Taqiya bei uns im Grunde unbekannt
„Der MehrheitsIslam kennt die
vielbeschworene „Taqiya“ gar nicht. Von Yasin Alder, Bonn
... entnommen von
www.Islamische-zeitung.de
am 05.11.2007
In Islamkritischen Publikationen wird Muslimen in Deutschland immer
wieder der Vorwurf der Taqija (Taqiya) gemacht, mit dem behauptet
werden soll, dass die Muslime ihre „wahren Absichten“
verschleierten, nämlich die „Machtübernahme“ hierzulande und in
Europa, und nach Aussen ein anderes, „harmloseres“ Gesicht zeigten,
als sie es eigentlich hätten. Dieser Vorwurf mag auf Menschen, die
kaum Wissen über den Islam haben, zunächst Eindruck machen, zumal er
durch die Verwendung arabischsprachiger Terminologie Sachkenntnis
vorgaukelt. Tatsächlich entbehrt der Vorwurf nicht nur der
faktischen Grundlage, sondern auch jeglicher seriösen Sachkenntnis,
da der Begriff hier völlig falsch interpretiert und verwendet wird.
Es handelt sich um ein Beispiel für einen von seiner ursprünglichen
Bedeutung und aus seinem ursprünglichen Kontext gelösten,
umgedeuteten Begriff.
„In der frühen Zeit des Islam, unter den Gefährten des Propheten
Muhammad, Allah
segne ihn und schenke ihm Frieden, gab es den
Begriff ,Taqija’ überhaupt nicht“, sagt der Islamwissenschaftler
Abdurrahman Reidegeld. „Was es gab und gibt, ist dass man in
Situationen, wenn man von Nichtmuslimen gefangen genommen worden war
oder gefoltert wurde, also in extremen Situationen, wo Leib und
Leben akut bedroht sind, sagen darf, dass man kein Muslim oder keine
Muslimin sei, um das eigene Leben zu retten oder sich Folter und
Qualen zu ersparen, wobei man im Inneren natürlich Muslim bleibt.“
Dieses Prinzip, dass sein Muslimsein verleugnen darf, wer um sein
Leben, seine Gesundheit, seine Würde, seine Familie oder seine
Gemeinschaft fürchtet, gilt auch heute noch. Es wurde aber nie mit
dem Begriff Taqija bezeichnet.
Auch Taqija als Begriff für eine Verschleierung seiner wahren
Absichten gibt es im sunnitischen Islam gar nicht. Die einzige
historische Situation, in der es etwas ähnliches gab, habe, so
Reidegeld, in der Zeit der Verfolgung der in Spanien verbliebenen
Muslime durch die christlichen Herrscher und die Kirche, nach der so
genannten „Reconquista“ im Rahmen der Inquisition im 16.
Jahrhundert, bestanden. Diesen Muslimen hatten einige Rechtsgelehrte
empfohlen, ihre rituelle Waschung für das Gebet heimlich zu machen,
in Form einer Ersatzabreibung (Tajammum) etwa im Vorbeigehen an
einer Hauswand, um nicht durch die Waschung als Muslime
identifiziert und von der Inquisition verhaftet zu werden. Diese
Rechtsgutachten (Fatwas) stellten aber im sunnitischen Bereich eine
gross
e Ausnahme dar und seien auch umstritten gewesen.
Die rechtliche Mehrheitsmeinung war nämlich immer die, dass Muslime
aus einer Region, in der ihnen die minimale Ausübung des Islams -
zum Beispiel das Gebet, das Fasten, die Einsammlung der Zakat-Steuer
- nicht mehr möglich ist, in Regionen, in denen sie dies können,
etwa muslimisch dominierte, auswandern sollen, ja sogar müssen,
sofern sie die Möglichkeit dazu haben. Dass einige Muslime trotz der
Verfolgung in Spanien geblieben waren, war demnach an sich bereits
ein Ausnahmefall. Die Auswanderung wird also generell als besser
betrachtet als die Verheimlichung des Muslimseins. Dass muslimische
Gemeinden derart unter Druck geraten, ist aber insgesamt eher eine
neuzeitliche Erscheinung, wie etwa unter den kommunistischen Regimen.
Eine Tradition hat „Taqija“ lediglich im schiitischen Bereich, wo
der Begriff im 9. Jahrhundert erstmals auftaucht. Hier sei dies, so
Reidegeld, tatsächlich ein festes Prinzip, das allerdings auch nur
innerIslamisch definiert sei, nämlich um die Zugehörigkeit zur
Schi’a gegenüber der sunnitischen Mehrheit zu verheimlichen, nicht
aber gegenüber Nichtmuslimen. In der safawidischen Zeit, also nach
1500, sei Taqija dann innerhalb der Schi’a noch mehr zu einem
positiv definierten Begriff geworden, „insbesondere in der Zeit der
Seldschuken und nach der Zwangsschiitisierung Persiens, wo es eine
sehr starke Polarisierung zwischen dem zwölferschiitischen Bereich
und dem sunnitisch-osmanischen Bereich gab“, erklärt Reidegeld. Auch
in modernerer Zeit habe Khomeini Taqija ausdrücklich befürwortet.
Taqija ist also weder ein gesamtIslamisches Konzept, noch überhaupt
ein nach Aussen gerichtetes und war als solches im sunnitischen
Bereich nie üblich. Eine Verschleierung der Absichten habe, so
Reidegeld, im Islam nur im Kriegszustand, etwa in Form einer
Kriegslist, eine Tradition, wobei ein Krieg niemals im Sinne des
Terrorismus individuell erklärt werden könne, sondern nur von der
offiziellen politischen Führung. Auch dies werde allerdings nicht
Taqija genannt, und im Zusammenleben von Menschen auss
erhalb eines
solchen Kriegszustands gebe es dieses Konzept auch nicht.
Die Erlaubnis zur Verleugnung seines Muslimseins in den oben
geschilderten akuten Bedrohungssituationen bezieht sich vor allem
auf Muslime, die sich in der Position einer unterdrückten Minderheit
befinden. Gerade dies wird von den einschlägigen Islam-Gegnern ja
gerade nicht so gesehen, die ja vielmehr davon ausgehen, dass die
Muslime hierzulande alle Rechte hätten - wenn überhaupt dann zu
viele - und gar nicht diskriminiert würden. Hier wird also ein
Bedecken des Muslimseins eher sogar noch provoziert, wenn nämlich
die Situation entsteht, dass das Muslimsein in der Öffentlichkeit
nicht mehr toleriert wird und Muslime unter einen Generalverdacht
gestellt werden.
Der Begriff der Taqija ist somit ein Beispiel für neu geschaffene
Kampfbegriffe, die gar nicht genuin aus dem Islam kommen. Der
Vorwurf der Taqija bezieht sich auf ein Phänomen, das so in dieser
Art gar nicht besteht und im Islam gar keine Grundlage hat. Der
Fachbegriff Taqija wird in diesem Kontext eindeutig falsch
verwendet.
Die Verwendung des Taqija-Vorwurfs erinnert an die mittelalterlichen
Methoden der Hexenjagd. Treten Muslime mit positiven, nicht
angreifbaren Aussagen an die Öffentlichkeit, betreiben sie nach der
besagten Logik „Taqija“. Geben sie Äusserungen ab, die den
Protagonisten dieses Vorwurfs nicht genehm sind oder die dem, was
man ihnen unterstellt - wenn auch nur scheinbar - entsprechen, sind
sie ohnehin „überführt“. Mit dem Ergebnis, dass die Muslime so oder
so, egal was sie tun, dem negativen Bild nicht entgehen können. Sie
sind bereits vorverurteilt - denn die Anklage ist bereits die
Verurteilung.
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