Auf dem Weg zur imperialen Demokratie
SZ 28.5.2003
Von Arundhati Roy
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Übersetzung von Eva C. Koppold
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Arundhati Roy, indische Schriftstellerin, hat in New York zu amerikanischen
Kriegsgegnern gesprochen . Der ganze Text steht unter www.cesr.org
Die Demokratie, heilige Kuh der modernen Welt, steckt in einer tiefen
Krise. Empörendes und Schändliches aller Art wird im Namen der Demokratie
verübt. Von ihr blieb wenig mehr als ein hohles Wort, eine hübsche Hülse,
allen Inhalts und sämtlicher Bedeutung entleert. Demokratie kann alles
sein, was man in ihr sehen will. Sie ist die Hure der freien Welt, bereit,
sich herauszuputzen und andere niederzumachen; bereit, ein breites
Geschmacks-Spektrum zu befriedigen; verfügbar, um nach Belieben benutzt und
missbraucht zu werden. Noch bis vor kurzem, bis in die 80er Jahre, schien
es so, als ob Demokratie es tatsächlich fertig bringen könnte, Hoffnungen
auf ein gewisses Mass echter sozialer Gerechtigkeit zu erfüllen.
Doch moderne Demokratien existieren nun bereits so lange, dass Vertreter
eines neoliberalen Kapitalismus genug Zeit hatten zu lernen, wie Demokratie
zu korrumpieren ist. Die neo -liberalen Kapitalisten sind Meister darin
geworden, die Instrumente dieser Staatsform - die unabhängige Justiz, die
freie Presse, das Parlament - zu infiltrieren und sie für ihre Bedürfnisse
zu modellieren. Mit ihrer gezielten Konzernglobalisierung haben sie das
System endgültig geknackt. Freie Wahlen, eine freie Presse und eine
unabhängige Justiz bedeuten wenig, wenn sie durch den freien Markt zu
verkäuflichen Gütern abgewertet und an den Meistbietenden verhökert werden.
Um ganz zu begreifen, in welchem Umfang die Demokratie unter Belagerung
steht, könnte es hilfreich sein, einen Blick darauf zu werfen, was in
einigen unserer heutigen Demokratien vor sich geht, wie in der mächtigsten
der Welt: den USA. Oder, besonders aufschlussreich, im Irak, der als
jüngste Demokratie der Welt in dieses Regierungssystem eingewiesen werden
soll. Demokratie ist zum imperialen Euphemismus für neo - liberalen
Kapitalismus geworden.
In Ländern der ersten Welt wurden die demokratischen Mechanismen wirksam
unterwandert. Politiker, Medienzaren, Richter, mächtige Konzern- Lobbies
und Regierungsbeamte pflegen untereinander diskrete, clever verzahnte
wechselseitige Beziehungen und unterminieren dadurch die laterale Balance
der Gewaltenteilung zwischen Verfassung, Gerichten, Parlament, Regierung
und den unabhängigen Medien als struktureller Basis der parlamentarischen
Demokratie. Zunehmend wird bei dieser Verzahnung auf Subtilität oder
sorgfältig erdachte Verschleierung verzichtet.
Italiens Premierminister Silvio Berlusconi besitzt beispielsweise
Mehrheitsanteile an den wichtigsten italienischen Zeitungen, Zeitschriften,
Fernsehkanälen und Verlagen. Laut Berichten der Financial Times herrscht er
mit seiner Medienmacht über zirka 90 Prozent der italienischen
Fernsehzuschauer. Keine guten Aussichten für die übrigen zehn Prozent der
italienischen Fernsehzuschauer. Das Recht der freien Meinungsäusserung: zu
welchem Preis und für wen?
In den Vereinigten Staaten ist das Arrangement komplexer. Der Konzern Clear
Channel ist der gröss
te Eigentümer von Radiosendern im Land. Er betreibt
über 1200 Kanäle. Dies entspricht insgesamt einem Marktanteil von etwa neun
Prozent. Der Leiter des Konzerns unterstützte den Wahlkampf von George W.
Bush mit hohen Summen. Als Hunderttausende amerikanischer Bürger auf die
Strasse gingen, um gegen einen Krieg im Irak zu demonstrieren, organisierte
der Clear Channel im ganzen Land Gegendemonstrationen patriotischer
Kriegsbefürworter unter dem Motto "Rallies for America". Mit Hilfe der
eigenen Radiosender wurde für das Ereignis geworben, und Korrespondenten
losgeschickt, um darüber wie über eine überraschende Neuigkeit zu
berichten. Die Zeit der künstlich durch Medien erzeugten Zustimmung zu
öffentlichen Vorgängen ist einer Zeit gewichen, in der Nachrichten durch
die Medien selbst erzeugt werden. Nicht mehr lange, und in den Redaktionen
wird darauf verzichtet werden, den Schein zu wahren. Dann wird man
Theaterregisseure statt Journalisten engagieren.
Während im amerikanischen Showbusiness immer mehr Gewalt und kriegsähnliche
Zustände herrschen und Amerikas Kriege dem Showbusiness immer ähnlicher
werden, kommen einige interessante Querverbindungen zustande. Der selbe
Designer, der für 250 000 Dollar ein Set in Katar aufbaute, von dem aus US-
General Tommy Franks als eine Art Aufnahmeleiter die Berichterstattung über
die Operation im Irak dirigierte, hat auch für Disney, MGM und die
Frühstücks-TV-Sendung Good Morning America Sets gebaut.
Es ist eine bittere Ironie, dass gerade die USA mit ihren lautstarken und
glühenden Verteidigern der Idee der freien Meinungsäusserung die Grenzen für
die tatsächliche Ausübung dieses freiheitlichen Rechts (das dort bis vor
kurzem noch durch detaillierte Gesetze geschützt war) jetzt derart eng
ziehen. Ton und Vehemenz der Verteidigung helfen auf eigenartig
verschlungenen Wegen mit, den rasch voranschreitenden Aushöhlungsprozesses
zu maskieren. Es wird ein hartes Ringen nötig sein, um die Demokratie
zurückzufordern.
Unsere Freiheiten und Rechte wurden uns nicht von irgend einer Regierung
gewährt. Sie wurden von uns mühsam errungen. Wenn wir sie einmal aufgegeben
haben, wird der Kampf um ihre Rückgewinnung als "Revolution" bezeichnet
werden. Dieses Ringen muss sich über Länder und Kontinente erstrecken. Es
darf nicht an Landesgrenzen Halt machen. Doch wenn es erfolgreich sein
soll, muss es in Amerika beginnen. Die einzige Institution, die mächtiger
als die US-Regierung ist, ist die amerikanische Bürgergesellschaft. Wir
anderen sind Subjekte von Sklaven-Nationen. Zwar sind wir keineswegs
machtlos, doch die Amerikaner sind durch ihre Nähe zum Machtzentrum
privilegiert. Sie haben Zugang zum Palast und zu den Gemächern des
Herrschers. Imperiale Eroberungen werden in ihrem Namen durchgeführt, und
sie haben das Recht, Nein zu sagen. Sie könnten sich weigern zu kämpfen,
sich weigern, diese Raketen von ihren Lagern zu den Docks zu transportieren.
Amerika besitzt eine reiche Tradition des Widerstandes. Zu Hunderttausenden
haben Amerikaner die unerbittliche Propaganda überlebt, der sie im Irak-
Krieg ausgeliefert waren und aktiv gegen die eigene Regierung gekämpft. In
dem ultra-patriotischen Klima, das in den Vereinigten Staaten derzeit
herrscht, zeugt dies von so viel Mut, wie ein Iraker, ein Afghane oder ein
Palästinenser braucht, um für die eigene Heimat zu kämpfen. Wenn die
Amerikaner sich dem Ringen anschliess
en - nicht nur zu Hunderttausenden,
sondern zu Millionen - werden sie vom Rest der Welt mit Jubel begrüsst
werden. Sie werden erleben, wie gross
artig es ist, sanft und freundlich
statt gewalttätig zu sein, sich sicher statt angstvoll zu fühlen. Freunde
zu haben, statt isoliert zu sein. Geliebt statt gehasst zu werden.
Ich widerspreche nur ungern dem amerikanischen Präsidenten. Dennoch: Die
Amerikaner sind keineswegs eine gross
e Nation. Was sie jedoch sein könnten,
ist ein gross
artiges Volk.
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