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  Demokratismus       

Urteil zu NATO-Terror

http://www.jungewelt.de/2011/10-04/047.php  04.10.2011

 

Fotos des italienischen Ingenieurs Luigi di Stefano: Oben das getroffene Flugzeug, Einschusslöcher (rechts) und Grafik der Raketeneinschläge

Foto: Luigi di Stefano

 

Der Militärpakt wollte 1980 den libyschen Staatschef Ghaddafi umbringen. Seine Jäger schossen aber eine italienische Passagiermaschine ab

Von Gerhard Feldbauer
 

Der Terrorakt der NATO-Jäger vor 31 Jahren kam vor kurzem erneut in die Schlagzeilen. Am 21. September berichtete die römische Repubblicca, ein Gericht in Palermo habe die italienische Regierung verurteilt, den Angehörigen der 81 Opfer des Absturzes der italienischen Verkehrsmaschine eine Entschädigung von 100 Millionen Euro zu zahlen. Die in einem Verband der Hinterbliebenen zusammengeschlossenen Verwandten hatten jahrzehntelang nicht nur um materielle Entschädigung gekämpft, sondern vor allem auch um die Entlarvung eines Verbrechens von CIA und NATO, das die italienischen Behörden, wie es im Urteil des Gerichts jetzt (wenn auch verharmlosend) heisst, durch »Unterlassungen« deckten und vertuschten.

 

Wörners Vertuschung

Was geschah an jenem Abend des 27. Juni 1980? Um 20.59 Uhr stürzte die Passagiermaschine DC 9 McDonnell Douglas der italienischen Fluggesellschaft Itavia unweit der nördlich von Sizilien liegenden kleinen Insel Ustica ins Thyrrenische Meer. Alle 81 Insassen kamen ums Leben. Wie später ans Licht kam, befanden sich zu dieser Zeit zirka 30 Jäger, Radarflugzeuge, Flugzeugträger und U-Boote der NATO in diesem Gebiet im Einsatz. Aus Berichten italienischer und US-Medien wurde schon bald bekannt, dass der libysche Staatschef Muammar Al-Ghaddafi Ziel des im Rahmen eines NATO-Manövers geführten Angriffs war. Er befand sich an Bord einer sowjetischen Tupolew zur selben Zeit über Ustica. Seine Maschine dreht aber überraschend ab. Es sickerte durch, dass proarabische Kreise in Rom Kenntnis von dem Anschlagsplan erhalten hatten und Ghaddafi in letzter Minute warnten. Das Attentat sollte in Tripolis einen Putsch auslösen. Der die Rakete abschiess ende Pilot hatte die DC 9 für die Tupolew gehalten, da sich beide Flugzeuge im Profil ähnelten.

In den Medien tauchten sofort Berichte auf, linke Terroristen hätten eine Bombe zur Explosion gebracht. Dann hiess es, Abnutzungserscheinungen, Materialermüdung und schlechte Wartung der Maschine hätten das Unglück herbeigeführt. Die Itavia wies diese Anschuldigungen zurück. Sie legte Radaraufzeichnungen des römischen Flughafens Fiumicino vor, auf denen ein fliegendes Objekt zu erkennen war, bei dem es sich um ein Jagdflugzeug gehandelt haben konnte, das eine Rakete auf die DC 9 abfeuerte. Die NATO und ihre Geheimdienste, allen voran die CIA, erklärten sofort, »sämtliche Maschinen seien am Boden, alle Raketen in den Hangars« gewesen.

Über ein Jahrzehnt wurden diese Lügen aufrechterhalten. Noch im März 1989 erklärte das Pentagon, dass »zur Zeit des Unglücks weder Schiffe noch Flugzeuge der US-Marine oder -Luftwaffe in oder über dem Thyrrenische Meer anwesend waren. In Rom verbreitete US-Botschafter Richard Gardner denselben Standpunkt. Manfred Wörner (BRD), von 1982 bis 1988 Verteidigungsminister und von 1988 bis zu seinem Tode 1994 NATO-Generalsekretär, deckte das Verbrechen ebenfalls und beteuerte laut Spiegel 14/1991 »die Unschuld der NATO-Piloten«.

 

Zeugen beseitigt

In einer von den Geheimdiensten inszenierten Desinformationskampagne wurde die angebliche Bombenexplosion jahrelang am Kochen gehalten. Der Standpunkt der Itavia wurde bestätigt, als 1987 endlich das in etwa 3000 Meter Tiefe liegende Wrack der DC 9 gehoben wurde. Im Inneren der Maschine waren keine Spuren von Flammen zu erkennen, was eine Bombenexplosion ausschloss. Einen Raketeneinschlag bestätigte dagegen die Tatsache, dass eines der beiden Triebwerke völlig geschmolzen und im Frachtraum Einschläge zu erkennen waren. Bezeichnenderweise wurde der Voicerecorder, der die letzten Meldungen des Piloten aufgezeichnet haben musste, von der französischen Bergungsgesellschaft IFREMIR angeblich nicht gefunden. Das Unternehmen, das bereits mit den Amerikanern Teile der 1912 gesunkenen Titanic geborgen hatte, wurde beschuldigt, den Fund unterschlagen zu haben.

Nachdem am 28. August 1988 während einer Flugschau über der US-Luftwaffenbasis Ramstein in Rheinland-Pfalz zwei Piloten der italienischen Kunstflugstaffel »Frecce tricolori« zusammenstiessen, in die Menge stürzten und es 70 Tote und 450 zum Teil schwer Verletzte gab, mussten in Italien die jahrelang verschleppten Ermittlungen endlich ernsthaft betrieben werden. Es galt als sicher, dass zumindest eine der italienischen Maschinen manipuliert worden war. Die beiden Piloten waren am 27. Juni 1980 als Jagdflieger über Ustica im Einsatz und nach der Flugschau zur Vernehmung vorgeladen. Es kam ans Licht, dass bis dahin über ein Dutzend Zeugen, alle Mitwisser der Umstände des Absturzes, auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen bzw. – wie in italienischen Medien immer wieder offen geäussert wurde – umgebracht worden waren.

Ein ungeheuerliches Verbrechen wurde mit der Verschleppung der Such- und Bergungsarbeiten der DC 9 begangen. Obwohl die Absturzstelle genau bekannt war, wurden die Bergungskommandos in ein weit abseits liegendes Gebiet geschickt. Die »Rettungsversuche« begannen erst zehn Stunden nach dem Absturz. Eindeutiges Ziel war, es sollte keine Überlebenden geben, die aussagen konnten, dass die Maschine von einer Rakete getroffen wurde. Das Mailänder Nachrichtenmagazin Panorama berichtete 1989, die DC 9 sei von dem Piloten aufs Wasser aufgesetzt worden und habe sich noch einige Stunden über Wasser gehalten. Sie sei erst gesunken, nachdem ihr Rumpf im Morgengrauen von Froschmännern eines britischen U-Bootes gesprengt wurde. Panorama zitierte einen Zeugen aus Militärkreisen, dass es bis zu dieser Sprengung noch Überlebende gegeben habe.

Den Durchbruch in den Ermittlungen erzielte – nachdem zuvor vier Untersuchungsrichter das Handtuch geworfen hatten oder dazu gebracht worden waren – der in Terrorfragen erfahrene Staatsanwalt Rosario Priore. Er stellte Tonbänder der Radarzentrale sicher, die dem Chef der CIA-Residentur in Rom, Duane Clarridge, ausgehändigt worden waren. Er fand heraus, dass der US-Botschafter in Rom bereits einen Tag nach dem Abschuss der DC 9 einen »Sonderstab Ustica« gebildet hatte, der alle verfügbaren Beweise sicherstellte und unter Verschluss nahm. Exverteidigungsminister Lagorio sagte aus, dass alle Fäden bei den Geheimdiensten zusammengelaufen seien, welche die Ermittlungen in falsche Richtungen lenkten. Der General räumte ein, dass auch Zeugen »beseitigt« worden seien.

 

Milde Urteile

Staatsanwalt Priore bestätigte in seiner Anklage die in der Öffentlichkeit seit langem bekannten Enthüllungen, dass die DC 9 von einem NATO-Jäger abgeschossen wurde. Dass der Todesschütze ein US-Pilot war, konnte er nicht nachweisen. In seinem 5000 Seiten umfassenden Abschlussbericht verdeutlichte er jedoch, dass es aller Wahrscheinlichkeit nach ein Amerikaner war. Priore erhob schliess lich Anklage gegen neun italienische Generäle und Offiziere wegen Hochverrats, Irreführung der Behörden, Beweisunterdrückung und Zeugenbeeinflussung. Eine Anklage wegen Mittäterschaft bei der Ermordung oder zumindest des Totschlags der 81 Insassen der DC 9 wurde nicht zugelassen, auch nicht eine wegen Zeugenbeseitigung. Und natürlich kamen auch die eigentlichen Drahtzieher des Verbrechens – die Verantwortlichen aus CIA, Militärischem Abschirmdienst der BRD und anderen westlichen Geheimdiensten sowie der NATO, unter ihnen deren damaliger Generalsekretär Wörner – nicht vor die Schranken des Gerichts.

Die Richtersprüche fielen vergleichsweise mild aus, die Verurteilten kamen bald wieder auf freien Fuss, ihre Karrieren litten nicht. Der verurteilte General Lamberto Bartolucci stieg später sogar zum Generalstabschef des Verteidigungsministers auf.

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