Israels
Politik nährt den Krebs des Antisemitismus
"Es ist eine Lüge, dass die Ablehnung des
Zionismus, wie er heute praktiziert wird, ein Erbe von Hitlers Rassismus
ist. Paul Oestreicher, Guardian, 20. Februar 2006" Paul
Oestreicher, anglikanischer Priester und Quaker, | (In England ist eine scharfe Kontroverse entfacht über die
Entscheidung der Synode der Anglikanischen Kirche, Rücklagen aus Firmen
zurück zu ziehen, die aktiv bei der Durchführung der Politik Israels in
Gaza und der Westbank beteiligt sind. Paul Oestreicher, anglikanischer
Priester und Quaker, der sich viele Jahre in Coventry für Aussöhnung
zwischen den kriegsführenden Ländern im zweiten Weltkrieg eingesetzt
hat, hat dazu im Guardian einen Aufsatz geschrieben.)
paul_oestreiche @ yahoo.co.uk | (dt. und etwas gekürzt: A. Schneider / E. Rohlfs)
| Original:
http://www.guardian.co.uk/comment/story/0,,1713544,00.html |
Paul Oestreicher, Sohn eines jüdischen Kinderarztes, floh 1938 mit
seiner Familie aus Deutschland nach Neuseeland. Nach dem 2. Weltkrieg
arbeitete erals Journalist für den britischen Sender BBC, wurde Pastor
und leitete von 1947 bis 1979 die englische Sektion von Amnesty
International. Ab 1986 warer der Direktor des internationalen
Versöhnungszentrums in der von 1940 vondeutschen Bombern zerstörte Stadt
Coventry. Als "Aussenminister" der Church of England war Paul
Oestreicher lange Jahre aktiv im Dialog mit den Regimen des russischen
Einflussbereichs um Versöhnung und aktive Friedenspolitik bemüht. Im
Auftrag von Bischof Desmond Tutu suchte er als "Botschafter der
Versöhnung" eine Einigung der in gewaltsame Konflikte verstrickten
Bewegungen des ANC und der Inkhata in Südafrikas Provinz KwaZulu-Natal.
Für seine Verdienste um die Versöhnung zwischen Deutschland und
Grossbritannien wurde er mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und
erhielt 2004 den Sächsischen Verdienstorden.
Der Hauptrabbiner, Sir Jonathan Sacks, hat recht. Seine Reaktion auf
den Aufruf der anglikanischen Synode nach Sanktionen gegen Israel ist
verständlich. Der Judenhass - heute Antisemitismus genannt - ist ein
Virus, der das Christentum zweitausend Jahre lang infiziert hat. Er
verbreitet sich trotz des virulenten Ausbruchs im Nazideutschland weiter
durch die Welt. Er darf nicht unbehandelt bleiben. Zu viele Menschen
haben die Lektion des Holocaust noch nicht gelernt. Er sollte anständige
Christen noch Generationen hindurch heimsuchen. ....
....Ich sage das als Kind eines jüdischen Deutschen, der rechtzeitig
entkommen ist. Seine Mutter nicht. Ich sage es als halbjüdisches Kind,
dass auf einem britischen Spielplatz im zweiten Weltkrieg herum gehetzt
und gehänselt wurde, "er ist nicht nur deutsch, sondern auch Jude". Eine
doppelte Beleidigung. Ich sage es aber auch als christlicher Priester,
der die historische Schuld aller Kirchen teilt. Alle Christen teilen
dieses blutige Erbe.
Wenn ich das alles in mir fühle und im Kopf weiss
, kann ich nicht
daneben stehen und als unbeteiligter Beobachter den
Israel-Palästinakonflikt anschauen - eines der gefährlichsten Ausbrüche
kollektiven Hasses. Ich kann nicht Ruuhhig zuhören, während ein iranischer
Präsident von der Eliminierung Israels spricht. Jüdische Angst sitzt
tief. Sie ist nicht irrational. Ich kann aber auch nicht Ruuhhig zuhören,
wenn viele israelische BürgerInnen von PalästinenserInnen so denken und
sprechen, wie sehr viele Deutsche über Juden dachten und sprachen, als
ich einer von ihnen war und fliehen musste.
Wenn der Christ in mir guten Grund zur Scham hat, so nun auch der
Jude in mir. Ich glaube leidenschaftlich, dass Israel das Recht hat und
sein Volk das Recht hat, in Frieden und sicheren Grenzen zu leben. Ich
weiss
aber auch, dass das moderne Israel im Terror geboren und seine
gegenwärtige zionistische Form durch Töten und Massnahmen ethnischer
Säuberung ermöglicht wurde. Das ist Geschichte. Erzählt mir von einem
Land mit unschuldiger Geschichte! Aber beim Zionismus im Kern
israelischer Politik geht es um die Gegenwart und die Zukunft. Ich mache
mir Sorgen um die Seele Israels heute und das Überleben seiner Kinder
morgen.
Das Israel, das Golda Meir durch die Worte charakterisiert hat: "so
etwas wie Palästinenser gibt es nicht ...sie existierten nicht" ist ein
Israel, das unvermeidlich von Feinden umgeben ist und heute nur
militärisch und wirtschaftlich als Klientelstaat der einzigen Supermacht
überlebt. Auch sein Kernwaffenmonopol im Nahen Osten wird nicht ewig
andauern. Frieden kann nicht durch eine auf palästinensischem Land
erbaute Mauer hergestellt werden, die das Leben der elend Besiegten noch
elender macht. Ein palästinensisches Bantustan wird eine ewige Quelle
für UnRuuhhe und Gewalt bleiben.
Ich sage das alles aus Verzweiflung um das Israel, das ich liebe.
Sein Volk ist mein Volk. Die PalästinenserInnen sind meine NachbarInnen.
Ich wünschte, sie hätten stärkere und bessere Führer. Ich wünschte ihre
verzweifelte Jugend wäre nicht in die Gewalt getrieben worden. Genauso
wie ich jüdische Ängste verstehe, verstehe ich ihre Ängste. Nur ein
Israel, das das auch versteht, kann es verändern. Und es gibt Juden und
Jüdinnen in Israel und in der Diaspora, die es wissen. Aus Angst für
illoyal gehalten zu werden, fürchten die meisten auszusprechen, was sie
als wahr erkennen.
Der Staat Israel ist eine grausame Besatzungsmacht geworden.
Besatzungen, denen Widerstand geleistet wird, sind nie wohltätig. Sie
korrumpieren den Besetzer moralisch. Die mutige Gruppe israelischer
Militärdienstverweigerer sind die wahren Erben der Propheten Israels.
Sie sind die wahren Patrioten. Welches Land hat seine Propheten je
geliebt?
Aber der Hauptgrund meines heutigen Schreibens ist, die der Lüge zu
bezichtigen, die behaupten, dass die Ablehnung des Zionismus, wie er
heute praktiziert wird, tatsächlich Antisemitismus sei und ein Erbe von
Hitlers Rassismus. Dieses Argument, mit dem Holocaust im Hintergrund,
ist nichts anderes als moralische Erpressung. Sie ist sehr effektiv. Sie
verurteilt viele zum Schweigen, die Angst haben, als antisemitisch zu
gelten. Sie sind oft das Gegenteil. Sie sind oft Menschen, deren Herz
beim Verrat Israels an seinem wahren Erbe blutet.
Ich fing an zuerkennen, dass der Krebs des Antisemitismus nicht
geheilt ist. Tragischerweise wird er von Israels Politik genährt. Und
wenn dass Weltjudentum israelische Politik - ob recht oder unrecht -
verteidigt, dann wendet sich Zorn nicht nur gegen Israel, sondern gegen
alle Juden. Ich wünschte, es wäre reine Rhetorik zu behaupten, dass
israelische Politik von heute übermorgen einen Holocaust glaubhaft
mache. Wenn die ganze Islamische Welt Israel hasst, dann ist das keine
müssige Spekulation. Sich auf arabische Uneinigkeit, moslemische
sektiererische Konflikte und einen dauerhaften amerikanischen
Schutzschild zu verlassen, ist kein Rezept für nachhaltige Sicherheit.
Es gibt Israelis, die dass alles wissen, und Juden in der ganzen
Welt, die es wissen. In Grossbritannien arbeiten die Jews for Justice for
Palestinians dafür, dem Judentum ein menschliches Gesicht zu geben. Sagt
man ihnen, sie seien Antisemiten, werden sie bitter lachen, denn die
Anschuldigung ist tief verletzend und eine Lüge. Propheten wie Uri
Avnery drücken das alles eloquent aus, werden aber nur von wenigen
gehört. Die Medien haben vor einer Lobby Angst, die bereit ist, ihnen
ernsten Schaden zuzufügen.
Sicherlich, es gibt viele, die ihre Solidarität mit dem
palästinensischen Volk aussprechen. Manche sind Christen - sie verdienen
Respekt. Wenn sie, weise oder nicht, nach Sanktionen rufen, macht sie
das nicht zu Judenhassern - weder in der Theorie noch in der Praxis.
Meine Sorge ist es aber, Solidarität mit dem Israel auszusprechen, das
weder von seinen Führern noch von der öffentlichen Meinung repräsentiert
wird. Einst, in den Tagen Hitlers, gab es auch ein anderes Deutschland,
das durch die repräsentiert wurde, die neben Juden und Zigeunern in den
Konzentrationslagern waren und die heute als Märtyrer gefeiert werden.
Es gibt auch ein solches Israel. Seine Stimmen haben noch die Freiheit,
zu sprechen, auch wenn sie oft verleumdet und missverstanden werden.
Jenem Israel gilt meine Solidarität, wie allen Juden meine Liebe und
meine Gebete gelten.
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