Über den wirklichen Ssuufi-Weg
Das Kapitel Haqiqat -e- Tariqat aus dem Buch Tarbiyyat
al-Saalik (Die Ausbildung des Suufi-Reisenden) von Maulana Aschraf `Ali
T'hanwi | Übersetzung aus dem persischen / Copyright©1998 Dr.Yahya
Grassl; All Rights Reserved.
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Enthüllungen des
Verborgenen (kaschf) und Wunder (Karaamaat) sind kein notwendiger
Bestandteil des Suufi-Weges.
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Für Erlösung am Tag der
Abrechnung wird keine Verantwortung übernommen.
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Die Lösung von Problemen
der diesseitigen Welt (Dunjaa) durch ta`widh (geschriebene
Gebetsformel) oder du`aa (Bittgebet) wird nicht versprochen,
ebensowenig wie Einkommensvermehrung, Heilung von Krankheiten durch
Behauchen [des erkrankten Körperteils nach einem Gebet], oder Vorhersage
der Zukunft.
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Der Schaikh (Lehrer) verfügt
nicht über die Macht, eine automatische Veränderung (tasarruf)
seines Schülers zu bewirken; es ist nicht möglich dass ein Schüler durch
das tawaddschuh (Projektion spiritueller Kraft) des Schaikhs einen
Zustand erreicht in dem er sich nicht einmal bloss vorstellen kann zu sündigen;
dass seine Anbetungshandlungen (`ibaadat) ohne eigene Anstrengung
automatisch ablaufen; dass sich sein Wissen von Islam und sein Gedächtnis
vom Qur'aan von selbst vermehren.
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Der Schaikh kann nicht
garantieren dafür dass sich ein Schüler in einem ständigen spirituellen
Wohlgefühl befindet, oder dass seine Anbetungshandlungen frei von
Ablenkungen werden; dass jemand viel weint; oder dass sich im Bewusstsein
eine Selbstauslöschung einstellt, sodass jemand nichts mehr von sich oder
der Umwelt weiss
.
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Das Wahrnehmen von Lichtern
oder Geräuschen während des Dhikrs (Vergegenwärtigung Allahs) ist
nicht nötig.
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Das Sehen schöner Träume
ist ebensowenig garantiert wie die Gültigkeit von ilhaam
(Inspiration).
Das wahre Ziel besteht darin, Allah
ta`alaa zu gefallen. Wer dies will, soll
die Regeln des Heiligen Rechts (ahkaam al-schari`ah) mit seinem ganzen
Wesen befolgen. Diese Regeln haben zwei Aspekte: einer bezieht sich auf Äusserliches,
wie zum Beispiel das rituelle Gebet, Fasten, HHhadsch, die reinigende Abgabe (zakah)
etc., oder Eheschliessung und Ehescheidung, die Rechte der Ehepartner, Schwüre
und die Entbindung davon, etc., oder Geschäftstätigkeiten, die Durchführung
von Gerichtsverfahren und der Zeugeneinvernahme, Testaments- und
Erbschaftsangelegenheiten etc., oder alltägliche Lebensangelegenheiten wie Grüssen,
Essen, Schlafen, Aufstehen, Gast und Gastgeber sein, etc. - dieser Aspekt wird
durch figh (Gesetzerkenntnis) geregelt.
Der zweite Aspekt bezieht sich auf Innerliches, wie zum Beispiel Liebe zu
Allah
, Furcht vor Allah
, das Eingedenksein Allahs, das Verringern der Liebe zur
Dunjaa,
die Zufriedenheit mit Allahs Willen, das Vermeiden von Gier, das Vorhandensein
von Herzensbewusstheit bei Anbetungshandlungen, die Aufrichtigkeit in der
Religion, niemanden zu entwürdigen, Selbstverehrung und Arroganz zu vermeiden,
Zorn in Kontrolle zu haben, etc. Diese Einstellungen werden akhlaaq
(Perfektionierung von Handlungen) genannt; sie sind der Hauptzweck von suluuk
(die spirituelle Reise). Wie im Fall der sich auf Äusserliches beziehenden
Regeln ist auch das Befolgen dieser innerlichen Regeln Pflicht (farḍth und
waadschib).
................[ein echter Schaikh ist wie ein qualifizierter Arzt, er
stellt seinen Schülern Heilmittel zur Heilung der innerlichen Krankheiten zur
Verfügung. Dies ist der Hauptzweck der Schaikh-Schüler Beziehung. Das
Unterrichten von Dhikr und Dhikrübungen ist von untergeordneter
Bedeutung].................
Ein Reisender auf dem Ssuufiweg hat daher zwei Aufgaben zu erledigen: eine ist
Pflicht, nämlich die Regeln der äusseren und inneren schari`ah einzuhalten,
die zweite ist mustahabb (verdienstvoll), nämlich einen Zustand von ständigem
Dhikr Allahs zu erreichen. Durch Einhaltung der Schari`ah erlangt man Allahs
Wohlgefallen, während konstantes Dhikr eine Vermehrung dieses Wohlgefallens und
der Nähe Allahs bewirkt. Dies ist es worum es kurzgefasst bei suluuk
(der spirituellen Reise) geht.
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