Vorbemerkung des Übersetzers,
Abd al-Hafidh Wentzel, zu dem Artikel:
024 Über die vier Rechtsschulen und
die Notwendigkeit, einer von ihnen zu folgen. (von
Abd al-Hakim Murad)
Und haltet fest am Seil Allahs allesamt und spaltet euch nicht!"
Dies ist der Befehl Allahs an seine Diener, wie Er ihn uns in Seiner letzten
Offenbarung gegeben hat. In einer Zeit, in der an vielen Orten dieser Welt
Muslime gegen Muslime kämpfen, in der "muslimische Aktivisten" von
Moschee zu Moschee ziehen, um Da'wa (Einladung zum Islam) zu machen, in der
ur'ankommentare und persönliche Ansichten von Journalisten und pensionierten
Diplomaten als Rechtsquelle akzeptiert werden und in der die an einer
westlichen Universität erworbene Doktorwürde (vorzugsweise in Kernphysik,
Chemie, Medizin o. ä.) oder gar eine Gefängnisstrafe wegen Agitation gegen
das despotische Regime eines muslimischen Landes als höchste
Qualifikationsmerkmale Islamischer Gelehrsamkeit gelten, stellt sich dem
besorgten Betrachter die Frage nach der Legitimität oder Autorisierung in
Fragen der Auslegung des göttlichen Gesetzes, von der nicht zuletzt die Art
und Weise des "am Seile Allahs" Festhaltens und damit die Einheit
der
muslimischen Gemeinschaft als Ganzes abhängt. Auch wenn uns manch eifriger
junger Muslim, mit Paretscher Qur'anübersetzung und Reclam-Ausgabe von
Bukhari winkend, strahlend verkündet: "Wozu denn einer Rechtsschule
folgen,
ich habe doch Qur'an und Sunna", bleibt zumindest auf den zweiten Blick
das
ungute Gefühl, dass die so entstehenden selbstfabrizierten Versionen des
göttlichen Gesetzes nicht immer in allen Punkten mit dem göttlichen Willen
konform gehen. Sei es der Bruder, der mit dem Schwert in der Innenstadt
umherläuft, um gemäss Sure 9:5 die Götzenanbeter zu töten, wo immer er sie
trifft, und in der Psychiatrie landet; sei es die Schwester, die belegen
will, dass das Bedecken der Haare für Frauen im Islam nicht Pflicht sei, weil
"das so nicht im Qur'an steht"; sei es der "Gelehrte", der
die Ansicht
vertritt, das Tragen von Mütze und Turban sei eine verwerfliche Neuerung
(Bid'a) und behauptet, ein gross
er Teil der von Imam Muslim als authentisch
klassifizierten Hadiithe seien schwach, unzuverlässig oder gar gefälscht;
sei
es der neue Bruder, der nach seiner Beschneidung kein Gebet verrichtet, weil
"das Gebet während der Zeit der Blutung untersagt ist", oder ein
anderer, der
meint, man könne Ruuhhig mal einen Joint rauchen, weil im Qur'an ja nur der
Wein verboten sei ? irgendwo, könnte man meinen, muss es doch fundiertere und
vielleicht sogar verbindlich gültige Ansichten, Auslegungen oder Normen dafür
geben, wie wir uns auch im Detail dem Willen des Allmächtigen gemäss
verhalten
können. Hilfreich könnte dem interessierten und geduldigen Leser (der Text
ist zugegebenermassen nicht leicht zu lesen) vielleicht der folgende Artikel
von 'abd al-Hakim Murad sein, einem muslimischen Historiker, Übersetzer und
Arabischlehrer aus Grossbritannien. Sein bemerkenswerter Beitrag wurde der
englischsprachigen Zeitschrift An-Naseeha entnommen und für den Morgenstern
ins Deutsche übersetzt.
Abd al-Hafidh Wentzel
Erstmals erschienen in "Der Morgenstern - Forum der Muslime",
Nr. 8, 4.
Quartal 1997, S. 30 ff., Spohr Verlag Kandern - vgl.
http://www.abendstern.de
- Nachdruck mit freundlicher Erlaubnis des Verlages.