In
Österreich gibt es ein
gesundheitliches und ein
wirtschaftliches Alkoholproblem:
Fünf Prozent der Menschen ab dem 16.
Lebensjahr sind alkoholkrank mit
zahlreichen medizinischen und
sozialen Folgeschäden. Doch auch
volkswirtschaftlich ist der hohe
Alkoholkonsum ein reines Defizit.
Direkte medizinische Kosten,
direkte nicht medizinische Kosten (Sozialleistungen)
und die Produktivitätsausfälle
bedeuteten unter Einrechnung der
Alkoholsteuer 2011 ein Minus von
737,9 Millionen Euro. Das ergab eine
Studie des Instituts für Höhere
Studien (IHS), die am Donnerstag in
Wien präsentiert wurde.
Warnung vor dem täglichen
Überkonsum
„Wir haben eine sehr betroffen
machende Situation. Es wäre an er
Zeit, die Ärmel aufzukrempeln und
mehr zu tun“, stellte der Leiter des
Anton Proksch Instituts (API), der
Psychiater Michael Musalek, zu den
Daten fest. Ein Team um den
IHS-Gesundheitsökonomen Thomas
Czypionka hatte bereits im Frühjahr
die direkten Gesundheitskosten der
Alkoholkrankheit in Österreich mit
rund 374 Millionen Euro berechnet.
Jetzt kam die Abschätzung der
restlichen Kosten für die
Volkswirtschaft hinzu.
„Im Laufe des Lebens werden zehn
Prozent der Österreicher
alkoholkrank. Fünf Prozent der
Menschen ab dem 16. Lebensjahr sind
als alkoholkrank zu klassifizieren.
Das sind 350.000 Menschen. 24
Prozent der Männer und jede zehnte
Frau über 15 konsumieren täglich
Alkohol über der Gefährdungsgrenze“,
so Czypionka.
Dritter Platz im internationalen
Vergleich
Die Gefährdungsgrenze liege für
Frauen bei einem durchschnittlichen
Konsum von 40 Gramm reinem Alkohol
pro Tag, bei Männern bei einem
durchschnittlichen Konsum von 60
Gramm reinem Alkohol, so der Experte.
20 Gramm entsprechen rund einem
Viertelliter Wein oder einem halben
Liter Bier. Österreich liegt mit
einem Alkoholkonsum von 12,9 Liter
pro Kopf und Jahr international
(OECD) auf dem dritten Platz hinter
Frankreich und Portugal.
Von Krankengeld bis Pensionen
Die Misere mit hohem
Alkoholkonsum und häufig bestehender
Abhängigkeit schlägt deutlich auf
die volkswirtschaftliche Rechnung
durch. „Wir haben die direkten
medizinischen Kosten mit 373,8
Millionen Euro oder 1,44 Prozent der
Gesundheitskosten berechnet“, so
Czypionka.
An direkten nicht medizinischen
Aufwendungen kamen 2011 6,6
Millionen Euro an Krankengeld, acht
Millionen Euro an Pflegegeld, 23,5
Millionen Euro für
Invaliditätspensionen und 7,1
Millionen Euro an Witwenpensionen
hinzu. Den gröss
ten Anteil aber
machten die Produktivitätsausfälle
durch Krankenstände etc. aus: 441,7
Millionen Euro.
Die „Positiva“ sehen dagegen
gering aus: Das Finanzministerium
nahm im Jahr 2011 (Berechnungszeitraum)
119,2 Millionen Euro an
Alkoholsteuern ein. Das
Pensionssystem wurde um 3,7
Millionen Euro durch die höhere
Sterblichkeit der Alkoholkranken „entlastet“.
Damit betrugen die Kosten der
Alkoholkrankheit allein 0,25 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts (2011:
rund 301 Milliarden Euro).
Zwischen Bagatellisierung und
Dramatisierung
Der Psychiater Musalek forderte
ein Umdenken der Gesellschaft. „Der
Alkohol wird bagatellisiert, ab dem
Zeitpunkt, zu dem jemand Probleme
bekommt, wird jedoch dramatisiert.
Die Alkoholkrankheit wird fast immer
zu spät diagnostiziert“, so Musalek.
Man sei hier in einer Situation wie
beim Mammakarzinom vor 40 Jahren.
Man brauche attraktivere
Behandlungsprogramme.
Dabei sei die chronische
Erkrankung Alkoholismus sehr gut
behandelbar. „Wir können davon
ausgehen, dass wir bei 70 bis 80
Prozent eine ‚Symptomlosigkeit‘
erreichen, wenn jemand regelmäss
ig in
Behandlung bleibt“, so Musalek.
Besonders wichtig wären viel mehr
Möglichkeiten und Angebote zur
Rehabilitation und zur Reintegration
ins Berufsleben. Dass die privaten
Krankenversicherungen Leistungen für
Alkoholkranke ausschlössen und
Psychiatrierehabilitation sich nicht
um sie kümmere, sei „ein Umstand,
der unerträglich ist“.