modern Stock Market antwortete.
STANDARD: Was bedeutet das im Kontext von 9/11 und Irakkrieg?
Weibel: Mit der Schurkenwirtschaft als Motor lässt sich die Aussenpolitik der USA teilweise erklären. Einerseits symbolisch, im psychoanalytischen Sinne als Projektion innerer Konflikte und Defizite nach aussen. Der Balken im eigenen Auge, der schmerzt, wird abgewehrt und einem zu findenden Gegner zugeschrieben. Die Suche nach diesem Gegner ist klarerweise wichtiger als das Finden: Würde er gefunden werden, könnte zutage treten, dass es der eigene Balken ist, der schmerzt.
Die Schurkenwirtschaft konstruiert einen Schurkenstaat, einen Feind im Ausland, um von eigenen Schwierigkeiten im Inland abzulenken. Eine Art negative Reaktionsbildung, um einen Ausdruck von Freud zu gebrauchen. Diese Regierungstechnik ist in der Geschichte des 20. Jahrhunderts einigermassen bekannt.
So leid es mir tut, muss ich auf die Probleme Hitler-Deutschlands verweisen, das ebenfalls wirtschaftliche Probleme durch eine aggressive Aussenpolitik, militärische Eroberungs- und Besetzungspolitik, die Schaffung von Protektoraten etc. lösen wollte. Damals war der Feind das so genannte internationale Finanzjudentum, heute ist es der so genannte fundamentalistische Islam. Ich möchte die Analogie nicht überstrapazieren und Bush auch keineswegs mit Hitler vergleichen. Ich möchte nur darauf verweisen, dass eine Militarisierung der Politik auch rein ökonomische Gründe haben kann.
STANDARD: Gleichzeitig sieht es so aus, als würden viele Beobachter derzeit am liebsten weiterhin in Kategorien des 19. Jahrhunderts denken und Clausewitz studieren. Was hiesse das aber zum Beispiel: Krieg als Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln?
Weibel: Die USA sind das gröss
te Schuldenland der Welt. Sie finanzieren ihr Wachstum und ihre Wettbewerbsfähigkeit durch geldpolitische Massnahmen auf fremden Schultern. Im April 2002 belief sich etwa der Nettokapitalimport zur Finanzierung des Aussenbilanzdefizits auf täglich 1,5 Milliarden Dollar. Extrapoliert man das derzeitige US-Zahlungsbilanzdefizit von jährlich ca. 300 Milliarden Dollar, so würde die US-Auslandsverschuldung bis 2020 auf 100 Prozent des BIP ansteigen. Es ist also eine ökonomische Implosion Amerikas voraussehbar.
Auch die militärische Hegemonie Amerikas ist auf Schulden aufgebaut, zum Teil bei den Ländern, die es dann bedroht. Ein ökonomisch schwaches Land hat sich da auf Kosten anderer Länder als wahrscheinlich gröss
te Militärmacht aufgebaut - und korrigiert seine ökonomischen Probleme immer wieder mit seiner Kriegswirtschaft. Ich habe übrigens solche Thesen bereits vor mehr als 25 Jahren von dem US-Künstler Donald Judd gehört. Ähnliche Thesen vertritt Emmanuel Todd in seinem Buch Weltmacht USA.
STANDARD: Amerika ist aber nicht nur finanziell von anderen Ländern abhängig, sondern vor allem auch von Ressourcen anderer Länder.
Weibel: Die USA stellen 4,6 Prozent der Weltbevölkerung, verbrauchen aber 25 Prozent der globalen Energieressourcen und mehr als ein Viertel des weltweit geförderten Erdöls. Auf Zahlen umgelegt bedeutet das, dass die USA fünfmal so viel Energie verbrauchen, als ihnen bei einer gerechten Verteilung zustünde.
Amerika ist der gröss
te Räuber des Globus und der gröss
te Verschmutzer, siehe die Aufkündigung des Kioto-Abkommens. Es ist also in seiner Energieversorgung noch viel deutlicher von anderen Ländern abhängig als in seiner Finanzversorgung. Diese beiden Abhängigkeiten sind die Ursache für die brutale Politik des Interventionismus der USA. Insofern ist der Krieg tatsächlich die Fortsetzung der Ökonomie mit anderen Mitteln. (DER STANDARD; Printausgabe, 10.05.2003)
Teil 2
STANDARD: In unserem Gespräch sagten Sie: "Die USA haben sich auf Kosten anderer Länder als wahrscheinlich gröss
te Militärmacht aufgebaut - und korrigieren ihre ökonomischen Probleme immer wieder mit ihrer Kriegswirtschaft." Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die geradezu lüsterne allgemeine Paranoia, die rund um diese Haltung der USA überall Verschwörungen wittert, ja kultiviert?
Peter Weibel: Paranoia ist das Grundgefühl der US-Wirtschaft, wie es treffend Andy Grove, der ehemalige Chef von Intel, dem Weltmarktführer im Bereich der Chip-Produktion, 1999 im Titel seines Bestsellers Only The Paranoid Survive zum Ausdruck brachte. In diesem Klima und in dieser Kultur der Angst blüht die Paranoia. Medien und Film suggerieren dem Publikum ununterbrochen entweder die Angriffe äusserer Feinde oder den Kollaps innerer Sicherheiten, vom Krankenhaus bis zum weiss
en Haus. Nichts ist vor Epidemien oder Angriffen der Mars-Bewohner sicher.
Die Aliens sind in den Augen Amerikas überall, wie Barry Glassner ebenfalls 1999 in The Culture of Fear schrieb. Daher war der Schock 9/11 so gross
, weil dieses Ereignis als massenmediales Phantasma in die symbolische Ordnung verdrängt worden war und - wie wir von der Psychoanalyse wissen, gerade deswegen - in der Realität wiederkehrte. Die Paranoiker hatten Recht bekommen. Amerika leidet seitdem an einer Art Schicksalspsychose, die zu zwanghaften Wiederholungen führt, die ihrerseits im Gegenteil das Überleben nicht gerade optimal sichern.
STANDARD: Woher rührt diese amerikanische Angst?
Weibel: Ein wesentliches Kapitel rührt vom Trauma des Kalten Krieges, in dem, wie wir wissen, durch Spionage und Doppelspionage die Paranoia blühte. Die Geheimdienste wussten ja nie, ob ihre eigenen Agenten nicht auch Doppelagenten sind.
In diesem Klima der Paranoia entstand die politische Kontur des Ostblocks, einer Mauer - eine Kontur, die tatsächlich durch eine Mauer gezeichnet worden war. Amerika war ausgeschlossen, der Feind bildete einen undurchdringlichen Block, deshalb spricht man auch von einem Block, weil sich Amerika absolut ausgeschlossen fühlte.
Nun taucht am Horizont ein neuer Block auf, der Islamische Block, von Türkei bis Pakistan, von Saudi-Arabien bis Usbekistan. Dies ist die Furcht und Panik der Vereinigten Staaten. Deswegen möchten die USA diese Blockbildung verhindern, indem sie dort von vornherein militärisch präsent sind und gleichsam diese Blockbildung von vornherein perforieren.
STANDARD: Was heisst Repräsentation von Macht in diesen Kontexten? Was bedeutet das für die Medien?
Weibel: Aus dem 11. September 2001 und dem Irakkrieg können wir lernen, die Repräsentation von Macht und die Repräsentation durch Medien in einem neuen Kontext zu analysieren. Mit dem Afghanistankrieg begann irreversibel die Epoche der Fernkriege, die mit den Luftangriffen des Zweiten Weltkrieges angefangen hatte. Es wird nicht mehr Körper gegen Körper gekämpft, sondern intelligente Waffen setzen sich über Länder hinweg und zerstören die Städte. Fast ohne eigene Menschenopfer wird ein schwacher Gegner wie Afghanistan oder der Irak besiegt.
Die militärische Besetzung erfolgt nicht mehr zu Wasser und zu Lande, sondern durch die Luft, aus der Ferne. So wird eine militärische Präsenz in militärisch schwachen Ländern erzwungen. Eine geopolitische Strategie sichert die Energiepolitik. Diese Fernkriege sind eine neue Form der Geopolitik, und sie werden ermöglicht durch eine Technologie der Fernkommunikation, zu denen auch die Fernsehbilder gehören.
STANDARD: Fernsehen über Fernkämpfe?
Weibel: Genau. Die Gesellschaft des Nahkampfs hat sich in eine Gesellschaft des Fernkampfs verwandelt, wo massenmediale Bilder der Telekommunikation ebenfalls als intelligente Waffen eingesetzt werden. Bei diesem Wandel zu einer Ferngesellschaft spielen die Technologien der Telekommunikation eine entscheidende Rolle.
Die Gesellschaft des Spektakels wandelt sich in diesem technischen Kontext zu einer Gesellschaft der Symptome. Die massenmedialen Bilder sind als Symptome zu lesen und zu interpretieren. Diese Medienkompetenz geht aber über Bilder hinaus, wie Brecht schon gesagt hat (das Bild einer Fabrik sagt nicht die Wahrheit der Fabrik). Es gilt, den Kontext zu erschliess
en, mit dessen Hilfe die Diagnose der Bilder als Symptome möglich wird. Wir sollten also weniger von Repräsentation als von einem Symptomfeld sprechen, wenn wir uns auf die Telebilder der Ferngesellschaft einlassen.
Es gibt keine naturalistischen Bilder mehr; nur mehr konstruierte und inszenierte. (DER STANDARD, Printausgabe vom 12.5.2003)
|