Zuckerbrot und Peitsche
Norman G. Finkelstein
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die
Hintergründe des Blutbades in Palästina |
Norman G. Finkelstein
wurde der deutschen Öffentlichkeit durch sein umstrittenes Buch „Die
Holocaust-Industrie“ bekannt. Der amerikanische Politikwissenschaftler, der
1953 in Brooklyn geboren wurde, ist der Sohn von Holocaust-Überlebenden. Palästinensischer
Studentenverein München e.V.
http://www.raied.de/ob/Links/finkelstein.htm
Quelle: FAZ, 14.05.2002
Während
des Junikrieges 1967 besetzte Israel das Westjordanland und den Gazastreifen
und vollendete damit die zionistische Eroberung des damals unter britischem
Mandat stehenden Palästina. In den Nachkriegsjahren debattierten die Vereinten
Nationen über die Modalitäten zur Beilegung des arabisch-israelischen
Konfliktes. Auf der fünften Dringlichkeitssitzung der Vollversammlung, die
unmittelbar nach Kriegsende zusammenkam, herrschte „weitgehende
Übereinstimmung“ über den „Rückzug der bewaffneten Streitkräfte aus dem Gebiet
der benachbarten arabischen Staaten, die während des jüngsten Krieges besetzt
worden waren“, da „alle darin übereinstimmen, dass es keine Gebietseinnahmen
durch militärische Eroberung geben darf“, so UN-Generalsekretär U Thant.
Gebietsnahme
unzulässig
In den anschliess
enden
Überlegungen des Sicherheitsrates wurde genau diese Forderung nach einem
vollständigen israelischen Abzug gemäss dem Prinzip der „Unzulässigkeit der
Gebietseinnahme durch Krieg“ in der Resolution 242 der Vereinten Nationen
festgeschrieben, zusammen mit dem Recht eines „jeden Staates in der Region“
auf Anerkennung seiner Souveränität. Eine nach wie vor geheim gehaltene Studie
des amerikanischen Aussenministeriums kommt zu dem Schluss, dass die USA die
„Unzulässigkeits“-Klausel der Resolution 242 unterstützten und lediglich
„kleinere“ und „gegenseitige“ Grenzanpassungen einräumten. Der israelische
Verteidigungsminister Moshe Dayan ermahnte seine Kabinettskollegen später, die
Resolution 242 nicht zu billigen, weil „sie den Rückzug auf die Grenzen vom 4.
Juni bedeutet und weil wir mit dem Sicherheitsrat bezüglich dieser Resolution
in Konflikt stehen“.
Eine Modifizierung der
UN-Resolution 242 zur Beilegung des israelisch-palästinensischen Konfliktes
sah erstmals Mitte der siebziger Jahre die Schaffung eines palästinensischen
Staates im Westjordanland und dem Gazastreifen vor, sobald Israel sich auf die
Grenzen vor Juni 1967 zurückzog. Mit Ausnahme der USA und Israels (und
gelegentlich auch eines an die USA gebundenen Staates) herrschte in den
vergangenen 25 Jahren internationale Übereinstimmung über die Formulierung des
vollständigen Rückzugs/der vollen Anerkennung, auch „Zwei-Staaten“ Regelung
genannt. Die USA legten ihr alleiniges Veto zu den Resolutionen des
Sicherheitsrates von 1976 und 1980 ein, die eine Zwei-Staaten Regelung
vorsahen, welche von der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und den
arabischen Frontstaaten mitgetragen wurde. Eine Resolution der Vollversammlung
im Dezember 1989, die sich dieser Regelung anschloss, wurde mit einer
Stimmenmehrheit von 151 zu 3 angenommen (keine Enthaltungen). Die drei
Gegenstimmen kamen von Israel, den USA und der Dominikanischen Republik.
Bantustan-Lösung
Von Anfang an widersetzte sich Israel beharrlich dem vollständigen Rückzug aus
den Besetzten Gebieten und bot Palästina stattdessen eine Bantustan-Lösung
nach südafrikanischem Muster an. Die PLO, die der internationalen Übereinkunft
zugestimmt hatte, konnte jedoch nicht abgesetzt werden, als „Ablehnung“ und
der Druck auf Israel sich verstärkten, das Zwei-Staaten-Abkommen anzuerkennen.
Im Juni 1982 marschierte Israel daraufhin im Libanon ein, wo sich das
Hauptquartier der PLO befand, um die so genannte „Friedensoffensive“ der PLO
abzuwehren.
(Avner
Yaniv, Dilemmas of Security)
Im Dezember 1987 erhoben
sich die Palästinenser im Westjordanland und dem Gazastreifen in einem im
wesentlichen gewaltfreien Aufstand (Intifada) gegen die israelische Besatzung.
Mit einem brutalen Vergeltungsschlag (auss
ergerichtliche Hinrichtungen,
Massenverhaftungen, Häuserzerstörung, willkürliche Folterungen,
Verschleppungen, und so weiter) schlug Israel schliess
lich den Aufstand nieder.
Zu der Niederlage der Intifada kam verschärfend hinzu, dass die PLO mit der
Zerstörung des Irak, dem Auseinanderfallen der Sowjetunion und der
ausbleibenden finanziellen Unterstützung durch die Golfstaaten weitere
Verluste hinnehmen musste. Die USA und Israel nutzten diese Gelegenheit, um
die bereits bestechliche und nun in Verzweiflung geratene PLO-Führung als
Surrogat israelischer Macht zu nutzen. Hierin liegt die eigentliche Bedeutung
des „Friedensprozesses“, der im September 1993 in Oslo ins Leben gerufen
wurde: ein palästinensisches Bantustan zu schaffen, indem man die PLO mit den
Insignien von Macht und Einfluss ködern wollte.
Realität
und Mythos
„Die Besetzung dauerte an“ nach Oslo, stellte ein erfahrener israelischer
Kommentator fest, „auch wenn sie aus der Ferne gesteuert wurde und mit
Zustimmung des palästinensischen Volkes, das nur durch die PLO als seinem
„alleinigen Repräsentanten“ vertreten wurde“. Und noch einmal: „Es gibt keinen
Zweifel darüber, dass „Kooperation“ auf Basis der derzeitigen
Machtverhältnisse nicht mehr ist als eine gut getarnte permanente
Vorherrschaft Israels und die palästinensische Selbstbestimmung eine pure
Beschönigung dessen ist, was in Wahrheit einer Bantustisierung gleichkommt.“
(Meron Benvenisti, Intimate Enemies)
Nach sieben Jahren immer
wieder unterbrochener Verhandlungen und einer Reihe neuer Abkommen, mit denen
den Palästinensern die wenigen Bonbons, die am Verhandlungstisch von Oslo für
sie abgefallen waren, wieder weggenommen wurden (die Zahl der jüdischen
Siedler in den Besetzten Gebieten hatte sich inzwischen sogar verdoppelt), kam
im Juli 2000 in Camp David die Stunde der Wahrheit. Präsident Clinton und
Premierminister Barak stellten Arafat das Ultimatum, einem Bantustan formal
zuzustimmen oder ansonsten die volle Verantwortung für das Scheitern des
„Friedenspozesses“ zu tragen. Arafat lehnte wie erwartet ab. Entgegen dem von
Barak und Clinton sowie einem staatstreuen Medium verbreiteten Mythos sah die
Realität so aus, dass „Barak die Insignien für eine palästinensische
Unabhängigkeit angeboten hatte“, berichtet ein Sonderberater des britischen
Aussenministeriums, „gleichzeitig sollte die Unterwerfung der Palästinenser
bestehen bleiben.“ (The Guardian, 10. April 2002; weitere Details und eine
kritische Hintergrundbetrachtung siehe Roane Carey, ed., The New Intifada)
Vor diesem Hintergrund ist
die Antwort Israels auf den jüngsten saudischen Friedensplan zu betrachten.
Ein israelischer Kommentator, der für die israelische Tageszeitung Haaratz
schreibt, stellt fest, dass der saudische Plan „in erstaunlicher Weise jenen
Plänen ähnelt, die Barak bereits vor zwei Jahren vorgeschlagen haben will.“
Hätte Israel tatsächlich hinter einem vollständigen Abzug als Gegenleistung
für eine Normalisierung mit der arabischen Welt gestanden, hätte der saudische
Plan und seine einhellige Billigung auf der Gipfelkonferenz der Arabischen
Liga Jubel hervorrufen müssen. Tatsächlich jedoch löste er eine gespannte Ruuhhe
in Israel aus. (Aviv Lavie, 5. April 2002) Wie dem auch sei, die Heuchelei von
Barak - und Clinton -, die Palästinenser hätten in Camp David ein überaus
gross
zügiges Angebot Israels abgelehnt, diente als wichtiger moralischer
Deckmantel für die anschliess
enden Gräueltaten.
Nachdem
die Zuckerbrotmethode keinen Erfolg brachte, griff Israel nun zur Peitsche.
Zwei Voraussetzungen mussten jedoch erfüllt sein, bevor Israel seine
militärische Überlegenheit würde einsetzen können: „grünes Licht“ aus den USA
und ein hinreichender Vorwand. Bereits im Sommer 2000 berichtete die amtliche
Jane´s Information Group, Israel verfüge über Pläne für eine massive und
blutige Invasion der Besetzten Gebiete. Aber die USA legten ihr Veto gegen
dieses Vorhaben ein und auch Europa machte seine Ablehnung hierzu
gleichermassen deutlich. Nach dem 11. September jedoch kamen die USA wieder ins
Spiel. Scharons Ziel die Palästinenser niederzuschlagen passte nun
grundsätzlich in die Zielsetzung der amerikanischen Regierung, nach den
Anschlägen auf das World Trade Center jeden noch bestehenden Widerstand in der
arabischen Welt gegenüber der amerikanischen Vorherrschaft zu brechen. Durch
ihre starke Willenskraft und trotz einer in hohem Masse korrupten Führung
gelten die Palästinenser als die widerstandskräftigste und hartnäckigste
populäre Kraft in der arabischen Welt. Sie in die Knie zu zwingen käme einem
vernichtenden psychologischen Schlag gegen die gesamte Region gleich.
Nach dem grünen Licht aus
USA brauchte Israel nun lediglich noch den passenden Vorwand. Wie
vorherzusehen war, heizte Israel die Gewaltspirale an. Sobald die
palästinensischen Terroranschläge aufgehört hatten, gab es immer wieder neue
Mordtaten an palästinensischen Führern. „Nach der Zerstörung der Häuser in
Rafah und Jerusalem gaben sich die Palästinenser weiter gemässigt in ihren
Aktionen,“ beobachtete Shulamith Aloni von der israelischen Partei Meretz.
„Scharon und sein Verteidigungsminister befürchteten offenbar, sie müssten zum
Verhandlungstisch zurückkehren und beschlossen daher etwas zu unternehmen. Sie
liess
en den Fatah-Aktivisten Raad Karmi liquidieren. Sie waren sich im klaren
darüber, dass diese Tat nicht unbeantwortet bleiben würde und dass wir den
Preis mit dem Blut unserer Bürger würden bezahlen müssen.“ (Yediot Aharonot,
18. Januar 2002) Israel wartete tatsächlich sehnsüchtig auf diese blutige
Antwort. Als die Terrorangriffe der Palästinenser dann das gewünschte Mass
überstiegen, konnte Scharon den Krieg erklären und seine Vernichtung der
wehrlosen palästinensischen Zivilbevölkerung fortsetzen.
Israelischer
Schlachtruf
Nur diejenigen, die
bewusst die Augen verschliess
en, bemerken nicht, dass Israels jüngster
Einmarsch in das Westjordanland eine exakte Spiegelung des Einmarsches in den
Libanon im Juni 1982 ist. Um das Ziel der Palästinenser nach einem
unabhängigen Staat an der Seite Israels zu zerschlagen - die
„Friedensoffensive der PLO“ - hatte Israel im August 1981 seinen Einmarsch in
den Libanon vorbereitet. Hierzu brauchte Israel grünes Licht von der
Reagan-Administration und einen passenden Anlass. Zu seinem gross
en Verdruss
und trotz mehrfacher Provokationen konnte Israel an seiner Nordgrenze keinen
palästinensischen Angriff herbeiführen. Israel verstärkte also die
Luftangriffe über Südlibanon und nach einer besonders mörderischen Attacke,
bei der zweihundert Zivilisten getötet wurden (Daarunter 60 Personen eines
palästinensischen Kinderkrankenhauses), übte die PLO mit der Ermordung eines
Israelis schliess
lich Rache. Nachdem Israel nun den nötigen Anlass hatte und
von der Reagan-Regierung grünes Licht bekam, marschierten seine Truppen in den
Libanon ein. Mit demselben Schlachtruf, „den palästinensischen Terror
auszurotten“, zog Israel nun voran, eine wehrlose Bevölkerung zu vernichten
und tötete 20.000 Palästinenser und Libanesen, in der Mehrzahl Zivilisten.
Das Problem mit der
Bush-Administration, so hören wir immer wieder, liegt darin, dass sie sich zu
wenig im Nahen Osten engagiert habe. Diese diplomatische Lücke sollte nun die
Nahostmission von Collin Powell schliess
en. Aber wer hat Israel grünes Licht
für die Massaker gegeben? Wer lieferte die F-16 Raketen und Apache
Hubschrauber an Israel? Wer legte zu den Resolutionen des Sicherheitsrates,
nach denen internationale Beobachter eingesetzt werden sollten, um für eine
Eindämmung der Gewalt zu sorgen, sein Veto ein? Und wer lehnte soeben den
Vorschlag der obersten Menschenrechtsbeauftragten der Vereinten Nationen, Mary
Robinson, ab, ein Untersuchungsteam in die palästinensischen Gebiete zu
entsenden, um die Hintergründe und Ausmasse des Massakers herauszufinden? (IPS,
3. April 2002)
„Geist
von Auschwitz“
Man stelle sich folgendes
Szenario vor: A und B sind des Mordes angeklagt. Es stellt sich heraus, dass A
die Mordwaffe an B lieferte, A gab B das Startsignal und A verhinderte, dass
Beobachter auf die Schreie der Opfer antworteten. Würde das Urteil lauten,
dass A nur unzureichend in den Fall eingebunden war oder dass A den Mord in
genau demselben Mass zu verantworten hat wie B?
Um den palästinensischen
Widerstand zu brechen, hat ein ranghoher israelischer Offizier Anfang dieses
Jahres die Armee dringend aufgefordert, „die Methoden zu analysieren und zu
verinnerlichen..., nach denen die deutsche Armee im Warschauer Ghetto
vorging.“ (Haaretz, 25. Januar 2002, 1. Februar 2002) Betrachtet man das
jüngste israelische Blutbad im Westjordanland, so scheint es, dass die
israelische Armee den Rat ihres Offiziers befolgt hat - palästinensische
Rettungswagen und medizinisches Versorgungspersonal wurden angegriffen,
Journalisten wurden angegriffen, palästinensische Kinder wurden „aus Spass“
getötet (Chris Hedges, ehemaliger Chef des Büros der New York Times im Kairo),
alle palästinensischen Jungen und Männer im Alter zwischen 15 und 50 Jahren
wurden wie Vieh zusammen getrieben, mit Handschellen gefesselt und vermummt,
am Handgelenk wurde ihnen eine Nummer aufgedrückt, palästinensische
Inhaftierte wurden willkürlich gefoltert, die palästinensische
Zivilbevölkerung erhielt keine Nahrung und kein Wasser, sie wurde von der
Stromversorgung abgeschnitten und auch jegliche medizinische Versorgung wurde
ihr verweigert. Die palästinensischen Nachbargebiete wurden wahllos aus der
Luft angegriffen, palästinensische Zivilisten als Schutzschilde benutzt,
palästinensische Häuser, in denen die Bewohner sich zusammendrängten, wurden
von Panzern niedergewalzt. Es scheint so, als habe die israelische Armee auf
den Rat des Offiziers gehört. Ellie Wiesel - Hauptfürsprecher der
Holocaust-Industrie - wies jegliche Kritik eines antisemitisch motivierten
Vorgehens zurück und gab Israel seine bedingungslose Unterstützung. Er sprach
von dem „gross
en Schmerz“, den seine wütende Armee habe erdulden müssen.
(Reuters, 11. April; CNN, 14. April)
Inzwischen hat der portugiesische Literaturnobelpreisträger Jose Saramago den
„Geist von Auschwitz“ herangezogen, um die Gräueltaten der Israelis zu
beschreiben. Ein belgischer Parlamentarier erklärte öffentlich, Israel „macht
aus dem Westjordanland ein Konzentrationslager.“
(The
Observer, 7. April 2002).
Angesichts derartiger Vergleiche empören sich Israelis aller politischen
Parteien. Wenn die Israelis nicht als Nazis angeklagt werden wollen, dann
müssen sie eben aufhören, wie Nazis zu handeln.
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