Häuserkampf
in Hebron
(aus der Presse): erklärt vieles | 21.1.2002
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Streiflichter aus einem Gebiet, in dem die
Menschenrechte für jüdische Siedler reserviert sind
Auf die Frage des israelischen Soldaten, was die Reisegruppe
aus Österreichern, Deutschen und Italienern in Hebron zu
suchen hätte, antwortete der palästinensische Reiseführer mit
der Gegenfrage: »Was suchen Sie hier?« Er schütze sein Land,
sagte der Soldat. »Ihr Land hier in Hebron?« Ja, auch hier,
das sei ein Auftrag, der sich aus der Geschichte ergebe.
»Welcher Geschichte, Ihrer Geschichte?« Pathos kann
historische Tatsachen nicht ersetzen. Der Soldat ahnte, dass er
seinem Gegenüber nicht gewachsen sein würde, wenn er die
Geschichtsdebatte weiter vertiefte. »Warum riskieren Sie Ihr
Leben für diese verrückten Leute«, wollte der Palästinenser
wissen. »Die sind nicht verrückt.« Punktum. Der Israeli
beendete das Gespräch und verlangte die Ausweise.
In Hebron leben unter 150000 Palästinensern 350 jüdische
Siedler. Ausnahmsweise nicht in exklusiven Siedlungen,
sondern mitten in der Stadt. Haus an Haus mit den
Palästinensern. Sie kamen nicht mit dem Olivenzweig und ohne
den geringsten Respekt vor den Menschen, die seit der Antike
in dieser Gegend leben. Was sie hier suchen, lässt sich aus den
Losungen ablesen, die sie auf ausnahmslos alle
Geschäftsportale gesprayt haben: »Araber raus«. Oder: »Tod
den Arabern«. Daarunter der Davidstern. Wer die
Pogromforderungen abwäscht, wird von den
Besatzerbehörden wegen Beleidigung religiöser Symbole
belangt.
Ihren besonderen Status, im Hebron-Abkommen fixiert, erhielt
die Stadt wegen ihrer religiösen Bedeutung. Die Töchter von
Stammvater Abraham, Esther und Ruth, sollen hier begraben
liegen. Doch ist Abraham nicht nur den Juden heilig, sondern
den Gläubigen aller drei im Nahost-Raum entstandenen
Weltreligionen. Nach ihm Ibrahim ist die gröss
te Moschee in
Hebron benannt. Sie wurde 1994 zum Schauplatz eines
grässlichen Massakers. Der zionistische Extremist Goldstein
mähte mit einer Maschinenpistole mehr als 30 Muslime nieder,
die sich zum Freitagsgebet versammelt hatten. Die
Flüchtenden gerieten in den Kugelhagel der israelischen
Armee. Goldstein wurde nach dem Massenmord gelyncht.
Siedler errichteten ihm ein Denkmal. Und der Staat Israel
sicherte den Siedlern ein Bleiberecht in einer Stadt, deren
arabische Bevölkerung sie vertreiben wollen. Haus um Haus
soll Hebron erobert werden.
Der ganz alltägliche Terror
Eine weitere Konsequenz, die die israelischen Behörden aus
dem Massenmord zogen, war die Umwidmung der Hälfte der
Moschee in eine Synagoge. An einen interkonfessionellen
Dialog war dabei nicht gedacht. Allahs Allmacht stösst auf eine
Mauer, hinter der das Reich Jehovas beginnt. Der Weg zur
Synagoge erfolgt über einen weiträumigen Platz, der Zugang
zur Moschee über enge, zum Teil von Siedlern bewohnte
Gassen. Als hätte jemand die Voraussetzungen dafür schaffen
wollen, dass kein Moscheegänger dem nächsten Massaker
entkommt. Die Palästinenser meinen zu wissen, dass das von
Goldstein angerichtete Blutbad nicht die Tat eines
psychopathischen Einzelgängers gewesen sei, sondern ein
präzis geplantes Mordkomplott. In ihrem Buch »Der Hass ist
grenzenlos« geht die israelische Rechtsanwältin Felicitas
Langer ausführlich auf Verlaufsform und Hintergrund dieses Verbrechens
ein.
Auf der Strasse gegenüber der Gebetsstätte mit geteiltem
Himmel sahen wir palästinensische Jungs Fussball spielen. Ein
Besatzungssoldat mimte den Trainer, was bei den
Strassenkindern eine Mischung aus Verlegenheit und Stolz
auslöste. Magie des Fussballs. Doch nicht immer erfüllt der
Strassenkick eine völkerverbindende Funktion. Einen Monat
zuvor war in Hebron einem Zehnjährigen in den Fuss
geschossen worden, nachdem er der Forderung eines
Soldaten, ihm den Ball zuzuspielen, nicht nachgekommen war.
Die Atmosphäre in Hebron war gespenstisch, die latente
Provokation auf Schritt und Tritt spürbar. Arafats Polizei, falls
vorhanden, hatte sich unsichtbar gemacht. Oder sie liess sich
von der israelischen Armee vertreten. Obwohl nicht den Zonen
B und C Gebiete unter israelischer Militärhoheit zugeteilt,
ist über Hebron de facto eine israelische Militärdiktatur
verhängt worden. Und doch hat der Staat Israel einen Teil des
Gewaltmonopols abgegeben an die Siedler. Deren
männlicher Nachwuchs flaniert ungeniert mit kugelsicheren
Westen und Maschinenpistolen durch die Strassen. Das sind
Kinder der Postmoderne, die in nichts an den Typus des
Thoraschülers erinnern. Ein Grossteil der Hebron-Siedler stammt
aus den USA. So treten sie auch auf. Echt cool. Im fetzigen
Look und mit der Sensibilität von Cowboys im Indianerland.
Ohne das geringste Gespür für den kulturellen Kontext dieser
Region. Es der autochthonen Bevölkerung niemals verzeihend,
dass sie sich nach der Ankunft der Kinder Israels nicht in Luft
aufgelöst hatte. Verglichen damit ist Rambo ein Gentleman.
Die Mehrheit der Israelis mag die Siedler nicht, vor allem nicht
die ideologisch Besessenen, die sich aus Lust an der
Provokation in Hebron niedergelassen haben. Wer weiss
, ob
der israelische Soldat wirklich seiner persönlichen Meinung
Ausdruck verlieh, als er behauptete, die seien nicht verrückt?
Jedenfalls weiss
man in Israel, dass der Oslo-Prozess, der von
einer Mehrheit befürwortet worden war, in erster Linie an der
Siedlerexpansion gescheitert ist.
Das Hebron-Abkommen ist ein Ergebnis der Bemühungen
Netanjahus, Oslo umzudrehen, das heisst, den Palästinensern
alle Wege zur Selbstbestimmung zu verbauen. Denn erst
dieses Abkommen legitimierte das Siedlerunwesen. Der
Likud-Politiker musste gewusst haben, dass er in Hebron einen
Koffer mit Dynamit hat stehen lassen. Hebron ist die einzige
gross
e Stadt in den besetzten Gebieten, in der die militärische
Präsenz Israels fortbesteht. Aus einem für die angestammte
Bevölkerung nicht einsehbaren Grund. Das über die Stadt
verhängte Regime entspricht dem Bedürfnis einer winzigen
Minderheit. So wird den Palästinensern vorgeführt, um wieviel
höher die jüdische Existenz in Palästina bewertet wird als ihre
eigene.
Die ständige Erniedrigung der arabischen Bevölkerung
Hebrons ist nicht bloss Mittel, sondern Zweck der israelischen
Politik. Den Palästinensern soll in Permanenz das Bewusstsein
einer Minderwertigkeit vermittelt werden. Israels offizielle
Besiedlungspolitik entspricht exakt der rassistischen
Siedlerideologie. Zwar versuchen die israelischen Eliten, vor
allem die Arbeitspartei, den Eindruck zu erwecken, als wären
sie Geiseln der Siedler, die sie nur deshalb gewähren liess
en,
um einen Bürgerkrieg zu vermeiden. In Wahrheit aber ist es
nicht die Regierung, die den Wünschen der Siedler nachkommt.
Es sind die Siedler, die die Regierungspolitik exekutieren.
Das Opfer ist immer der Täter
Nur eine Minderheit unter ihnen kommt dieser Aufgabe mit
Enthusiasmus nach. Die gross
e Mehrheit ist dem Ruf des
Landes Israel (Erez Israel) nur deshalb gefolgt, weil ihnen die
Regierung für die Ansiedlung in den besetzten Gebieten
beträchtliche materielle Privilegien garantiert. Nach Hebron
aber kamen die Getreuesten des Blocks der Getreuen (Gush
Emunim). Die Siedlerhäuser zeugen weniger von Wohnkultur als von
Wehrhaftigkeit. Obwohl die jüdischen Zuwanderer selten in die
Lage kommen, sich wehren zu müssen. Meistens schiess
en sie
unbedroht in der Gegend herum. Jedes dieser Häuser ist ein
kleiner Militärstützpunkt. Auf den Dächern sind Gefechtsstände
eingerichtet: Eine MP-Stellung, mit Tarnnetzen verhangen und
von Sandsäcken umgeben. Natürlich sind diese Festungen in
einer strategisch günstigen Lage postiert. Meistens auf
Anhöhen, von denen aus es sich leichter zielen lässt
Zum Beispiel auf das Haus des palästinensischen Arztes Dr.
Ahmed Toubi. Die Einschussstelle am Fenster ist noch zu sehen.
Der Mediziner sass neben dem Fenster am Computer. Die
Nachbarn liess
en grüssen. Es war ein gezielter Mordanschlag.
Den Doktor haben sie ganz besonders im Visier. Denn er hat
die Stellung gehalten und sich nicht vertreiben lassen, als die
Siedler den Häuserkampf eröffneten. Er ist auch geblieben, als
die Armee das Dach seines Hauses zum Gefechtsstand
machte. Seit damals gehen die israelischen Soldaten in seinem
Haus ein und aus, die Treppen hinauf und hinunter. Auf dem
Dach haben sie sich so heimisch eingerichtet, dass sie dort auch
ihre Notdurft verrichten. Und wenn die Jungs gut drauf sind,
richten sie den Urinstrahl auf die vor dem Haus spielenden
Kinder.
Das führte zu einer Anzeige gegen den Arzt. Dem
sechsfachen Familienvater wird fahrlässiger Umgang bei der
Ausübung seiner Aufsichtspflicht vorgeworfen. Indem er sich
weigere, auszuziehen, habe er seine Kinder einer
lebensgefährlichen Situation ausgesetzt. Denn neben dem
sportlichen Wettkampf zur Ermittlung des weitesten Strahls
lassen die Soldaten gerne auch Sandsäcke zu Boden
plumpsen. Gegen den Vater vorgebracht wurde ferner der
Umstand, dass der Kinderliebe der Siedler ethnische Grenzen
gesetzt sind oder anders ausgedrückt: dass deren Araberhass
keine Altersunterschiede kennt.
Doktor Toubi hat die private Geburtenklinik, die er im oberen
Stockwerk betrieb, schliess
en müssen. Kaum eine seiner
Patientinnen wagte sich noch in diese Gegend. Auch waren
nach der Militärinvasion die hygienischen Voraussetzungen für
den Klinikbetrieb nicht mehr gegeben. Nachdem sie seine
berufliche Existenz zerstört hatten, leiteten die
Besatzungsbehörden auch noch ein Verfahren gegen den
Gynäkologen ein, in dem ihm vorgeworfen wurde,
Injektionsnadeln aus dem städtischen Krankenhaus
entwendet zu haben. Toubis ungebetene Dauergäste zapfen seinen Strom an. Die
Wasserleitung haben sie ihm schon das zweite Mal
kaputtgemacht. Er muss das Wasser in Flaschen nach Hause
bringen. Mit dem Auto transportieren darf er es nicht. Ungefähr
einen Kilometer beträgt die Entfernung zu der am nächsten
gelegenen Parkmöglichkeit. Denn die Strasse, in der Doktor
Toubi mit seiner Familie lebt, darf nur von Juden befahren werden.
Der palästinensische Arzt erzählt seine Geschichte über
schiesswütige Nachbarn und Vandalen in Uniform nicht halb so
aufgeregt wie das die Teilnehmer eines vom deutschen
Reality-TV über Monate lustvoll dokumentierten sächsischen
Nachbarschaftsstreits um den Maschendrahtzaun getan
hatten. Für die Zeit nach der Okkupation, sagte Toubi, arbeite
er an einer Dokumentation seines Menschenrechtsfalls, um die
internationale Öffentlichkeit mit der Realität eines besetzten
Landes zu konfrontieren.
Im Gaza-Streifen geht die israelische Armee um einiges
direkter zur Sache. Hier findet kein Kleinkrieg, kein
schleichender Verdrängungsprozess statt, sondern ein
Grossangriff auf die palästinensische Existenz. Hier herrscht
unverhüllter Staatsterror. Die flächendeckende Zerstörung
arabischen Wohnraumes erfolgt systematisch und hat nur in
Ausnahmefällen als Vergeltungsaktionen gegen Akte
bewaffneten palästinensischen Widerstandes einen direkten
Anlass. Dass es im Kriegsvölkerrecht eine Bestimmung gibt, die
der Bevölkerung eines besetzten Landes das Recht auf
militärischen Widerstand einräumt, ist von den Israelis, aber
auch von der Menschenrechtsinternationale nie zur Kenntnis
genommen worden.
Der am 10. Januar erfolgte Überfall auf einen israelischen
Militärstützpunkt im Gaza-Streifen, bei dem drei
Besatzersoldaten, aber auch die Angreifer getötet wurden,
war eine bewaffnete Widerstandsaktion, die sich wesentlich
von Selbstmordanschlägen auss
erhalb der besetzten Gebiete
unterschied. Israels Reaktion bestand in der Zerstörung von
70 Wohnhäusern in Rafah, einer Stadt im Süden des
Gaza-Streifens. Die israelische Armee ist eine Art Eliteeinheit
des »neuen Krieges«. Eines Krieges, in dem die kriegführende
Seite keinen Kriegsgegner hat und ihr ganzes
Aggressionspotential gegen die Zivilbevölkerung richtet. Ein
solcher Krieg ist ein Kriegsverbrechen per Definition.
Der Gaza-Streifen mit einer Länge von 40 und einer Breite von
zehn Kilometern ist das am dichtesten besiedelte
nichtstädtische Gebiet der Welt. 1,2 Millionen Palästinenser
leben hier auf 60 Prozent des Territoriums. 3000 jüdische
Siedler nennen 40 Prozent des Landstreifens ihr eigen. Allein
das Wissen um diese Tatsache erübrigt die Frage um die
Ursachen der nahöstlichen Gewalt. Ein solch dreister Landraub
kann keine gewaltlose Aktion gewesen sein. Und es ist
unmöglich, diesen barbarischen Zustand ohne Gewalt
aufrechtzuerhalten.
Mit Angriffen aus der Luft, Raketen und Panzergeschossen hat
die israelische Armee das elementare Menschenrecht auf
Wohnen ins Fadenkreuz genommen. So werden den
Palästinensern die Räume immer enger gemacht. Die Besatzer
begründen das mit der Notwendigkeit, die Sicherheitszonen zu
vergröss
ern. Der israelischen »Sicherheitsdoktrin« fallen nicht
nur die Häuser, sondern auch die landwirtschaftlichen
Nutzflächen der einheimischen Bevölkerung zum Opfer.
4500 Palästinenser, die sich der ethnischen Säuberung
widersetzten und den Landräubern nicht Platz machen
wollten, sitzen in der jüdischen Siedlung bei Khan Younis
regelrecht in der Falle. Die jüdisch-arabischen
Nachbarschaftsbeziehungen gleichen denen in Hebron. Den
Daheimgebliebenen ist es untersagt, ihre Felder zu bestellen.
Bei der Lebensmittelversorgung sind sie ausschliess
lich auf
UN-Hilfe angewiesen. Wer das Siedlerterritorium verlässt, darf
es nicht mehr betreten. Sondergenehmigungen, die ein
Rückkehrrecht versprechen, werden nur in den seltensten
Fällen ausgestellt.
Herrschaft über das Wasser
Ethnische Hegemonie wird nicht zuletzt aus den
Wasserquellen geschöpft. Wer sie kontrolliert, hat in dieser
wasserarmen Region einen entscheidenden strategischen
Vorteil erlangt. Umgekehrt bedarf es der strategischen
Überlegenheit, um die Herrschaft über die Wasserreserven
sicherzustellen. Deshalb wurden die israelischen Siedlungen in
den Gebieten mit den besten Wasserquellen angelegt. Von
dort werden gewaltige Wassermengen nach Israel
abgepumpt. Verursacht durch die ständige Entnahme von über
der Neubildung liegenden Wassermengen entsteht ein Defizit
im Wasserhaushalt, wodurch Meerwasser in das Grundwasser
gedrückt wird. Es ist nicht der Kreislauf der Natur, sondern der
Ökonomie, der Teile des von Israel entnommenen Wassers
wieder in die besetzten Gebiete zurückfliess
en lässt. Trinkwasser
aus dem Gaza-Streifen wird von Israel für teures Geld an
Palästinenser im Gaza-Streifen verkauft.
Durch die Versalzung des Wassers und der Böden ist die
palästinensische Landwirtschaft dem Untergang geweiht. Und
was die von Menschen aus dem Gleichgewicht gebrachte Natur
nur langsam zustande bringt, wird von Menschenhand noch
weiter beschleunigt. Ein Augenschein in Gaza bietet ein Bild
der Verwüstung: Abgeschnittene und entwurzelte Bäume,
zerstörte Bewässerungssysteme, unbrauchbar gemachtes
Ackerland.
»Kinder der Steine« wird die heranwachsende Generation der
Palästinenser genannt. Steine sind wohl so ziemlich das
einzige, was man ihnen nicht wegnehmen kann. Davon gibt es
zu viele in dem geschundenen Land.
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