Mohammeds Schwert
von Uri Avnery (Israel)
SEIT DEN Tagen, als römische Kaiser die Christen
den Löwen zum Frass hinwarfen, haben die Beziehungen zwischen Kaisern und
Kirchenführern viele Wandlungen durchgemacht.
Konstantin der Grosse, der 306 - genau vor 1700 Jahren - Kaiser wurde,
machte das Christentum zur Staatsreligion seines Kaiserreiches, das
damals auch Palästina einschloss. Jahrhunderte später teilte sich die
Kirche in einen östlichen (orthodoxen) und einen westlichen
(katholischen) Teil. Im Westen erwarb der Bischof von Rom den Titel
Papst und verlangte vom Kaiser, sich ihm zu unterwerfen.
Der Kampf zwischen Kaiser und Papst spielte in der europäischen
Geschichte eine zentrale Rolle und spaltete die Völker. Es gab für beide
Seiten Siege und Niederlagen. Einige Kaiser setzten den Papst ab oder
vertrieben ihn, einige Päpste setzen den Kaiser ab oder exkommunizierten
ihn. Einer der Kaiser, Heinrich IV., "ging nach Canossa", stand drei
Tage barfuss im Schnee vor der Burg des Papstes, bis der Papst sich
herabliess, die Exkommunizierung aufzuheben.
Aber es gab auch Zeiten, in denen die Kaiser und die Päpste in Frieden
miteinander lebten. Heute erleben wir solch eine Zeit. Zwischen dem
gegenwärtigen Papst Benedikt XVI. und dem gegenwärtigen Kaiser George
Bush II. besteht eine wunderbare Harmonie. Die vor einer Woche gehaltene
Rede des Papstes, die einen weltweiten Sturm auslöste, passt gut zu
Bushs Kreuzzug gegen den Islamo-Faschismus - im Kontext des Kampfes der
Kulturen.
IN SEINER Vorlesung an einer deutschen Universität
beschrieb der 265. Papst den gross
en Unterschied zwischen Christentum und
Islam: Während das Christentum sich auf die Vernunft gründe, verleugne
der Islam diese. Während die Christen die Logik in Gottes Handlungen
erkennen, verleugneten die Muslime jegliche Logik in den Taten Allahs.
Als jüdischer Atheist habe ich nicht die Absicht, mich auf den
Streitboden dieser Debatte zu begeben. Es liegt auss
erhalb meiner
bescheidenen Fähigkeit, die Logik des Papstes zu verstehen. Aber ich
kann eine Passage nicht übersehen, die auch mich betrifft, als Israeli,
der in der Nähe der angeblichen Grenzlinie des Kampfes der Kulturen
lebt.
Um den Mangel an Vernunft im Islam zu beweisen, behauptete der Papst,
dass der Prophet Muhammad seinen Anhängern befahl, seine Religion mit
dem Schwert auszubreiten. Nach Ansicht des Papstes wäre dies
unvernünftig, weil der Glaube aus der Seele kommt und nichts mit dem
Körper zu tun hat. Wie könnte also das Schwert die Seele beeinflussen?
Um dies noch zu unterstreichen, zitierte der Papst ausgerechnet das Wort
eines byzantinischen Kaisers, der natürlich zur konkurrierenden
Ostkirche gehörte. Ende des 14. Jahrhunderts erzählte Kaiser Manuel II.
Palaeologus von einem (zweifelhaften) Streitgespräch, das er mit einem
nicht namentlich genannten persisch muslimischen Gelehrten geführt
hätte. In der Hitze des Gefechtes schleuderte der Kaiser nach seiner
eigenen Aussage folgende Worte gegen seinen Kontrahenten:
"Zeig mir doch, was Mohammad Neues gebracht hat, und da wirst du nur
Schlechtes und Inhumanes finden wie dies, dass er vorgeschrieben hat,
den Glauben, den er predigte, durch das Schwert zu verbreiten."
Diese Worte geben Anlass, drei Fragen zu stellen: a) Warum sagte der
Kaiser sie? b) Stimmt das denn? c) Warum hat der gegenwärtige Papst
diese Worte zitiert?
ALS MANUEL II. seine Abhandlung schrieb, war er
das Haupt eines Imperiums, das im Niedergang begriffen war. Er kam 1391
zur Macht, als dem einst so blühenden Kaiserreich nur noch wenige
Provinzen geblieben waren, die auch schon von den Türken bedroht wurden.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die ottomanischen Türken bereits das
Donauufer erreicht. Sie hatten Bulgarien und den Norden Griechenlands
erobert und zweimal Europas Heere besiegt, die das östliche Kaiserreich
retten sollten. 1453, nur wenige Jahre nach Manuels Tod, eroberten die
Türken seine Hauptstadt Konstantinopel das heutige Istanbul und setzten
dem Kaiserreich ein Ende, das mehr als tausend Jahre gedauert hatte.
Während seiner Herrschaft hatte Kaiser Manuel II. die Hauptstädte
Europas besucht und versucht, die Trommeln für Unterstützung zu rühren.
Er versprach, die Kirche wieder zu vereinigen. Zweifellos schrieb er
seine religiöse Abhandlung, um die christlichen Länder gegen die
Muslime, die Achse des Bösen, anzustacheln und sie zu einem neuen
Kreuzzug zu bewegen. Das Ziel war praktisch ausgerichtet, die Theologie
diente der Politik.
In diesem Sinn passt das Zitat genau zu den Erfordernissen des
gegenwärtigen Kaisers George Bush. Auch er will die christliche Welt
gegen den Islam, die Achse des Bösen, einigen. auss
erdem klopfen die
Türken wieder an die Türen Europas, dieses Mal friedlich. Es ist
allgemein bekannt, dass der Papst die Kräfte unterstützt, die gegen den
Eintritt der Türkei in die EU sind.
STECKT IRGENDWELCHE Wahrheit in Kaiser Manuels
Behauptung?
Der Papst selbst hat Vorsicht angemahnt. Als seriöser und namhafter
Theologe konnte er es sich nicht leisten, Texte zu fälschen. Deshalb gab
er zu, dass der Koran streng verbietet, den Glauben mit Gewalt zu
verbreiten. Er zitierte die 2. Sure, Vers 256 (seltsam für einen Papst -
er meinte den Vers 257) der lautet: In Glaubenssachen darf kein Zwang
herrschen.
Wie kann man eine so simple und eindeutige Feststellung ignorieren? Der
Papst behauptete einfach, dass dieses Gebot vom Propheten zu Beginn
seiner Karriere festgelegt wurde, als er noch schwach und ohnmächtig
war. Aber später befahl er die Anwendung des Schwertes im Dienst des
Glaubens. Solch einen Befehl gibt es im Koran gar nicht. Mohammad rief
zwar in seinem Krieg gegen feindliche christliche, jüdische und andere
Stämme in Arabien zur Anwendung des Schwertes auf, als er seinen Staat
aufbaute. Aber das war ein politischer und kein religiöser Akt; es ging
grundsätzlich um Gebiete und nicht um die Verbreitung des Glaubens.
Jesus sagte: "An den Früchten werdet ihr sie erkennen." Wie der Islam
mit anderen Religionen umging, sollte mittels eines einfachen Tests
beurteilt werden: Wie haben sich muslimische Herrscher mehr als tausend
Jahre lang verhalten, als sie die Macht hatten, den Glauben mit dem
Schwert zu verbreiten?
Sie haben genau dies nicht getan.
Viele Jahrhunderte lang herrschten Muslime über Griechenland. Wurden die
Griechen Muslime? Versuchte jemand, sie zu Islamisieren? Im Gegenteil.
Christliche Griechen besetzten die höchsten Ämter in der ottomanischen
Regierung. Die Bulgaren, Serben, Rumänen, Ungarn und andere europäische
Nationen lebten länger oder kürzer unter der ottomanischen Herrschaft
und hielten an ihrem christlichen Glauben fest. Keiner zwang sie, Muslim
zu werden. Alle blieben gläubige Christen.
Die Albaner konvertierten zwar zum Islam und auch die Bosniaken. Aber
keiner behauptet, dass dies unter Zwang geschehen ist. Sie nahmen den
Islam an, um Vergünstigungen der Regierung zu erlangen und sich der
Früchte zu erfreuen.
1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem und massakrierten willkürlich
seine muslimischen und jüdischen Einwohner im Namen des sanften Jesus.
Zu jener Zeit 400 Jahre nach der muslimischen Besatzung Palästinas waren
die Christen noch die Mehrheit im Lande. Während dieser langen Periode
wurden keine Anstrengungen unternommen, ihnen den Glauben Mohammads
aufzuzwingen. Erst nach der Vertreibung der Kreuzfahrer aus dem Land
begann die Mehrheit der Bewohner damit, die arabische Sprache und den
muslimischen Glauben anzunehmen, und sie sind die Vorfahren der meisten
heutigen Palästinenser.
ES GIBT AUCH keinen Beweis für einen Versuch, den
Juden den Islam aufzuzwingen. Wie allgemein bekannt ist, erlebten die
Juden Spaniens während der muslimischen Herrschaft eine Blütezeit, wie
sie sie nirgendwo beinahe bis in unsere Zeit erlebt hatten. Dichter wie
Yehuda Halevy schrieben arabisch, genau wie der gross
e Maimonides. Im
muslimischen Spanien waren Juden Minister, Dichter, Wissenschaftler. Im
muslimischen Toledo arbeiteten christliche, muslimische und jüdische
Gelehrte zusammen und übersetzten die antiken griechischen,
philosophischen und wissenschaftlichen Texte. Das war wirklich ein
Goldenes Zeitalter. Wie hat das nur möglich sein können, hätte der
Prophet die "Ausbreitung des Glaubens mit dem Schwert" verordnet?
Was dann geschah, ist aber noch bedeutsamer. Als die Katholiken Spanien
von den Muslimen zurückerobert hatten, begannen sie eine Herrschaft des
religiösen Terrors. Juden und Muslime wurden vor eine grausame Wahl
gestellt: entweder zum Christentum zu konvertieren, massakriert zu
werden oder das Land zu verlassen. Und wohin flohen die Hunderttausende
von Juden, die sich weigerten, ihren Glauben aufzugeben? Fast alle von
ihnen wurden mit offenen Armen in muslimischen Ländern aufgenommen. Die
sephardischen "spanischen" Juden siedelten in der ganzen muslimischen
Welt von Marokko im Westen bis zum Irak im Osten, von Bulgarien (im
Norden, damals ein Teil des ottomanisch-türkischen Reiches) bis in den
Sudan im Süden. Nirgendwo wurden sie verfolgt. Sie machten nicht die
Folterungen der Inquisition, die Flammen der Ketzerverbrennungen, die
Pogrome, die schrecklichen Massenvertreibungen durch, die in fast allen
christlichen Ländern bis zum Holocaust stattfanden.
Warum? Weil Mohammad ausdrücklich jede Verfolgung der Völker des Buches
verboten hat. In der Islamischen Gesellschaft war ein besonderer Platz
für Juden und Christen reserviert. Sie hatten zwar nicht völlig die
gleichen Rechte, aber beinahe. Sie mussten eine besondere Steuer
bezahlen, waren aber vom Militärdienst befreit eine Übereinkunft, die
vielen Juden sehr willkommen war. Es wurde gesagt, dass muslimische
Herrscher die Stirne runzelten, wenn Versuche selbst mit sanften
Methoden gemacht wurden, Juden zum Islam zu konvertieren, weil das
weniger Steuereinnahmen bedeutete.
Jeder ehrliche Jude, der die Geschichte seines Volkes kennt, kann
gegenüber dem Islam nur gross
e Dankbarkeit empfinden. Er hat die Juden 50
Generationen lang geschützt, während die christliche Welt die Juden
verfolgte und viele Male "mit dem Schwert" versuchte, sie von ihrem
Glauben abzubringen.
DIE GESCHICHTE über die Ausbreitung des Glaubens
mit dem Schwert ist eine üble Legende, eine der Mythen Europas während
des langen Krieges gegen die Muslime die Wiedereroberung Spaniens durch
die Christen, der Kreuzfahrer, der Abwehr der Türken, die beinahe Wien
erobert hätten. Ich habe den Verdacht, dass auch der deutsche Papst
ehrlich an dieses Märchen glaubt. Das würde heissen, dass das Haupt der
katholischen Kirche selbst ein namhafter Theologe sich nicht die Mühe
gemacht hat, die Geschichte der anderen Religionen zu studieren.
Warum äusserte er diese Worte in der Öffentlichkeit? Und warum jetzt?
Man kann sie jetzt nur auf dem Hintergrund des neuen Kreuzzugs von Bush
und seiner fundamentalistisch-christlichen Unterstützer sehen sowie
seiner Slogans vom Islamofaschismus und dem globalen Krieg gegen den
Terror nachdem Terrorismus ein Synonym für die Muslime geworden ist.
Denn für Bushs andere Helfershelfer ist dies ein zynischer Versuch, die
Herrschaft über die Öl-Ressourcen der Welt zu rechtfertigen. Es wäre
nicht das erste Mal im Laufe der Geschichte, dass ein religiöses
Mäntelchen über nackte wirtschaftliche Interessen gebreitet wird; es
wäre nicht das erste Mal, dass "ein Raubzug zum Kreuzzug" wird.
Die Rede des Papstes passt zu diesen Bemühungen. Wer kann uns die
möglichen unheilvollen Folgen voraussagen?
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