Soldaten haben Angst, nachts nach draussen zu gehen
The Independent / ZNet 31.05.2003
http://www.zmag.de/article/article.php?id=660
von Robert Fisk
Ich war Freitagabend unterwegs in die schiitisch-muslimische Iraker- Stadt Nasiriyah, als plötzlich 3 amerikanische Soldaten vor unser Auto sprangen.
"Auto anhalten! Auto anhalten!" schrie einer u. fuchtelte mit seiner
Pistole vor der Windschutzscheibe herum. Ich schrie den Fahrer an, sofort
anzuhalten. Der Fahrer sah nicht, wie sie auf die Strasse kamen - ich auch
nicht. Von hinten tauchten jetzt noch zwei Soldaten auf - mit auf das
Fahrzeug zielenden Gewehren. Ich zeigte unsere Ausweise. Der Offizier, mit
einem dieser Camouflage-Schlapphüte, war höflich aber kurzangebunden. "Sie
hätten unseren Checkpoint eigentlich sehen müssen", schnarrte er, dann:
"Schönen Aufenthalt in Nasiriyah. Aber gehen Sie nach Einbruch der
Dunkelheit nicht nach draussen. Es ist nicht sicher". Ich glaube, was er
meinte, war, wenn es draussen dunkel ist, ist es nicht sicher für
amerikanische Soldaten. Stunden später ging ich tatsächlich auf die Strassen
Nasiriyahs. Ich besorgte mir einen Chicken Burger. Die Irakis, die mich in
einem heruntergekommenen Café bedienten, hätten nicht freundlicher sein
können. Wie üblich entschuldigte man sich für die dreckigen Tische u. den
Mangel an Servietten, und dann war da noch das übliche schmutzige Viereck
an der Wand, wo wohl bis vor zwei Monaten das Portrait Saddam Husseins
gehangen hat. Was hier los ist? Die "Befreier" betreten bereits den
dschungel der Besatzung, während unsere Herren und Meister in London u.
Washington noch immer von Sieg und Mut tönen. Ich zitiere Tony Blair, der
an jenem Tag 60 Meilen südlich in Basra zu britischen Truppen sprach: Sie
(die Soldaten) "fahren fort zu versuchen, etwas aus diesem Land zu machen,
das Sie befreit haben".
Einige Stunden zuvor hatte mich in Nasiriyah ein Milizionär Ahmed Chalabis
angeschrien, die Amerikaner würden die Menschen "demütigen". So hätten sie
"einen Mann dazu gezwungen, vor seinen Freunden auf allen Vieren zu
kriechen, nur weil die ihren Befehlen nicht gehorcht haben". Wenn das so
weiterginge, würde es zur Revolte kommen, so seine Warnung. Ich kann nicht
entscheiden, ob die Geschichte wahr ist oder falsch, und ich gebe zu, jeder
Schiit, den ich in Nasiriyah getroffen habe, sprach mit Wärme von den
britischen Soldaten weiter im Süden. Aber fest steht, schon jetzt ist etwas
furchtbar schiefgelaufen. Selbst der Wächter des örtlichen Museum, den ich
zuvor im Auto mitgenommen hatte, sagte, der einzige Kriegsgrund sei das Öl.
"Hundert Tage Saddam waren besser als ein Tag Amerikaner", brüllt er mich
an. Ich bin nicht seiner Meinung. schliess
lich haben die Amerikaner seine
Schiiten-Brüder nicht zu zehntausenden abgeschlachtet, so wie Saddam vor 12
Jahren. Aber hier ist offensichtlich schon eine neue "Wahrheit" am
entstehen. Washington kann eigentlich nur hoffen, dass das Beinhaus mit
Leichen, das gerade weiter nördlich aus der Wüste gegraben wird, einen
posthumen neuen Grund für den Konflikt liefert. "Jetzt kann man endlich die
Wahrheit aussprechen...". Wir kannten die Wahrheit schon längst - seit
damals, als George Bush senior dieselben armen Menschen dazu aufrief, gegen
Saddam zu kämpfen und sie dann einfach ihren Schlächtern überliess. "Saddam
war eine Schande für den Irak", sagt mir ein Mann, als wir neben 400
Schädeln und Knochen in einer Schulhalle bei Hillah stehen. "Aber sterben
lassen haben die hier die Amerikaner".
Die Realität sieht so aus: Die Lügen, die uns in den Irak-Krieg verwickelt
haben, entfernen sich mehr u. mehr von jenen Männern, die die
amerikanischen u. britischen Armeen nach Mesopotamien geschickt haben. Mr.
Blair tauchte diese Woche in Basra auf - mit seiner leicht churchill-haften
Rhetorik ("Tapferkeit"), seinem Gerede von "Blutvergiessen und den realen
Verlusten" und einer Trauerrede vonwegen britische Soldaten, die "nie mehr
heimkehren werden". Wer hat denn diese Briten zum Sterben in den Irak
geschickt? Und wenn sie 'reale Verluste' sind, wo sind dann bitte die
realen Massenvernichtungswaffen - die für Blair noch so real waren, als er
in Kriegsstimmung war, aber jetzt, da der Krieg kaum vorbei ist, schon so
unreal? Mr. Blair meint, wir werden sie schon noch finden, nur Geduld.
Donald Rumsfeld, der amerikanische Verteidigungsminister, hingegen erklärt
uns, die Waffen hätten womöglich zum Zeitpunkt des Kriegs gar nicht
existiert. Die innenpolitischen Nachwehen in London u. Washington
diesbezüglich halten an. Viel gefährlicher jedoch die Reaktion im Irak
selbst. Das frische Graffiti an einer Wand des Bagdader Slums 'Sadr City'
(vormals 'Saddam City') erzählt seine eigene Geschichte: "Bedroht die
Amerikaner mit Selbstmordattentaten", steht da lakonisch. Ich habe es am
Mittwoch gesehen.
Nicht schwer zu erkennen, wie hier die Wut wächst. So ist die Strasse von
Nasiriyah nach Bagdad nachts nicht mehr sicher. Räuber treiben auf den
Schnellstrassen ihr Unwesen, streifen durch die Strassen Bagdads. Mir fällt
dabei eine seltsame Symmetrie auf: Unter den verhassten Taliban konnte man
Tag und Nacht durch Afghanistan fahren. Jetzt kannst du dich bei Dunkelheit
dort nicht mehr bewegen - du wirst bestohlen, vergewaltigt, ermordet. Unter
dem verhassten Saddam genau das Gleiche: Unter ihm konnte man in weiten
Teilen des Irak gefahrlos herumfahren, Tag und Nacht. Das ist nun vorbei.
"Befreiung" made in USA ist zum Synonym für Anarchie geworden.
Dann ist da noch dieses Confetti aus Tageszeitungen, das täglich auf
Bagdads Bürgersteigen ausliegt. Die Zeitungen teilen ihren Lesern mit,
wieviel die USA durch ihre Geschäfte am Krieg verdienen. Die irakischen
Flughäfen werden versteigert, die Hafenmeisterei des Ports von Umm Kasar
hat sich ein US-Unternehmen für $8,4 Millionen geschnappt. Ein Lobbyist
dieses Unternehmens war ganz zufällig George Bushs stellvertretender
Assistent, als Bush noch Gouverneur von Texas war. Auch Halliburton,
zufällig die alte Firma von Vize-Präsident Dick Cheney, hat umfangreiche
Verträge (Löschen irakischer Ölquellen, Errichtung von US-Basen in Kuwait,
Transport britischer Panzer) abgeschlossen. Und die Verträge über den
Wiederaufbau des Irak wird höchstwahrscheinlich der Gigant Bechtel
absahnen. Dessen senior Vize-Präsident ist niemand anderes als der
pensionierte General Jack Sheehan, der auch in Bushs
'Verteidigungspolitischem Beirat' sitzt. Die Firma Bechtel ist übrigens
jene Firma, die - wie die UN-Abrüstungsaktion im Vorkriegs-Irak ergab (was
Washington sofort zensierte) -, Saddam früher mal geholfen hat, eine Anlage
zur Äthylen-Herstellung zu bauen; Äthylen braucht man zur
Senfgasproduktion. Im Bechtel-Vorstand sitzt zudem der frühere US-
Aussenminister George Schultz, der - wieder so ein Zufall - dem
Beratergremium des 'Committe for the Liberation of Irak' (Komitee zur
Befreiung des Irak) vorsitzt, und dieses Komitee unterhält natürlich enge
Kontakte ins weiss
en Haus. Der Wiederaufbau Iraks kostet vermutlich $100
Milliarden. Diese Kosten - und jetzt kommt das Allerfeinste - werden die
Iraker selbst bezahlen müssen, aus ihren künftigen Öleinnahmen, was
wiederum den US-Ölgesellschaften zugute kommt.
Den Irakern ist das alles bewusst. Was werden diese Leute wohl denken, wenn
sie, so wie ich jetzt, an einer der gross
en Schnellstrassen südlich, westlich
von Bagdad stehen und die langen Militärkonvois der Amerikaner vorbeiziehen
sehen? Denken sie vielleicht an Tom Friedmans jüngsten Essay in der 'New
York Times', in dem dieser Kolumnist schreibt (nachdem er die Armut im Irak
Saddam zugeschoben hat, ohne die von den USA gestützten 13-jährigen UN-
Sanktionen auch nur mit einem Wort zu erwähnen): "Das Beste An Dieser
Armut: die Iraker sind so erschöpft, dass die gross
e Mehrzahl zweifellos
bereit ist, den Amerikanern die Chance zu geben, diesen Ort zu einem
besseren Ort zu machen". Solche Kommentare - "Expertenkommentare" - der US-
Ostküsten-Intelligenzija jagen mir Angst ein. Denn wenn ich mir Amerikas
beängstigende Kontrolle über diesen Teil der Welt ansehe sowie seine
massive Feuerkraft, seine Basen u. Truppen überall in Europa, auf dem
Balkan, in der Türkei, in Jordanien, Kuwait, im Irak, in Afghanistan,
Usbekistan, Turkmenistan, Bahrain, Doha, Oman, Jemen und Israel, dann denke
ich, es geht gar nicht nur ums Öl sondern eben auch um globale Macht - und
wir sprechen hier von einer Nation, die tatsächlich
Massenvernichtungswaffen besitzt. Kein Wunder hat mich dieser Soldat
gewarnt, nachts nicht nach draussen zu gehen. Er hat recht. Es ist hier
nicht mehr sicher. Und es wird noch viel, viel schlimmer. |