Löschung

Die Tinte des frisch Geschriebenen ist mit dem Löschblatt gelöscht. Meist verwendete ich eine spitze Schreibfeder, die ich in Tinte tauchte, so dass genügend Tinte diesen Löschvorgang - neben den Inhalten des Schreibens - verdeutlichte und das Gelöschte immer dichter wurde je öfter ich löschte. Diesen Prozess des Löschens übertrug sich später auch auf Pinsel, angesammelten Staub und weitere Handlungen, wie etwa das Durchscheuern und Abnützen von Kleidungsstücken, eine Wahrnehmung, die sich später als mystische Erfahrung herausstellte.

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Einladung zur Ausstellung

Die technische Voraussetzung für die frühen Löschungen war das Schreiben mit Feder, die ich in die Tinte eintauchte und derart eine nötige Menge an flüssiger Tinte zum Löschen auf das Papier kam. Später waren es auch Pinselabstreifungen, Vorgefundene Löschungen und etwa meine Arbeitshemden, die ich mit  Wandfarbe, Motoröl usf. belöschte. Löschungen können man technisch gesehen auch als tausendfache Monotypien bezeichnen, so die Worte oder Sätze oft einzeln gelöscht (monotypiert) werden und erst in der Summe vieler solcher Monotypierungen das dichte Bild einer Löschung ergeben. Doch ist die Löschung eher als spiritueller Vorgang zu verstehen.

Die gelöschte Tinte ist also die in eine andere Gegenwart transformierte Vergangenheit, während Inhalt oder die Bedeutung des Geschriebenen  schon verändert ist bevor die Tinte trocknen könnte. Inhalte die ich in Briefen und Texten anzusprechen versuchte, bleiben nicht im Text erhalten, sondern in der Löschung ohne vom auslösenden Ereignis noch verändert werden zu können. Es war mir stets eine kultische Handlung, ein intimes Ereignis, wenn ich das Löschblatt auf den nassen Text drückte und sich die Tinte darin aufsaugte; die Wandlung von einer launischen Realität in eine qualitativere Wirklichkeit.

Ich erlebte im Löschvorgang, dass die äußere Welt identisch mit der inneren ist. Diesen Löschvorgang, der sich während der Klausur oft tausende male wiederholte, empfand ich damals als Mystik, ein Geheimnis, dessen Wahrheit sich anfühlen lies. Ein qualitatives Erlebnis, welches ich auch in meinen Arbeiten der kommenden Jahre nicht missen wollte. Konnte ich dieses Erlebnis einer Lebensqualität nicht erreichen, wusste ich, dass mit meiner Arbeit irgendetwas nicht stimmen kann. Der Produktionsvorgang von Kunstwerken wurde für mich spätestens jetzt  zur Suche nach echter Lebensqualität. Der innere Zustand des  Produzierens von Kunst wurde zum Messinstrument der Suche nach Lebensqualität.

Der Löschvorgang ist letztlich ein Gleichnis für einen Prozess, der in allen absichtlichen Handlungen zu finden ist und da ist die eigene Seele das Löschblatt, welche alle Handlugen entsprechend ihren Absichten permanent dokumentiert (löscht).

Anders ausgedrückt: Die Engel löschen die Taten und werden im Leben nach dem Tod als Rechnung präsentiert werden, doch das habe ich erst später verstanden, nachdem ich mich - scheinbar durch meine Kunst - zum Islam hingetastet hatte.